Virtual Reality in Computerspielen:Ganz schön echt

A man tries the Electronic Arts (EA) Star Wars Battlefront X-Wing Experience simulator at the Electronic Entertainment Expo, or E3, in Los Angeles

Ein Mann versucht sich auf der E3 am Star-Wars-Battlefront-X-Wing-Simulator.

(Foto: REUTERS)

Die Spielebranche hofft auf Milliardenumsätze, redet vom nächsten großen Ding: Virtual Reality. Doch die Hersteller wissen noch gar nicht so recht, wie sie die Technologie wirklich einsetzen sollen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles, Los Angeles

Der Zombie in Militärkleidung ist schlecht drauf. Grunzend und sabbernd läuft er durch diese Halle im Messezentrum von Los Angeles und versucht, Besucher in die Schulter zu beißen oder wenigstens am Ohr zu knabbern. Wer keinen Herzinfarkt erleidet oder nicht schreiend flieht, der wird von einer lebendigeren Mitarbeiterin des Videospiels "The Walking Dead" aufgefordert, diesen nervigen Untoten doch einfach abzuknallen: Schnell eine futuristische Brille aufsetzen und eine Plastikpistole in die Hand nehmen - schon erscheint der Zombie-Soldat von vorhin und kann nun in die Hölle geschickt werden. Der erste Eindruck: Wow, diese virtuelle Realität fühlt sich ganz schön real an.

Wer keine Lust auf Zombiejagd hat, der kann auf der Electronic Entertainment Exposition (E3) auch eine einsame Insel besuchen und Dinosaurier bei Brunft und Brut beobachten. "Sehen Sie doch mal nach unten", sagt David Bowman, Produktionsleiter beim deutschen Spieleentwickler Crytek: "Der Aussicht ist herrlich."

Furchterregender Ausblick

Für einen Menschen mit Höhenangst ist dieser Ausblick eher furchterregend, weil er gar so realistisch ist - es fühlt sich so an, als würde man tatsächlich 500 Meter in die Tiefe stürzen und sterben, wenn man loslässt. Dann vielleicht doch lieber Kopfbälle üben oder entspannt über eine Wiese spazieren oder Kunstwerke gestalten. Das alles ist möglich, so lange man eine dieser Virtual-Reality-Brillen auf dem Kopf trägt.

So geht es gerade zu auf einer der bedeutsamsten Messen für Unterhaltungselektronik. Natürlich wird auch der 30. Geburtstag des knuffigen Klempners Mario gefeiert, Nintendo präsentiert dabei ein Spiel, bei dem die Nutzer knifflige Level für den rennenden und hüpfenden Latzhosenträger entwerfen sollen. Es gibt bedeutsame Ankündigungen wie jene von Sony, dass die Playstation 4 nun die bevorzugte Plattform für die Call-of-Duty-Serie sei - ein wichtiger Erfolg für Sony im Kampf der Konsolen gegen die Xbox One von Microsoft. Und natürlich gibt es den Roboter von Bethesda, er heißt Codsworth und erzählt die wohl schlechtesten Witze in der Geschichte der Robotik.

Das bedeutende Thema auf der E3 jedoch, das ist die virtuelle Realität. Ja, schon richtig gelesen: Es geht wieder mal um diese Sache, die uns seit ungefähr 20 Jahren versprochen wird und bei der wir alle nach dem Aufsetzen einer Brille mit einer hübschen Frau durchbrennen dürfen wie der Typ im Video zu "Amazing" von Aerosmith.

Die sich laut einer Analyse des Marktforschungsinstituts Digi-Capital innerhalb der kommenden fünf Jahre zu einem 30-Milliarden-Dollar-Segment der Videospielbranche entwickeln könnte, insgesamt sollen mit verschiedenen Formen der virtuellen Realität im Jahr 2020 etwa 150 Milliarden Dollar umgesetzt werden.

Videospiele sind dem, was wir tun, gar nicht mal so unähnlich

Diese Zahlen klingen gewaltig, der Hype um diese Technologie ist nicht weniger groß. Sie wird auf der E3 offensiv als das nächste große Ding vermarktet - nicht nur der Videospielindustrie, sondern der gesamten Unterhaltungsbranche. Die Mitarbeiter von Lucasfilm etwa sehen sich auf der Messe um und verraten, dass sie an einem Virtual-Reality-Projekt für die "Star Wars"-Franchise arbeiten würden. Selbst Angestellte der Nasa sind da: "Videospiele sind dem, was wir tun, gar nicht mal so unähnlich", sagt Victor Luo, bei der Raumfahrtbehörde verantwortlich für die Steuerung von Robotern: "Wir können auf dem Mars arbeiten, als wären wir dort. Wir können herumlaufen und die Dinge aus verschiedenen Winkeln betrachten."

Nun soll es also endlich so weit sein mit der virtuellen Realität für den Otto Normalzocker, bei den Brillen zeichnet sich ein ähnlicher Kampf zwischen Sony und Microsoft an, den es auch bei Konsolen gibt. Sony präsentierte in Los Angeles seine Entwicklung Morpheus und kündigte zum Start der Brille Anfang kommenden Jahres auch gleich ein paar Spiele für das Gerät an wie etwa den futuristischen Gladiatoren-Shooter "Rigs" oder "Eve Valkyrie", eine Art Hundekampf im Weltall.

Microsoft dagegen verkündete Kooperationen, die zum einen die Beteiligung der Silicon-Valley-Platzhirsche an der neuen Technologie verraten, andererseits auch zeigen, dass der Kampf um die erfolgreichste Brille bereits jetzt mit harten Bandagen geführt wird. Microsoft ging eine Partnerschaft mit Oculus ein, das im vergangenen Jahr für zwei Milliarden Dollar von Facebook gekauft worden ist. Die auf der E3 präsentierte Brille soll im ersten Quartal 2016 auf den Markt kommen. "Mit diesem Gerät wird der Kunde zum ersten Mal in der Lage sein, sich in neue Welten zu beamen", verspricht Oculus-Geschäftsführer Brendan Iribe: "Zum ersten Mal wird er mitten im Spiel sein."

"Will ich wirklich lange mit einer Brille herumsitzen, die mein Sichtfeld beansprucht?"

Microsoft hat auch eine Partnerschaft mit der Spielefirma Valve und dem Hardware-Hersteller HTC und deren gemeinsamen Virtual-Reality-Produkt "Vive" geschlossen und stellte auf der E3 beinahe nebenbei die eigene Brillen-Entwicklung "HoloLens" für eine dreidimensionale Version des überaus erfolgreichen Spiels "Minecraft" vor. "Wir wollen Windows 10 zur besten Virtual-Reality-Plattform machen", hieß es bei der Microsoft-Präsentation.

Bleibt die Frage, ob die virtuelle Realität tatsächlich das nächste große Ding sein wird. So sehr sich die Hersteller auf der Messe in Los Angeles auch mühen, die Vorzüge zu preisen, so wirken sie noch immer wie kleine Hunde, die einem Auto hinterherlaufen: Sie jagen und jagen - und wissen doch nicht, was sie denn anstellen sollen, wenn sie wirklich eines fangen. "Ich bin interessiert und vorsichtig", sagt etwa Strauss Zelnick, Chef von Take-Two Interactive Software, das unter anderem die "Grand-Theft-Auto"-Serie herausbringt: "Ich bin interessiert wegen all der Aufregung. Aber will ich wirklich lange Zeit mit einem Headset herumsitzen, das mein komplettes Sichtfeld beansprucht? Ich bin mir da nicht so sicher."

Eines der Probleme der virtuellen Realität ist die wirkliche Welt, die ja immer noch existiert, auch wenn sich der Spieler diese Brille aufsetzt. Die Kopfbedeckung verlangt die exklusive Konzentration des Trägers; was um ihn herum passiert, das vergisst er schnell. Auf der E3 sind deshalb auch Entwicklungen zu bestaunen, die aussehen wie eine Mischung aus Fitnessgerät und Folterinstrument: Der Spieler wird an der Hüfte festgezurrt und in einen Ring geschnallt, auf dem Kopf trägt er eine Brille, in den Händen hält er ein Plastik-Maschinengewehr. An den Füßen trägt er Spezialschuhe, damit die Sensoren erkennen, in welche Richtung er sich bewegen möchte. Es fühlt sich realistisch an, doch nach wenigen Minuten ist man erschöpft - körperlich wie geistig. Es ist genug, es ist zu viel. Wer von dem Gerät absteigt, der fühlt sich ein bisschen wie der Zombie in der anderen Halle, der langsam und ungelenk durch die Gegend stolpert.

"Die Entwickler sind davon überzeugt, dass es kommen wird", sagt Oculus-Chef Iribe über die Virtual-Reality-Produkte: "Es ist ein Traum, auf den wir alle gewartet haben." Ja, es hört sich nach Zukunft an, was da auf der E3 gezeigt wird. Es fühlt sich auch wie ein Traum an - derzeit allerdings noch wie einer, in dem jederzeit ein Zombie auf der Suche nach einem saftigen Stück Schulter neben einem auftauchen könnte.

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