Werbung zu "Deus Ex: Mankind Divided":So hirnlos werden Computerspiele vermarktet

Deus Ex

Der Protagonist Adam Jensen ist selbst ein schwer hochgerüsteter Cyborg.

(Foto: Square Enix)

Wie weit darf Technik den Menschen verändern?, fragt das Videospiel "Deus Ex: Mankind Divided". Doch seine Verkäufer wollen diese Frage nicht wirklich diskutieren - symptomatisch für die Branche.

Vom Jan Bojaryn

In der ehemaligen Schneiderbrauerei in Berlin steckt eine Hand in einer Vitrine. Sie ist aus Kunststoff, mit beweglichen Gelenken. Wer vor einer benachbarten Kamera die Faust ballt, sieht eine Sekunde später eine Faust im Glaskasten. Es ist eine bionische Hand. Sie beherrscht sogar den Pinzettengriff.

Dazu läuft das Videospiel "Deus Ex: Mankind Divided". Es erscheint am 23. August und wird hier der Presse vorgestellt. Die Show mit der Plastik-Hand steht für die Entwicklung in der Branche, immer mehr auf ungelenke PR-Stunts zu setzen.

Die künstliche Hand verweist auf ein Thema des neuesten "Deus Ex": In dem Actionthriller geht es um Bionik. Die Kooperation der Spielemacher mit dem Start-up Open Bionics, das die Hand mit entworfen hat, wirft allerdings Fragen auf.

Düstere Zukunft

Denn "Deus Ex: Mankind Divided" nährt keinerlei Technikbegeisterung, wie sie das Start-up wohl gerne verkörpern würde. Im Spiel ist die Zukunft düster. Adam Jensen ist ein Antiheld, ein Cyborg wider Willen. Er bewegt sich in einem politischen Minenfeld zwischen Transhumanisten, die sich technisch erweitern wollen und Puristen, die solche Robotermenschen in Ghettos isolieren wollen.

Bei der Vorstellung des Spiels hätte es also um Zukunftsangst gehen können, um Toleranz und Ethik im Maschinenzeitalter. Selbsterklärte Cyborgs gibt es schon heute in Berlin. Da hätten sich Experten finden lassen, die den Plot des Spiels verorten und einordnen könnten. Stattdessen präsentiert Herausgeber Square Enix eine bionische Hand, die so ähnlich aussieht wie die von Adam Jensen. Da geht es wohl eher um den Effekt als darum, in der Realität auf das Spiel einzugehen.

Unbedarft spielt das Marketing mit der Lust der Fans, einem traumatisierten Antihelden nachzueifern. Auch eine passende Modekollektion des Labels Musterbrand ist erhältlich. Der Adam-Jensen-Coat kostet 289 Euro.

Wahllos ausgewählte Experten erklären, wie man Feuer macht

Gern lamentiert die Spielebranche, ihre Kulturgüter würden nicht angemessen gewürdigt. Doch die Vermarktung wirkt oft selbst respektlos - als würden Herausgeber ihre eigenen Werke nicht besonders ernst nehmen.

Zur Vorstellung des Actionspiels "Far Cry Primal", das in der Steinzeit angesiedelt ist, lud Hersteller Ubisoft den Experimentalarchäologen Holger Junker ein. Seine Infos über Feuermachen und Werkzeugherstellung hatten aber mit dem Spiel wenig zu tun. Feuer macht der Held auch im Laufen per Knopfdruck, ganz ohne anzuhalten. Selbst das Behandeln schwerer Wunden verlangt nicht mehr Aufwand, als das Sammeln einiger Pflanzen. Vor allem konnte der Archäologe also bestätigen, dass "Far Cry Primal" die Steinzeit nicht besonders realistisch abbildete. Diese Erkenntnis lies den Beobachter eher ratlos zurück.

Ähnlich beim Action-Adventure Uncharted 4. Sony präsentierte den Schatzsucher Nikolaus Graf von Sandizell. In jahrelanger Recherche- und Verhandlungsarbeit organisiert er Expeditionen, um Schätze zu heben und vor Plünderern zu retten. Der Uncharted-Held Nathan Drake ist allerdings genau das: ein Grabräuber, der sich auch mal selbst bereichert. So ganz passte das nicht zusammen. Solche PR-Aktionen mögen Aufmerksamkeit bringen. Aber sie legen auch nahe, dass Herausgeber über den Inhalt ihrer Spiele nicht viel nachdenken.

Die coolen Prothesen

Die bionische Hand immerhin hat einen konkreten Nutzen. Die Baupläne der Prothese sollen veröffentlicht werden, jeder kann sie dann mit einem 3D-Drucker nachbauen. Für Menschen mit körperlichen Behinderungen eine gute Idee.

Open Bionics räumt zugleich ein, dass es die Zukunftsvision von Deus Ex heikel findet: "Wir haben über die Frage nachgedacht", sagt Mitgründerin Samantha Payne. "Vor allem, weil sich das Spiel um diese 'mechanische Apartheid' dreht." Der Impuls für die Kooperation sei aber gar nicht von den beteiligten Firmen gekommen, sondern von Fans des Spiels.

Payne sieht die Zusammenarbeit pragmatisch: "Wir fanden das Design der bionischen Arme im Spiel einfach toll. So etwas würden sich auch Leute anziehen wollen, die mit dem Spiel nichts anfangen können." Nicht so toll findet sie Kommentare einiger Fans, die sich nun angeblich ihre Arme abhacken wollen, um Platz zu schaffen. Für Amputierte wirke das geschmacklos. Aber solche Geschmacklosigkeiten gehören bei der Vermarktung von Videospielen mittlerweile vielleicht auch zum guten Ton.

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