Video-Formate:Filmen für die Tonne

Wer Familienfilme digital sichert, erweist sich selbst einen Bärendienst. Ein Film auf DVD oder Speicherkarte ist für den Moment praktisch, aber nichts für die Ewigkeit - zu oft wechseln Formate und Speichermedien.

P. Illinger

Haben Sie schon AVCHD? Oder sind Sie noch bei MPEG-2? Sagen Sie jetzt bitte nicht Mini-DV oder so was, denn das würde bedeuten: Sie verpassen soeben den digitalen Fortschritt. Und falls Ihre Antwort VHS lautet, verabschieden wir Sie hiermit herzlich in die Steinzeit der Videofilmerei.

Video-Band, ddp

Verdorbene Filme: Wer digitale Filme konservieren will, hat es schwer - zu oft gibt es neue Speichermedien.

(Foto: Foto: ddp)

Wie bitte? Sie wissen gar nicht, worum es hier geht? Nun, die Details sind an sich auch nicht so wichtig. Die genannten Abkürzungen bezeichnen technische Formate, mit denen Videokameras Daten speichern - und wen interessiert schon, was im Inneren einer Videokamera - modern Camcorder - während des Filmens so vorgeht.

Wer jedoch in Betracht zieht, die eigenen Videofilme aufzuheben, etwa um den Kindern später einmein paar Eindrücke aus deren Jugend vorzuführen, der sollte sich durchaus den zunehmenden Irrsinn vor Augen führen, mit dem die Unterhaltungsindustrie die Amateurfilmer dieser Welt überschüttet.

Einfach gesagt liegt die Sache so: Die meisten der modernen, handlichen Videokameras, die millionenfach über die Elektronikladentische gehen, machen sensationell gute Aufnahmen. Aber fast keinen dieser Filme wird man in ein paar Jahren noch ansehen können.

In immer kürzeren Abständen pumpt die hyperventilierende Unterhaltungsindustrie neue Video-Formate auf den Markt. Das sind praktisch undurchschaubare Codes, mathematische Algorithmen, die Bits in Bilder (und zurück) verwandeln. Ein Ende dieser Flut ständig neuer Formate ist nicht in Sicht. Womöglich wird bereits das nächste Format lanciert, während dieser Text in Druck geht. Auf diese Weise entstehen nicht nur weltweit täglich viele Milliarden Gigabites an Videodateien, sondern auch ein unüberschaubarer babylonischer Wust an kaum mehr zu entschlüsselnden Dateien.

Stundenlang Film im Daumennagel-Format

Der Camcorder SD9 von Panasonic zum Beispiel ist ein faszinierendes Stück Technik. Leitz-Objektiv, drei lichtempfindliche Chips für hochauflösende Videobilder, und das beste: Es gibt keine beweglichen und somit reparaturanfälligen Teile mehr. Kein Band, das sich in den Innereien der Kamera verwursteln kann. Kein Kassettenschacht, der sich so umständlich öffnet wie das Cabrioverdeck eines Horch aus der Vorkriegszeit. Die SD9 und speichert ihre erstaunlich scharfen Videobilder auf einer winzigen, daumennagelkleinen Speicherkarte. Mehrere Stunden Film mit Dolby-Digital-Surround-Ton passen da drauf.

Sogar die Zeitschrift Popular Science, das amerikanische Zentralorgan für Technik-Freaks, zollte der SD9 in Form einer Explosionszeichnung Respekt. Elektronisch wird das Zittern der menschlichen Hand ausgeglichen, während eine Software Gesichter erkennt und auf diese scharfstellt.

Später allerdings, wenn es darum geht, der Kamera einen Film zu entlocken, hört der Spaß aprupt auf.

Sicher, man kann die Kamera mit einem Kabel an einen PC oder Apple-Computer anschließen. Für Windows-Nutzer ist sogar eine Software beigelegt, die Videodateien auf den Computer übertragen soll. Doch schon beim Starten dieses Programms sieht man sie in erschreckender Klarheit vor dem geistigen Auge - jene hornbebrillten Schlauberger aus einem Computerkurs der Realschule von Osaka, die diese lächerliche Software offenbar ausgeheckt haben.

Auf der nächsten Seite: Amateurfilmer mit High-Tech Ausrüstung.

Filmen für die Tonne

Die Hersteller moderner Camcorder haben schlicht kein Interesse daran, was ihre Kunden erleben, nachdem diese eines ihrer Produkte erworben haben. Wer beispielsweise in den ersten Monaten nach Erscheinen der SD9 versuchte, die Kamera an einen Apple-Computer anzuschließen, erlebte ein digitales Desaster.

Dasselbe passierte seinerzeit auch mit den ebenso guten Konkurrenzgeräten. Die gern als multimediale Wunderkisten angepriesenen Apple-Rechner waren monatelang nicht in der Lage, auch nur ein einziges Videoschnipsel aus der neuen Generation von Digitalkameras sichtbar zu machen. Absturz, Aus, Ende.

Der Grund war das eingangs genannte Kürzel AVCHD. Es bezeichnet das zurzeit neueste, für hochauflösende Fernseher entwickelte Videoformat, mit dem die modernen Camcorder von Panasonic und anderen Filme aufzeichnen. Diese Technik war in der ersten Hälfte dieses Jahres so neu, dass sogar die ansonsten so avantgardistische Firma Apple damit überfordert war. Erst als die einschlägigen Internet-Foren überquollen mit schäumenden Wutausbrüchen enttäuschter Camcorder-Besitzer, reagierte Apple. Mittlerweile können Macs auch AVCHD.

Ein kleines Missverständnis, könnte man nun denken, Problem behoben, Bahn frei für alle Videofilmer mit AVCHD und großen Flachbildschirmen. Doch das Problem liegt tiefer. Die Angelegenheit war vielmehr ein übler Vorgeschmack auf das, was Videofilmer generell in den kommenden Jahren erwarten wird.

In den Anfangszeiten der Videofilmerei gab es immerhin noch so etwas wie einheitliche Formate: VHS, Hi8 und die heute noch gebräuchliche Mini-DV-Kassette. Darauf waren Filmaufnahmen einigermaßen zuverlässig gespeichert, man konnte mit ein paar einfachen Kabeln zwischen Kamera, Abspielgerät oder auch einem Computer hin und her kopieren. Ambitionierte schnitten am Heimcomputer sogar den einen oder anderen Film zusammen.

Filmproduktion am Heimcomputer

Heute bekommt jeder Amateurfilmer eine Technik in die Hand, für die professionelle Filmemacher und TV-Anstalten noch vor wenigen Jahren sechsstellige Summen bezahlten. Für ein paar hundert Euro gibt es Software dazu, die den Heimcomputer in einen Videoschnittplatz verwandelt, der theoretisch auch eine komplette Fernsehproduktion bewältigen könnte.

Dieser rasante technische Fortschritt hat auch die Kinobranche erfasst. Noch vor wenigen Jahren erschien es unvorstellbar, dass Hollywoods Regisseure je auf das bewährte Zelluloid verzichten könnten. Heute redet die gesamte Branche von einem Wunderwerk namens Red One, einer sagenhaften Digitalkamera, die nur 17500 Dollar kostet und es mit den klassischen 35-Millimeter-Kameras aufnehmen kann.

Als der Hersteller, ein ehemaliger Sonnenbrillenfabrikant, im vergangenen Jahr vor Hollywoods Elite einen mit der Red One gedrehten Kurzfilm vorführte, knickte Kult-Regisseur Steven Soderbergh sofort ein. Soderbergh, der Regisseur von Out of Sight, Erin Brokovich und der Ocean's-Reihe, filmt seither digital.

Dass die Kinowelt noch nicht komplett digitalisiert ist, liegt weniger an der optischen Qualität des Filmmaterials. Diskutiert wird die Frage: Wie hebt man einen Digitalfilm auf? Zelluloid-Rollen kann man in ein Regal legen. Videodateien muss man speziellen Dienstleistern überlassen, die für deren konservierung horrende Gebühren aufrufen.

Auf der nächsten Seite: Warum Filme auf Band am sichersten sind.

Filmen für die Tonne

Verderbliche Ware

Wie aber beantworten Amateure und Hobbyfilmer die Frage nach der Haltbarkeit ihrer Filme? Was, wenn es nicht nur darum geht, einen schnellen Gag bei Youtube abzusetzen? Wie kann man all die kristallklaren Bilder aus modernen Camcordern noch in einigen Jahren (oder Generationen) genießen? Wohin mit jenen filmischen Dokumenten, die den Rest der Welt wohl kaum interessieren werden, aber für einen selbst und die eigene Familie von großem Wert sind?

Im Fall von digitalen Fotografien ist die Antwort einfach: Man kann von Dateien in jedem Drogeriemarkt klassische Fotoabzüge machen lassen, wie sie schon die Großeltern ins Album klebten - als materielle Manifestation der flüchtigen Digitalwelt. Mit einem Videofilm ist das nicht möglich.

Die naheliegen Lösung sind selbstgebrannte DVDs. Doch Vorsicht, Experten schätzen die Haltbarkeit der Rohlinge auf rund ein Jahr. Eine externe Festplatte, so heißt es, sei derzeit das zuverlässigste Medium für digitale Daten. Aber ist es das, was man seinen Kindern später einmal vermachen will? Eine alte Festplatte?

In jedem Fall ähnelt das Bemühen, digitale Daten langfristig zu erhalten, dem Versuch, den Schaum einer Badewanne zu konservieren. Die Videofilme betreffend kommt noch hinzu, dass alle Mühe umsonst ist, wenn die Computer in einigen Jahren den Datenbrei nicht verstehen, den Camcorder heute ausspucken.

So gesehen hat der digitale Fortschritt für Amateurfilmer viel Glamour, aber nur wenig Substanz zu bieten. Immerhin: Man kann Webseiten wie www.ebay.de besuchen. Dort gibt es sie noch gelegentlich, die Super-8-Kameras, mit denen uns unsere Eltern einst filmten.

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