Youtube:Der Prank ist krank

Falsche Maschinenpistolen, gequälte Kinder, vorgetäuschte Suizide - ha ha! Youtuber spielen Mitmenschen teils geschmacklose Streiche, und Millionen schauen zu.

Von Anna Fastabend

Es hätte ein ganz normaler Tag in der National Portrait Gallery in London werden können. Die Besucher des Museums spazieren entspannt zwischen den Porträts von britischen Berühmtheiten. Plötzlich hetzen Männer mit Strumpfhosen über den Gesichtern und Bildern unter den Armen zum Ausgang. Panik bricht aus, die Besucher glauben an einen Raubüberfall. Dann ruft jemand, dass alles nur ein Witz war. Ein schlechter Witz, inszeniert für ein Video, das für die Macher eine mehrmonatige Haftstrafe nach sich zieht.

Bei dem Clip handelt es sich um einen Prank, was übersetzt so viel wie "Streich" heißt. Aufnahmen dieser Art werden inzwischen milliardenfach angeklickt, Prank-Kanäle verzeichnen Abonnenten im Millionenbereich. Vor allem Kinder und Jugendliche mögen diese Art von Humor. Je drastischer die Streiche ausfallen, desto höher sind die Klickzahlen und die Werbeeinnahmen der Videomacher. Oft werden dafür Menschen gedemütigt und gequält.

Unter den Prankstern sind auch deutsche Youtube-Stars, wie das Pärchen Bibi (Bianca Heinicke) und Julienco (Julian Claßen) aus Köln. Die beiden haben ihr Sozialwissenschaftsstudium abgebrochen und verdienen seitdem ihr Geld als Vollzeit-Youtuber. Heinicke, die mit Schmink- und Modetipps berühmt wurde, ist gerade zur erfolgreichsten deutschen Youtuberin gewählt worden. Ihr Kanal zeigt unter anderem auch Prank-Videos und zählt fast viereinhalb Millionen Abonnenten, Schätzungen zufolge verdient sie durch Werbung bei und außerhalb von Youtube rund 110 000 Euro monatlich. Auch Julian Claßen ist ein erfolgreicher Youtuber. Beide sind Mitte zwanzig, auch wenn der kindische Charakter der rohen Späße das nicht unbedingt vermuten lässt.

In einer Aufnahme reißt Heinicke Claßen aus dem Schlaf, um ihm vorzulügen, dass sie schwanger sei. Und man bleibt an dieser bizarren Szene hängen, weil man wissen will, wie Claßen auf die angebliche Schwangerschaft seiner Freundin reagiert, und wie, wenn er herausbekommt, dass er reingelegt wurde. Dass sich das Paar vorher abgesprochen haben könnte, schmälert die Faszination nicht, weil dann wiederum spannend ist, wie glaubhaft beide schauspielern können. Achteinhalb Millionen Mal wurde das Video aufgerufen.

"Max und Moritz" auf Youtube

Rund um Schwangerschaften, Betrügereien und Heiratsanträge gibt es überhaupt unzählige Filmchen im Netz, und oft rächen sich Hereingelegten ebenfalls mit einem Streich. Claßen steckt seiner Freundin Eiswürfel in die Hose, schießt sie mit Spielzeugwaffen ab oder schmiert ihr Ketchup ins Gesicht. Das scheint vielen Leuten zu gefallen. "Ich mag es, wenn Bibi leidet", lautet ein Kommentar. In einem Video beschmutzt Claßen seine schlafende Freundin mit Joghurt und Schaum, woraufhin ein Nutzer empfiehlt, sie das nächste Mal mit Schlaftabletten ruhigzustellen, damit sie nicht wieder mittendrin aufwacht.

Streiche wurden schon immer gespielt, Klingelstreiche, Telefonstreiche, Abistreiche. Mit Wilhelm Buschs "Max und Moritz", die damals noch ein böses Ende nahmen, sind viele aufgewachsen. Im Fernsehen amüsierte man sich über "Verstehen sie Spaß?", später über Sendungen wie "Comedystreet" und "Jackass". Das Moderatoren-Duo Joko und Klaas hat gerade erst ein Double des Hollywood-Stars Ryan Gosling bei der Goldenen Kamera eingeschleust.

Aber das Internet lässt den Respekt vor der Persönlichkeits- und Intimsphäre anderer und der Rechtsordnung in rasanter Geschwindigkeit erodieren. Die Skrupel vor der Veröffentlichung schwinden, ja, durch Smartphone und Internet stehen Jugendliche und kindische Erwachsene professionellen Witzbolden aus Funk und Fernsehen offenbar in nichts mehr nach.

Unechte Maschinenpistolen, weinende Kinder, vorgetäuschte Selbstmorde - ha ha, witzig!

Viele Scherze werden bewusst an ahnungslosen Bekannten verübt oder an völlig Unbekannten. In München liefen vermeintliche Witzbolde mit einer Bombenattrappe durch die Innenstadt. Außerhalb von Deutschland schossen Prankster mit unechten Maschinenpistolen auf Passanten - alles für das Netz. Die Prankster aus München wurden von der Polizei erwischt und erhielten eine Anzeige wegen Vortäuschens einer Straftat, Bedrohung und Störung des öffentlichen Friedens.

Streiche leben von der Neugier auf das Verhalten des Hereingelegten - und von Schadenfreude. Das Opfer blamiert sich, während der Zuschauer es besser weiß und das Gefühl von Überlegenheit und Genugtuung genießt. Das gilt besonders dann, wenn eine vermeintlich höher gestellte Person zum Narren gehalten wird. Deshalb ist die Schadenfreude gegenüber Respektspersonen - der Youtuber Leon Machère etwa verspottet gerne Polizisten -, Nervensägen oder Konkurrenten besonders groß.

Kinder als Prank-Opfer

Youtube: In einem Video von "A&S Pranks" täuscht eine ganze Familie ein Massaker vor.

In einem Video von "A&S Pranks" täuscht eine ganze Familie ein Massaker vor.

(Foto: Youtube)

Kritisch wird es spätestens, wenn Kinder das Opfer werden. Die Youtuber-Eltern DaddyOFive lösten einen Sturm der Entrüstung aus, nachdem sie Spaß-Tinte, die erst täuschend echt aussieht und später verschwindet, auf den Kinderzimmerteppich spritzten und ihre Kinder beschuldigten. In dem Video brüllen die Eltern ihre Söhne nieder, bis diese zu weinen beginnen und sich von den Eltern nach der Aufklärung der Geschichte auch noch auslachen lassen müssen. Roman Atwood, der mehr als zehn Millionen Follower bei Youtube hat, spielt in einem Video seiner ahnungslosen Freundin vor, dass der gemeinsame Sohn versehentlich mit einem Quad losfährt und das Gefährt in die Luft fliegt. Das sind Zeugnisse einer sadistischen Verrohung, die selbst dann schwer erträglich wäre, wenn sie nur inszeniert wären.

Umso schwerer begreiflich ist der Hype um Pranks, in denen Menschen sich als Verbrechensopfer präsentieren. Vor wenigen Wochen erst ist das Video "Dead family prank on boyfriend" von A&S Pranks aufgetaucht, in dem eine ganze Familie ein Massaker vortäuscht. Der vorbereitete Schauplatz gleicht einem professionellen Filmset. Die Aufnahme zeigt zunächst, wie die Freundin des Prank-Opfers seine Cousinen und Cousins an Armen und Beinen fesselt und alles mit Kunstblut überschüttet, anschließend seine Verzweiflung, von der sie ihn erst dann erlöst, als er im Begriff ist, die Polizei zu rufen.

Was ist wahr, was falsch? Was Streich, was echte Tragödie? Wären die brutalen Täuschungen nicht so weit verbreitet, würden sie nicht eine so riesige Gemeinde im Netz finden, könnte man sie als Geschmacklosigkeit am Rande der Kriminalität abtun. So aber steht der Verdacht im Raum, dass jeder Clip für einen Teil der Netzgemeinde das Bewusstsein für eine fremde Notlage trübt - vielleicht ist alles nur ein Spiel? - und die Grenze zwischen Realität und Täuschung, zwischen Spaß und Terror ein wenig mehr verwischt.

Inzwischen finden sich sogar vorgetäuschte Selbstmorde im Netz. So log der Youtuber Brennen Taylor seiner Mutter ganz im Sinne von Hal Ashbys Films "Harold und Maude" seinen eigenen Selbstmord vor und verspricht weitere Streiche mit ihr, wenn sein Video mindestens 50 000 Likes erhält. Zumindest ein Fall dieser böswilligen Täuschung endete katastrophal: Im amerikanische Michigan nahm sich ein Elfjähriger das Leben, nachdem ihm seine zwei Jahre ältere Freundin in den sozialen Netzwerken ihren Selbstmord vorgespielt hatte.

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