Whistleblower-Plattform droht Finanzkollaps:Wikileaks stellt Enthüllungen ein

Chef-Enthüller Julian Assange gibt auf - vorerst zumindest: Bis auf weiteres will Wikileaks keine weiteren Geheimdokumente publizieren. Offiziell spricht Assange von Geldproblemen, die durch die Blockade von Spenden entstanden seien. Doch es könnte auch ein anderer Grund dahinterstecken.

Mirjam Hauck und Johannes Kuhn

Kaum ein anderer Ort ist so eng mit dem Schicksal von Wikileaks verknüpft wie der Frontline Club. Im Londoner Journalistentreffpunkt wohnte Julian Assange 2010 für zwei Monate, als ihn die Polizei suchte. Dort gaben der Wikileaks-Gründer und seine Helfer triumphale Pressekonferenzen, wenn sie wieder spektakuläre Geheimdokumente veröffentlicht hatten.

Julian Assange speaks at Frontline Club

Julian Assange im Frontline Club: Steht Wikileaks vor der Pleite?

(Foto: dpa)

An diesem Montag kehrte Assange, der immer noch in Großbritannien unter Hausarrest steht, in den Frontline Club zurück. Doch es war kein Triumph, den er zu verkünden hatte, sondern eine bittere Niederlage: Wikileaks will vorerst keine Geheimdokumente mehr publizieren, teilte der Australier mit. Mit ihm vor die Presse traten die Nummer zwei der Organisation, der Isländer Kristinn Hrafnsson und der Deutsche Bernd Fix, Vorstandsmitglied der Wau-Holland-Stiftung.

Die "finanzielle Blockade" einiger US-Finanzfirmen, darunter Paypal, Visa, Mastercard, Western Union und die Bank of America, gefährde Wikileaks in seiner Existenz, so Assange. Die Firmen nehmen keine Spenden mehr für die Organisation entgegen.

Seien 2010 noch monatlich etwa 100.000 Euro auf den Konten der Organisation eingegangen, sank dieser Betrag nach Assanges Angaben in diesem Jahr auf 6000 bis 7000 Euro.

3,5 Millionen US-Dollar benötigt

Um weiter arbeiten zu können, benötige man im kommenden Jahr jedoch 3,5 Millionen US-Dollar. Durch die Sperre der Wikileaks-Konten sei es jedoch nicht möglich, dieses Geld zu bekommen, der Organisation drohe damit das baldige Aus.

Eine Möglichkeit an Wikileaks zu spenden war bislang, den Umweg über die Wau-Holland-Stiftung zu gehen. Dieser sei aber, so Bernd Fix, nicht mehr gangbar, da Paypal nun auch dieser Stiftung den Zugang gesperrt habe. Dadurch sei das Spendenaufkommen um 95 Prozent eingebrochen. Zudem habe nun auch die Steuerfahndung die Stiftung wegen der Spendenweiterleitung zu Wikileaks ins Visier genommen. Es drohe die Aberkennung der Gemeinnützigkeit.

Für Assange ist das Vorgehen der Finanzunternehmen nicht nur eine Attacke auf Wikileaks. Die Finanzblockade sei ein "Angriff auf die Meinungsfreiheit durch korrupte Banken und die politischen Rechte in Amerika".

Das Material geht aus

Wer verhindern will, dass Wikileaks seine Arbeit endgültig einstellen muss, sollte alternative Geldübertragungswege wie das Spenden per SMS oder Bank-zu-Bank-Überweisungen nutzen, so der Aufruf Assanges. Und er solle darauf achten, dass diese Bank dann nicht zur Bank of America gehöre.

Der finanzielle Aspekt ist die eine Seite; viel gravierender dürfte die Tatsache sein, dass Wikileaks bereits seit Sommer 2010 kein neues Material entgegennimmt. Seit dem Abgang einer Gruppe von Mitgliedern rund um Openleaks-Chef Daniel Domscheit-Berg funktioniert der Hochlade-Mechanismus nicht mehr. Nun will Wikileaks am 28. November ein neues System ans Netz bringen.

Neues Material hat Wikileaks auch dringend nötig: Zwar gibt Assange an, Wikileaks halte weitere brisante Dokumente in der Hinterhand. Doch Zweifel an dieser Aussage dürfen erlaubt sein: Die letzte große Enthüllung fand mit den Guantanamo-Akten bereits im April 2011 statt.

Dieses Material dürfte wie die amerikanischen Botschafts-Depeschen, die Videos über den gewaltsamen Tod irakischer Zivilisten durch das US-Militär sowie die Afghanistan-Dokumente der amerikanischen Nachrichtendienste aus einer einzigen Quelle stammen. In den USA wurde der US-Soldat Bradley Manning deswegen angeklagt.

Bereits Ende 2009 teilweise offline

Ende August war bekanntgeworden, dass geheime US-Botschaftsdepeschen unredigiert im Netz kursieren und damit mögliche Informanten in Gefahr bringen. Wikileaks wurde dafür heftig kritisiert und entschied sich daraufhin, die Dokumente unredigiert zu publizieren. Bis auf weiteres werden dies die letzten geheimen Materialien sein, die Wikileaks veröffentlichte.

Bereits Ende 2009 hatte Assange Teile von Wikileaks vom Netz genommen, um auf die prekäre Finanzlage aufmerksam zu machen. Nachdem die Organisation daraufhin begann, mit Enhüllungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu werden, konnte das Ende des Portals verhindert werden.

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