Wahlcomputer:"Kein Mehrwert für die Demokratie"

Das Verfassungsgericht entscheidet über den Einsatz Wahlcomputern. Die Juristin Zoi Opitz-Talidou erklärt, warum in Zukunft besser online gewählt wird.

Mirjam Hauck

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt heute über die Klage zweier Bürger, die gegen das Ergebnis der Bundestagswahl von 2005 Beschwerde eingelegt haben - wegen des Einsatzes von Wahlcomputern. Die Wahl sei gesetzeswidrig, weil die Auszählung mittels Maschinen nicht öffentlich und das Wahlergebnis beispielsweise durch Hackerangriffe manipulierbar sei.

Wahlcomputer: Wahlcomputer: "Kein Mehrwert für die Demokratie"

Wahlcomputer: "Kein Mehrwert für die Demokratie"

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Gefährden Wahlcomputer das Wahlsystem und damit die Demokratie?

Zoi Opitz-Talidou: Das muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob es fehlerhafte Vorgänge gab, wenn ja, wie groß dieser Einfluss auf das Ergebnis war. Aber bei keiner Wahl gibt es eine 100-prozentige Sicherheit - auch nicht bei der konventionellen Wahl mit Stift und Zettel.

sueddeutsche.de: Der Einsatz von Wahlcomputern ist also unproblematisch?

Opitz-Talidou: Die Maschinen haben den Vorteil, dass man einfach per Knopfdruck wählt und die Stimmen schnell ausgezählt werden. Sie gefährden nicht das Wahlsystem, aber sie haben auch keinen Mehrwert für die Demokratie.

sueddeutsche.de: Welches Wahlverfahren verspricht diesen Mehrwert?

Opitz-Talidou: Vielversprechender sind Onlinewahlverfahren, die eine Abstimmung über das Internet ermöglichen. Sie entsprechen viel mehr den Bedürfnissen unserer mobilen Informationsgesellschaft. Denn man erwartet, dass der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gestärkt wird, weil beispielweise über barrierefreie Online-Wahlverfahren erstmals behinderte Menschen ohne Fremdhilfe wählen können. Ferner steigt möglicherweise die Wahlbeteiligung, weil die Bürger unterwegs oder auch von zu Hause mit dem Handy oder Laptop ihre Stimme abgeben können.

sueddeutsche.de: Nicht mehr aus dem Haus gehen zu müssen stärkt die Demokratie?

Opitz-Talidou: Tatsächlich befürchten viele, dass Onlinewahlen nicht als ernsthafter Prozess wahrgenommen werden, dass eine Art Sofa-Demokratie entsteht. Man sollte allerdings bei so einer Debatte nicht vergessen, dass Online-Wahlen vorerst einmal auf Ebene von Vereinswahlen zum Zuge kommen.

Onlinewahlverfahren sind viel interaktiver, die unterschiedlichsten Kandidaten können sich aufstellen lassen, die Wähler können sich über Informationsforen selbst organisieren, und das könnte die Demokratie vorantreiben.

Das trifft aber wie gesagt momentan nur auf nichtparlamentarische Wahlen wie Vereinswahlen zu. Sollte es zu einer gesetzlichen Regelung für Online-Betriebsratswahlen kommen, könnten diese ebenfalls in den Genuss dieser Vorteile kommen. Die auf dieser Ebene gewonnenen Erfahrungen müssen auf dem Weg zu einer parlamentarischen Onlinewahl weiter untersucht werden.

sueddeutsche.de: Aber auch für Onlinewahlen gilt die Kritik. Sie lassen sich manipulieren, und sie sind intransparent, weil der Auszählungsprozess nicht öffentlich stattfindet.

"Kein Mehrwert für die Demokratie"

Opitz-Talidou: Die Gewährleistung des Öffentlichkeitsgrundsatzes sowohl bei den Wahlgeräten als auch bei Onlinewahlverfahren ist in der Tat eine große Herausforderung. Aber dies lässt sich über verschiedene Wege herstellen, wie über eine beweissichere Protokollierung, Dokumentation und Archivierung der Wahlprozesse.

Und die Systeme müssen sich gegenseitig kontrollieren können, sozusagen nach dem Vieraugen-Prinzip. Der Auszählungsprozess muss nachvollziehbar und immerfort überprüfbar sein. Und natürlich müssen die Daten so verschlüsselt sein, dass sie nicht von Hackern angegriffen werden können.

sueddeutsche.de: Wie soll das funktionieren?

Opitz-Talidou: Es muss eine staatliche Akkreditierungsbehörde geben, die private Anbieter von Online-Wahlsystemen überprüft und zertifiziert. Der Staat muss die Regeln vorgeben, aber nur professionelle Anbieter haben das Know-how und qualifizierte Mitarbeiter, wie Informatiker, die diese Systeme entwickeln können.

sueddeutsche.de: Reicht das denn aus, um nachvollziehbare Online-Wahlsysteme zu schaffen?

Opitz-Talidou: In Australien gibt es Bestrebungen, die Prozesse des Online-Wahlverfahrens offenzulegen, also nach dem Open-Source-Prinzip zu arbeiten. Wenn man allerdings den Quellcode eines Programmes einmal offengelegt hat, muss es immer Menschen geben, die die Software weiterpflegen und auf dem geforderten Sicherheitsstandard halten. Diese Vorgehensweise schafft keine Anreize für den Markt. Die Zertifizierung der Firmen ist hier der bessere Weg.

sueddeutsche.de: Wahlcomputer wurden ja eingeführt, weil sie schnell, einfach und vor allem auch günstig sein sollen. Das Prozedere der Online-Wahl klingt nach hohem Investitionsaufwand.

Opitz-Talidou: Ja, zunächst werden sehr hohe Kosten für Wahldiensteanbieter entstehen. Es ist teuer, ein geprüftes Onlinewahlprodukt auf den Markt zu bringen, das den hohen Sicherheitsanforderungen gerecht wird. Aber das ist notwendig, um das Vertrauen in die Demokratie weiter sicherzustellen. Wenn das System einmal eingeführt ist, werden die Kosten sinken, auch durch den Wettbewerb der Anbieter untereinander.

sueddeutsche.de: Bei der nächsten Bundestagswahl wird also online gewählt?

Opitz-Talidou: Nein, so schnell wird das nicht gehen. Die nächsten zehn Jahre werden wir auf parlamentarischer Ebene sicher noch konventionell wählen. Aber bei Wahlen, die weniger Brisanz beinhalten wie auf der Vereinsebene, haben wir heute schon Onlinewahlen. Die Gesellschaft für Informatik oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft wählen bereits ihre Gremien online. Diese guten Erfahrungen müssen wir aber aufgreifen und ein zuverlässiges Onlinewahlsystem schaffen.

sueddeutsche.de: Bei diesen Wahlen gab es keine Beanstandungen?

Opitz-Talidou: Nein. Die Wahlen verliefen ohne Probleme. Bei der Präsidiumswahl der Gesellschaft für Informatik beispielsweise stieg die Wahlbeteiligung durch das Onlineverfahren signifikant an.

Dr. Zoi Opitz-Talidou ist Juristin und Mitarbeiterin der Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung an der Universität Kassel.

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