Wie Digitalisierung Unternehmen verändert:Lücken sind für Start-ups

Die Taxibranche ringt mit Uber. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Start-up eine etablierte Branche niederwalzt. Warum lernen die Gebeutelten so wenig voneinander?

Von Varinia Bernau, Berlin

Wenn einer für die Old Economy steht, dann Karl Haeusgen. Der Mann führt in München einen Hersteller von Hydrauliksystemen. Und das Bewegen von großen Lasten, sagt er, sei schließlich etwas, womit sich schon die Menschen in der Antike beschäftigt haben. Aber heute, in einer Zeit, in der die New Economy allen Branchen die Spielregeln diktiert, da müsste er doch Angst haben, dass demnächst Apple diese Maschinen baut, oder? Haeusgen schüttelt den Kopf. "So unwahrscheinlich es ist, dass im Allgäu ein zweites Silicon Valley entsteht, so unwahrscheinlich ist es auch, dass Apple unsere Maschinen kopiert."

In der Industrie 4.0 komme es auf ein Miteinander an, sagt Haeusgen. Ist das die Erklärung dafür, dass es dem Maschinenbau noch nicht so ergangen ist wie so vielen anderen Branchen? Wie den Managern in der Musikindustrie, in den Buchverlagen und im Handel, die sich gedacht haben, es werde sie schon nicht treffen - und sich gewaltig geirrt haben. Auf ein Miteinander zu setzen, das ist jedenfalls schon mal besser, als sich hinter einer Wand aus Angst und Arroganz zu verschanzen. So viel steht fest.

Frank Briegmann arbeitet für ein Unternehmen, das um die Jahrtausendwende von der Digitalisierung erfasst wurde: für den Musikkonzern Universal. "Es bringt nichts, sich einer Idee zu verweigern, die die Kunden schätzen", sagt er. "Dann suchen sich die Kunden das nämlich anderswo." Damals gingen die Leute ins Internet und suchten sich auf illegalen Plattformen das, was sie bei Universal nicht fanden. Heute, berichtet Briegmann, sei die Digitalisierung bei Universal deshalb gelebter Alltag in allen Abteilungen: Die Talentscouts suchen bei Youtube nach den Stars von morgen; die Vertriebler beliefern Mediamarkt ebenso wie Spotify. Vierzig Prozent seiner Umsätze macht Universal inzwischen mit digitaler Musik, Songs zum Herunterladen oder in Streamingdiensten.

BERLIN: SZ Wirtschaftsgipfel - Tag 02

Uneins über die neue Arbeitswelt: Uber-Deutschlandchef Fabien Nestmann und DGB-Chef Reiner Hoffmann (zweiter und dritter von rechts).

(Foto: Johannes Simon)

Das bestehende Geschäft dämpft den Mut zum Risiko

Kein Konzern kann sich im Quartalstakt neu erfinden. Das Bekenntnis zum bestehenden Geschäft ist sogar notwendig, aber es dämpft eben auch den Mut zum Risiko. Je größer ein Unternehmen wird, desto mehr steht schließlich auf dem Spiel; desto mehr Verantwortung trägt es für Mitarbeiter, Geschäftspartner, Aktionäre. Desto schwieriger wird es aber auch, Wachstumschancen auszumachen und zu nutzen. Wie viel Neues wagen, ohne das Alte zu gefährden? In einem großen Unternehmen ist das eine schwierige Frage.

Auch deshalb sind es so oft die kleinen wendigen Start-ups, die in jene Lücke drängen, die die trägen Konzerne entstehen lassen. Start-ups wie Uber. Kaum ein anderes Unternehmen wird so übel beschimpft, kaum eines wird aber auch so innig geliebt. Uber, das ist die eine Sicht, nutzt die Schwächen des Taxigewerbes, um seinen Kunden das Leben, ach was, die ganze Welt etwas besser zu machen. Es sorgt dafür, dass Autos, die gerade nicht gebraucht werden, zum Einsatz kommen. Jeder kann Uber-Fahrer werden und jeder kann Uber-Fahrzeuge per Smartphone ordern. Uber, das ist die andere Sicht, macht seine Profite auf dem Rücken der anderen. Es pfeift auf seine Verantwortung für die Fahrer ebenso wie auf die Qualitätsstandards seiner Dienste.

Fabien Nestmann führt bei Uber das deutsche Geschäft - und er ist seither, wie er sagt, auch viel Taxi gefahren. Manche Fahrer halten ihn für den Teufel in Person; manche haben ihm aber auch gesagt, dass sie den Wettbewerb nicht fürchten, weil sie einen guten Dienst anbieten. Diejenigen, die ihn für den Teufel halten, scheinen in der Mehrheit zu sein: In drei deutschen Städten wurde Uber - auch auf Druck der Taxibranche - gerichtlich untersagt.

Soziale Standards werden unterlaufen

Reiner Hoffmann ist eher unverdächtig, im Dienste der Taxibranche zu stehen. Der Mann ist seit Kurzem Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Und er hat in diesem Job gerade hart mit der Taxibranche um die Einführung des Mindestlohns gerungen. Er sei für jede neue Idee zu haben. Aber es sei nicht okay, wenn Leute in einen Nebenjob gedrängt werden, weil sie auf eben diesen Nebenjob angewiesen sind. "Da werden soziale Standards systematisch unterlaufen." Auch der Laden von Hoffmann ist gewissermaßen Old Economy.

Die Idee der Gewerkschaften, sagt der Gewerkschafter mit einer ordentlichen Portion Selbstironie, sei schließlich gut 150 Jahre alt. Und das bedeute, dass diese auch eine Menge Erfahrungen mit dem Strukturwandel haben, die sie auch in Zukunft einbringen können: "Wie gelingt es, die Chancen der Digitalisierung zum Wohle der Menschen zu nutzen?" Haeusgen, den anderen Haudegen der Old Economy, bringt solches Gerede in Rage. Der Unternehmer fühlt sich bevormundet. Wenn die Leute dann irgendwann eine 35-Stunden-Woche haben, könnten sie sich vielleicht in ihrer Freizeit noch als Uber-Fahrer betätigen. Manche Menschen nämlich machen einen Nebenjob auch aus Spaß und nicht aus purer Notwendigkeit, sagt Haeusgen. "Wir haben einen Bereichsleiter bei uns, der abends noch als Türsteher in einer Table-Dance-Bar jobbt."

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