Virenpapst:Cyberkrieger aus Moskau

Er ist einer der erfolgreichsten Wurmjäger. Kein Wunder. Schließlich denkt Jewgenij Kaspersky wie ein Computer.

Ariane Eichenberg, Michael Marek

Die Fangemeinde nennt ihn "Virenpapst". Seit Jahren gehört Jewgenij Kaspersky zu den schillernden Figuren in der internationalen Computerszene. Kaum ein anderer kennt sich so gut mit Würmern und Trojanern aus, wie der 1965 in Noworossijsk geborene Kaspersky. Nach der Schule absolvierte er seine Ausbildung am Institut für Kryptographie, Kommunikation und Informationswesen des KGB.

Virenwarnung auf dem PC-Bildschirm

Mehr als lästig: Viren infizieren nicht nur private Computer - manchmal sind sie auch eine Kriegserklärung.

(Foto: Foto: dpa)

Zusammen mit seiner Frau Natalja gründete er 1997 Kaspersky Lab, das führende Anti-Viren-Unternehmen Russlands. Die dort entwickelten Programme, die Computer gegen Internetangriffe schützen sollen, liegen bei Tests regelmäßig vorne. Großkonzerne gehören ebenso zu den Kunden wie mittelständische Unternehmen. Weltweit gibt es 11 Niederlassungen mit 550 Beschäftigten, unter anderem in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA.

SZ: Wann haben Sie begonnen, sich mit Computern zu beschäftigen?

Jewgenij Kaspersky: Mit 10, 12 Jahren. Ich hatte eine Vorliebe für mathematische Aufgaben und Formeln. Geschichte und Literatur mochte ich nicht. Deshalb bin ich ins Institut für Informationswesen des KGB gegangen.

SZ: Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Virus?

Kaspersky: Ja, am Ende meines Studiums, 1989, wurde mein PC infiziert. Aber ich konnte ihn heilen. Unter Computerfachleuten gibt es zwei Typen: die einen sind Konstrukteure, die anderen Destrukteure. Konstrukteure entwickeln etwas Neues. Destrukteure wollen erforschen, was andere entwickelt haben. Ich bin immer ein Destrukteur gewesen. Für mich ist es tausendmal interessanter zu erforschen, wie etwas funktioniert.

SZ: Wie kam es zur Gründung von Kaspersky Lab?

Kaspersky: Anfangs waren Computerviren mein Hobby, so wie andere Schmetterlinge sammeln. Anfang der Neunziger habe ich versucht, meine ersten Antiviren-Programme zu verkaufen. Ohne Erfolg. Seit 1997 haben wird dann um die führende Position auf dem russischen Markt gekämpft. Das haben wir geschafft. Heute geht es darum, unser Unternehmen zum weltweit führenden zu machen.

SZ: Es heißt oft, Antiviren-Unternehmen würden aus Eigeninteresse Panikmache betreiben.

Kaspersky: Natürlich gibt es Softwarefirmen, die die Virengefahr hochspielen, um ihren Umsatz zu steigern. Wir versuchen, professionell zu analysieren. Mitunter veröffentlichen wir nichts über eine grassierende Virusepidemie, weil es uns unwichtig erscheint.

SZ: Sie leben in ständiger Alarmbereitschaft, sind 24 Stunden täglich auf der Suche nach Viren. Haben Sie sich dadurch verändert?

Kaspersky: Ja, sicher. Wer lange Zeit mit Computern arbeitet, bekommt einen "Computerakzent". Ich fing allmählich an, wie ein Computer zu denken. Die Arbeit mit Computerviren macht aus allen, nicht nur aus mir, Paranoiker.

SZ: Verändern sich auch die Hacker und jene, die Virenprogramme schreiben?

Kaspersky: Natürlich, der Virenautorentyp hat sich vor allem durch das Finanzwesen im Internet verändert. Als das Internet vor 10, 15 Jahren im Embryonalzustand war, konnte man praktisch kein Geld verdienen. Damals wurden Virenprogramme nur von Schülern geschrieben. Als sich 1995 die ersten gebührenpflichtigen Internetprovider wie AOL zu etablieren begannen, kamen die Trojaner, also Programme, die Computer nach Passwörtern und Kreditkartennummern ausspähen. Damit entstand eine neue Generation von Virenautoren. Die Kinder-Hooligans wurden von Kriminellen abgelöst.

SZ: Wer sind diese Kriminellen?

Kaspersky: Heute sind es keine Einzelpersonen mehr, die Trojaner-Programme oder Spyware schreiben. Es gibt Gruppen in verschiedenen Ländern, darunter Brasilien, China und das Baltikum, die aus 30 und mehr Menschen bestehen. Aber alle diese Gruppen arbeiten für sich - noch. Ich habe Angst, dass es in Zukunft unter diesen Gruppen einen Kampf ums Überleben gibt. Und nur die stärksten und cleversten werden überleben. Wir, als Antivirenfirma, werden künftig gegen Verbrecher mit höherem Niveau kämpfen.

SZ: Die ersten Hacker waren Idealisten. Das Internet sollte eine demokratische Plattform sein. Brach man in fremde Netzwerke ein, dann um zu zeigen: "Seht her, so unzureichend sind die Sicherheitsvorkehrungen!" Es gab eine Moral. Gibt es in Ihrer Arbeit ethische Grundsätze?

Kaspersky: Unsere Mission ist es, Computernutzer zum Beispiel vor Trojanern zu schützen, ihnen Sicherheit zu geben und sie über Gefahren zu informieren. Außerdem arbeiten wir mit der Polizei zusammen. Übrigens nicht nur in Russland, sondern weltweit. Antiviren-Spezialisten leisten zwar keinen hippokratischen Eid wie die Mediziner, aber sie haben ähnlich ethische Werte.

SZ: Wie haben sich die Virenepidemien im Lauf der Zeit entwickelt?

Kaspersky: 1997 gab es 20.000 bis 30.000 verschiedene Viren. Heute sind es bis zu 300.000, vielleicht auch mehr. 1997 war das Virenschreiben eine Kunst und ein Hobby, heute ist es eine Industrie.

SZ: Was meinen Sie damit?

Kaspersky: Sie müssen Virusindustrie in Anführungszeichen setzen. Wir wissen nicht genau, wie sie funktioniert. Ein paar Menschen schreiben das Programm, andere verbreiten es, sammeln gestohlene Informationen. Und wieder andere kassieren das Geld und überweisen es auf ein bestimmtes Konto.

SZ: Warum stammen die Viren nicht aus den westlichen Industrienationen?

Kaspersky: Aus zwei Gründen: erstens die wirtschaftliche Entwicklung. In Ländern mit einer intakten Ökonomie ist die Kriminalität niedriger.

Cyberkrieger aus Moskau

Zweitens die Mentalität. In Japan werden keine Viren geschrieben. Japaner begehen keine Internet-Verbrechen, für sie wäre das eine Schande. Wenn wir nach Europa oder in die USA blicken, dann fällt auf, dass die meisten Computerviren von Emigranten geschrieben werden.

Wurm auf Bildschirm

Nur nicht neugierig sein und alle Mails öffnen - manchmal ist der Wurm drin.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Was kann man gegen die Angriffe dieser Gruppen tun?

Kaspersky: Die Architektur der Computersysteme und die Netzwerke verfügen über keinen Schutz gegen das Eindringen der Hacker, da sie vor 35 Jahren entwickelt wurden. Natürlich könnte man sichere Netzwerke entwickeln, aber dann müsste man wieder bei Null anfangen, und das ist nicht möglich. Der einzige Schutz ist, Antivirensoftware zu installieren, nicht neugierig zu sein und E-Mails unbekannter Herkunft nicht zu öffnen. Besiegen wird man die Hackerindustrie wohl nie.

SZ: Inwieweit lassen sich die Netze für terroristische Anschläge nutzen?

Kaspersky: Darauf will ich nicht antworten. Aber es ist richtig, das Internet kann für Terrorattacken genutzt werden.

SZ: Verraten Sie uns trotzdem, wie man sich das vorzustellen hätte?

Kaspersky: Nein, ich habe Angst, dass dieses Szenario sonst eines Tages real werden könnte.

SZ: Die Welt des Internets wächst unablässig. Halten Sie es für möglich, dass künftig ein virtueller Krieg einen realen ersetzen könnte?

Kaspersky: Es gab bereits Versuche, einen virtuellen Krieg zu führen. Im April 2001 kollidierte ein amerikanisches Spionageflugzeug mit einer chinesischen Jagdmaschine. Hacker beider Länder fingen darauf hin an, Internetressourcen der jeweils anderen Seite zu attackieren.

SZ: Chinesische Hacker überschwemmten US-Regierungs- und Firmenseiten im Internet mit patriotischen Parolen oder versuchten, sie mit Viren lahm zu legen. Welche anderen Szenarien sind in einem Cyberkrieg noch denkbar?

Kaspersky: Internetinformationen werden immer wichtiger, gerade für staatliche Informationssysteme. Die Zerstörung solcher Computernetze könnte Teil geplanter militärischer Operationen sein oder die Infiltration mit Propaganda. Das kann zu Desinformation des Gegners kommen. Aber ich hoffe natürlich, dass so etwas nicht passieren wird.

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