World of Warcraft:Süchtig nach Monstern

Computerspiel- und Suchtexperten schlagen Alarm: Das Online-Rollenspiel World of Warcraft ist darauf angelegt, seine Spieler in die Abhängigkeit zu treiben.

Thorsten Denkler, Berlin

Ein Junge ermordet seinen Bruder auf eine Weise, wie er es in seinem Lieblings-Computerspiel gesehen hat. Ein anderer begeht Selbstmord, weil er in einem Computerspielkampf den Kürzeren gezogen hat. Ein wieder anderer spielt 100 Tage nonstop durch und stirbt am Ende an Organversagen.

World of Warcraft: World of Warcraft: In "WOW", wie das Spiel unter den Nutzern genannt wird, nehmen die Spieler eine beliebige Rolle an.

World of Warcraft: In "WOW", wie das Spiel unter den Nutzern genannt wird, nehmen die Spieler eine beliebige Rolle an.

(Foto: Foto: dpa)

Das sind Horrorbeispiele von Horrorspiel-Süchtigen aus Süd-Korea. Mitgebracht hat sie Young Sam Koh, Leiter des staatlichen Beratungsnetzwerkes für Computerspielsüchtige in Seoul. Er hat sie an diesem Freitag den Teilnehmern der Konferenz "Internet und Computerspiele - Wann beginnt die Sucht?" in der Berliner Akademie der Künste präsentiert. Einfach nur, um zu zeigen, wohin Computerspielsucht führen kann.

Verlust des Zeitgefühls

Süd-Korea ist das Land mit der wohl größten Dichte an Computerspielsüchtigen weltweit. Hier gelten 14 Prozent aller Jungen als hochgradig abhängig. Manche verlassen über Tage und Wochen ihre Zimmer und Wohnungen nicht mehr. Wer intensiv am Computer spielt, verliert jedes Zeitgefühl. Das ist inzwischen empirisch erwiesen.

Von solchen Zuständen ist Deutschland zwar noch weit entfernt. Hierzulande gelten drei Prozent der Jungen als computerspielsüchtig. Doch die Bundesrepublik ist auf dem besten Weg, Süd-Korea Konkurrenz zu machen.

Keine Freunde, schlechte Noten

In der Gruppe der 15-Jährigen sind bereits 15.000 Kinder süchtig, haben Studien des Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer ergeben. Weitere 18.000 gelten als gefährdet, noch viel mehr gelten als exzessive Spieler. Diese Kinder zocken im Schnitt täglich knapp fünf Stunden. Ihre Gemeinsamkeiten: Sie sind eher schlecht in der Schule, mit den Eltern verstehen sie sich nicht, Freunde haben sie nicht - oder wenn, dann nur im Internet.

Zur Sucht wird das Spiel dann, wenn Entzugserscheinungen auftreten und ein Spieler glaubt, ohne sein Spiel nicht mehr leben zu können.

Zwerg, Mensch, männlich, weiblich, blond

Hauptangriffsziel derer, die verhindern wollen, dass Kinder so tief fallen, ist in Deutschland das Online-Rollenspiel "World of Warcraft". Allein in Deutschland sollen über eine Million Menschen "World of Warcraft" spielen, zumeist Minderjährige und Heranwachsende.

In "WOW", wie das Spiel unter den Nutzern genannt wird, nehmen die Spieler eine beliebige Rolle an. Krieger, Zwerg, Mensch, männlich, weiblich, blond, brünett, häufig überdurchschnittlich muskulös. So ziehen sie durch die virtuellen Lande und töten Monster und Menschen mit einem Ziel: noch stärker zu werden.

Der US-amerikanische Experte für Computerspielmissbrauch, David Greenfield, sagt, die Spieler in solchen Spielen das Gefühl bei etwas mitmachen, das "größer ist als sie selbst". Online könne jeder "ein Held werden". Zumal die, die es im wirklichen Leben beileibe nicht sind.

Auf der nächsten Seite: Warum WOW so ein hohes Suchtpotential hat.

Das eigene Versagen kompensieren

"Quantensprung" in der Gewaltdarstellung

Das Spiel fasziniert. Aber es macht süchtig. Mehr als jedes andere Spiel. In der WOW-Gemeinschaft gelten heute acht Prozent der Spieler als abhängig. Das liegt nach Auffassung der Experten auf dem Computerspielsucht-Kongress in Berlin nur zum Teil an den Spielern.

Der klassische WOW-Abhängige kommt zwar aus instabilen Familienverhältnissen, ist erfolglos in der Schule, im Leben und versucht im Spiel, sein eigenes Versagen zu kompensieren. Doch das reicht als Erklärung nicht. Es liegt offenbar auch am Spiel selbst. Regine Pfeiffer, eine ehemalige Lehrerin und freie Mitarbeiterin des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, schaut sich World of Warcraft seit Jahren genauer an. Als "teilnehmende Beobachterin" spielt sie mit, tauscht sich mit Spielern aus, analysiert Chat-Protokolle und schneidet Spielsequenzen aus den Untiefen dieses Spiels mit.

Das eigene Versagen kompensieren

Sie hat in der neuesten Version von World of Warcraft, die seit vergangenem November auf dem Markt ist, einen "Quantensprung" in der Gewaltdarstellung entdeckt. Noch größere Sorgen aber machen ihr die aus ihrer Sicht eindeutig suchtfördernden Spielregeln, die stark an Glücksspiele angelehnt sind.

So viele Waffen und Kräfte wie möglich

Im Kern liegt der Erfolg eines Spielers darin, seine Figur möglichst stark zu machen und sie mit so vielen Waffen und Kräften wie irgend möglich auszustatten. Das funktioniert über verschiedene Belohnungssysteme.

Wenn sich etwa mehrere Spieler online gegen einen Gegner verbünden, winkt am Ende ein Preis. Der wird je nach Spielmodus entweder per Würfel-Los an einen der Spieler der Siegergruppe vergeben. Oder er wird versteigert.

Für Regine Pfeiffer führt das dazu, dass einzelne Spieler, die einen bestimmten Wundermantel oder ein bestimmtes Zauberschwert unbedingt haben wollen, solange in die immer gleiche Spielsituation eintauchen, bis sie das Würfelglück trifft oder sie den Höchstbetrag geboten haben. Auf maximale Frustration folgt das maximal Glücksgefühl, wenn es endlich geklappt hat. Wer diese Euphorie wieder erleben will und wieder und wieder und wieder, der kann schnell in die Abhängigkeit geraten.

Hohes Durchhaltevermögen

Hinzu kommt, dass das Spiel darauf ausgerichtet ist, dass die einzelnen Spieler möglichst lange eingeloggt sind. Bezahlt wird mit sogenannten Dragon Kill Points (zu Deutsch etwa Drachentöter-Punkte), den DKP. DKP bekommen Spieler zugeteilt, wenn sie sich zu bestimmten Spielereignissen pünktlich eingeloggt, ein hohes Durchhaltevermögen in den manchmal stundenlangen Kämpfen bewiesen oder sie geschickt Gegner getötet haben. Und sie erhalten DKP für ihre Anwesenheitszeiten.

Es wird derjenige belohnt, der jede Schlacht bis zum Ende, also meist viele Stunden lang, mitmacht. "Die Zeit, die ein Spieler investiert, wird so zur Währung im Spiel", sagt Regine Pfeiffer. Schon deshalb sei es kaum möglich, mal eben ein halbes Stündchen zu spielen.

Auf der nächsten Seite: Wie das exzessive Spielen von WOW das Gehirn beeinflusst.

Verbannung aus den Kinderzimmern

Freigabe erst ab 18 Jahren

Die Hirnforschung zeigt, dass WOW mit diesen Regeln da ansetzt, wo Suchtgefährdete schnell getroffen werden können. Der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther erklärt, warum WOW wirkt, wie es wirkt. Die Hirnforschung habe gezeigt, dass genetische Vorgaben für die Frage, wie das Gehirn sich ausbildet, kaum noch eine Rolle spielen. "Das Gehirn wird so, wie man es benutzt", sagt Hüther. Und nicht nur das: "Das Gehirn wird vor allem so, wie man es mit Begeisterung nutzt." Bei exzessiven Spielern etwa sei festgestellt worden, dass die Hirnregion, die für die Steuerung der Daumenfunktionen zuständig ist, besonders ausgeprägt ist.

Sabine Bätzing, Suchtbeauftragte der Bundesregierung, will "World of Warcraft" nicht mehr in Kinderzimmern sehen. Freigabe erst ab 18 Jahren, lautet ihre Forderung, die sie am Rande des Kongresses formulierte, zu dem ihr Haus eingeladen hatte. Sie wird sich damit nur schwer durchsetzen können.

Die USK, die die freiwillige Selbstkontrolle der Computerspielindustrie organisiert, hat WOW ab 12 Jahren freigegeben. Geschäftsführer der USK ist Olaf Wolters, der zugleich Geschäftführer des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware ist, und als solcher die Industrieinteressen vertritt.

Für den Kriminologen Christian Pfeiffer ist das eine nicht hinnehmbare Interessenskollision. Mit Selbstkontrolle jedenfalls habe das nichts mehr zu tun.

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