Wie das iPad zum Musikinstrument wird:Voll auf der Tonspur

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Mit einem iPad kann man nicht nur Musikauftritte anschauen - sondern auch Musik machen.

(Foto: Getty Images)

Mit iPads kann man vieles machen, auch sagenhaft unnützes Zeug. Doch die flachen Dinger taugen inzwischen sogar als Instrumente: Geige, Gitarre, Trompete - wer gut wischt, trifft den richtigen Ton.

Von Helmut Martin-Jung

Da war dieser Junge. Kein musikalisches Wunderkind, aber von einem heißen Wunsch getrieben. Einmal, einmal nur würde er es gerne spielen, dieses vertrackte Gitarrensolo aus einem Song seiner Lieblingsband. Und dann war da in der Musikstunde der Flachcomputer mit einem Gitarren-Griffbrett auf dem Bildschirm. Der Junge setzte sich hin, probierte, fingerte herum mit einer Engelsgeduld, bis er es schließlich konnte. Er konnte das Riff aus dem Song perfekt nachspielen.

Solche Beispiele sind es, die dem Musiklehrer André Spang einfallen, wenn er gefragt wird, was denn bitte schön ein Tablet-PC im Musikunterricht zu suchen habe.

Schon als 2010 das erste iPad auf den Markt kam, waren die musikalischen Fähigkeiten des begehrten Flachcomputers bald ein Thema. Mittlerweile gibt es eine ganze Fülle von Programmen, sogenannten Apps, für das iPad, aber auch für Tablets und Smartphones anderer Hersteller, mit denen man Musik machen kann.

Trompetenklänge aus dem iPad

Tippen, ziehen, wischen - so wie man sich auf einem iPad durch eine Internetseite bewegt oder Fotos bearbeitet, so ähnlich steuert man damit auch die Musiksoftware. Eines der ersten Programme, das einige Berühmtheit erlangte, war eine eher als Gag gedachte App, bei der man in sein iPad blasen konnte, worauf dieses dann Trompetenklänge abspielte.

Doch mittlerweile ist man über dieses Stadium längst hinaus. Ähnlich wie bei professioneller Software zur Audioproduktion kann man auch mit Tablet-Computern inzwischen mehrere Spuren hintereinander aufnehmen. Und der intuitiv mit den Fingern bedienbare Bildschirm ist Steuerzentrale für Orgel, Gitarre, Bass, Schlagzeug oder ein ganzes Orchester.

Einmal auf den Schirm getippt, und das virtuelle Streichorchester zupft ein Pizzicato. Streicht man jedoch darüber, erklingt ein Akkord. Durch Hin- und Herwischen lässt man diesen an- oder abschwellen oder man spielt ein Arpeggio auf einer Bildschirm-Gitarre. Durch die berührungsempfindliche Oberfläche lassen sich auch Effekte wie etwa das Ziehen einer Gitarren-Saite gut nachahmen. Manche haben es auf dem Gerät schon zu beachtlicher Meisterschaft gebracht und spielen GitarrenSoli, die man auf einem echten Instrument kaum zustande brächte.

Das Beste am Musizieren mit Tablets oder Smartphones ist aber, dass die Geräte so klein sind. Man kann sie fast überallhin mitnehmen, und für eine erste Skizze taugen ihre Klangqualität und ihre technische Ausstattung allemal. Manchmal sogar für mehr. Der Berliner Musikproduzent Stefan Wittich etwa nutzt eine Software namens iMachine auf seinem iPhone, um unterwegs Grundrhythmen für seine Musik zu erzeugen.

Man tippt dabei mit den Fingern auf Flächen auf dem Bildschirm. Hinterlegt sind legendäre Schlagzeugklänge, die nicht irgendwo aufgenommen wurden, sondern an legendären Orten mit legendären Instrumenten. Und deshalb ist Abbey Road heute überall.

Es sind auch echte Geigen, Bratschen, Celli und Bässe, die man hört im Soundtrack vieler Fernsehschnulzen. Und doch: Für diese Filmmusik wurde kein Orchester beschäftigt, kein Instrumentalist hat sie jemals so gespielt. Sie ist voll und ganz am Computer entstanden, aus lauter kleinen und kleinsten Versatzstücken, die professionelle Musiker in jahrelanger Tüftelarbeit eingespielt haben.

Geräte für eine Million Dollar oder mehr.

Schon lange bevor der Österreicher Herbert Tucmandl auf die Idee für seine Vienna Symphonic Library kam, wurden Musikinstrumente Ton für Ton aufgenommen und elektronisch gespeichert. Als man damit Ende der 1970er-Jahre begann, kosteten die ersten Geräte eine Million Dollar oder mehr. Aber sie klangen aus heutiger Sicht ziemlich bescheiden.

Der Grund ist klar: Speicherplatz für die aufgenommenen Sounds war eben knapp und teuer, und die Rechnerherzen der Geräte schlugen nur langsam. Heute, nach Jahrzehnten, in denen sich Rechen- und Speichervermögen von Computern exponentiell vervielfacht haben, kann man schon mit einer App für ein paar Euro auf Apples iPad Musik in geradezu unverschämt guter Klangqualität machen und das, ohne überhaupt ein Musikinstrument richtig zu beherrschen.

Gurgelnde und schmatzende Sounds

Kleine Ironie der Geschichte: Die eigentlich völlig unzureichenden Klänge der frühen Sampler, die sich ihres charakteristischen Sounds wegen sozusagen als eigene Kategorie etabliert haben, feiern heute ihre Wiederauferstehung - als App für ein paar Euro oder als Zusatzsoftware für teure Profi-Programme.

Gleiches gilt für die Hammond-Orgel, ein frühes elektronisches Instrument, das eigentlich dazu erfunden worden war, die teuren Pfeifenorgeln in der Kirche zu ersetzen. Daraus ist dann nie recht etwas geworden, dafür aber sicherte sich das krude Instrument mit seinen oft gurgelnden und schmatzenden Sounds bis heute seinen Platz in der Popmusik und vor allem im Jazz.

Hört man also heute den Sound einer Hammond-Orgel, dann stammt er in den meisten Fällen aus dem Computer. Die Rechner übernehmen in der aktuellen Musikproduktion eine Fülle von Funktionen. Schreibtischcomputer und Laptops, wie man sie so ähnlich auch im Büro verwendet, dienen als Ersatz für Tonband-Maschinen genauso wie als Möglichkeit, den aufgenommenen Klang während der Aufnahme, während eines Live-Auftritts oder im Nachhinein zu verändern.

Da alles virtuell im Rechner stattfindet, ist die Zahl möglicher Tonspuren und Soundeffekte nur begrenzt von der Leistungsfähigkeit des Rechners. Denn dieser muss schließlich die digital gespeicherten Klanginformationen aller Spuren in Echtzeit - das heißt während des Abspielens - berechnen.

An Computern und Laptops verwendet man für diese Aufgaben unter anderem sogenannte Digital Audio Workstations. Diese Programme vereinen die Aufnahme von echten Instrumenten und Stimmen mit der virtueller Instrumente. Außerdem ermöglichen sie es, Zusatzsoftware einzubinden, sogenannte Plugins - wie das Programm, das den Sound einer Hammond-Orgel erzeugt. Zum Ansteuern der Audio Workstations dienen meist Klaviertastaturen, die per Kabel am Computer angeschlossen werden und diesem mitteilen, wann welches Instrument welchen Ton wie lange, wie laut und mit welcher Artikulation spielt.

Da alles auf dem Computer gespeichert wird, lassen sich die Dateien aber auch im Nachhinein Ton für Ton beeinflussen, automatisch oder von Hand. So kann etwa eine Spur, die von Hand etwas unregelmäßig eingespielt wurde, rhythmisch korrigiert werden, oder aber ein vom Computer erzeugter Rhythmus, der zu maschinengemacht klingt, mit Ungenauigkeiten versehen werden, wie sie ein Mensch produzieren würde. Das alles erklärt vielleicht ein bisschen, warum so viele Menschen ihre Lieblingsbands und -musiker so gerne im Live-Konzert erleben. Am besten unplugged.

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