Vergütung digitaler Musik:Wie iTunes Match der Kulturflatrate den Weg ebnet

Apple-Kunden können ihre Musiksammlung gegen eine Pauschale legalisieren lassen - und die sonst kritische Musikindustrie lobt den Dienst. Im Prinzip ähnelt das Modell einer anderen Idee: Erhält die Kulturflatrate nun eine neue Chance?

Dirk von Gehlen

Der Anfang der Geschichte ist bedeutsam: "Ein Kunde betritt das Geschäft", lautet der erste Satz einer Erzählung, an der der Computerhersteller Apple seit Beginn des Jahres arbeitet. Von der Strahlkraft dieses Satzes hängt das Urteil über die dann folgende Geschichte ab.

Steve Jobs

Steve Jobs bei der Präsentation der iCloud im Jahr 2011: Tausche alte Songs gegen neue.

(Foto: AP)

Die weiteren Sätze beinhalten vereinfacht gesagt dies: Der Kunde bringt eine Musik-Kassette mit, auf die er Lieder aufgenommen hat. Er legt die Kassette auf die Theke und verlässt den Laden wenig später mit den gleichen Liedern in besserer Qualität auf einer nagelneuen CD.

Der Kunde hätte auch fünf oder zehn Kassetten mitbringen können. Das Geschäft wäre in gleicher Weise abgewickelt worden: Der Kunde zahlt pauschal etwa 25 Euro und bekommt seine kopierte Musik im Gegenzug in bester Qualität - zum Mitnehmen. So geht das Jahr für Jahr. Denn der Ladenbesitzer möchte, dass der Kunde alle Musik, die er besitzt, in sein Geschäft trägt. Der Kunde kann die Lieder dort ablegen und der Ladenbesitzer verspricht ihm im Gegenzug, stets und überall genau den Song vorzuspielen, den er sich gerade wünscht.

Spätestens hier wird klar, dass der Vergleich mit der analogen Welt nur bedingt hilft, um zu verstehen, welcher Art die Geschichte ist, die im digitalen Raum gerade ihren Anfang nimmt. Bei dem beschriebenen Szenario handelt es sich - wie gesagt stark vereinfacht - um das Angebot "iTunes Match", mit dem die Firma Apple ihre Kunden dazu bringen will, Musik in der so genannten cloud zu speichern.

Wolkenzugriff auf Knopfdruck

Mit dem englischen Wort für Wolke wird eine von zahlreichen Computerfirmen betriebene Entwicklung beschrieben, Daten nicht mehr zentral auf dem eigenen Rechner, sondern verteilt auf zahlreiche Server im Netz zu speichern. Diese Server gehören Firmen wie Google, Amazon oder eben Apple, die dann den Zugang zu den Daten kontrollieren, für die allerdings viel mehr Speicherplatz zur Verfügung steht als auf dem heimischen Computer. Apple nennt sein Angebot "iCloud" und verspricht dem Nutzer, mit dem Dienst "Match" auch dann auf Lieder zugreifen zu können, wenn er diese eigentlich gar nicht mit sich führt - eben übers Internet.

Das klingt angenehm: Immer alles dabei haben, was man gerade wünscht, ohne es wirklich rumtragen zu müssen. Eben wie eine Wolke, die irgendwo am Himmel schwebt und auf Knopfdruck auf die eigenen Wünsche reagiert. In der Werbesprache von Apple heißt dies: "Mit iTunes Match können Sie für nur 24,99 Euro pro Jahr Ihre gesamte Musiksammlung (selbst Songs, die sie nicht bei iTunes gekauft haben) in iCloud speichern und von allen Ihren Geräten darauf zugreifen."

Erstaunlich daran ist der Zusatz in Klammern. Denn ob die Lieder von importierten CDs kommen, bei anderen Anbietern erworben wurden oder aus Tauschbörsen stammen, ist Apple egal. Wer die jährliche Zugangsgebühr bezahlt, bekommt den Titel in bester Qualität und quasi mit legalem Apple-Siegel.

Kein Wort über rechtliche Schritte

In der Sprache der Lobbykampagnen der Verwerter-Industrie, die mit fragwürdigen Begriffen wie Raubkopie und Diebstahl argumentieren, müsste man dieses Angebot vermutlich so zusammenfassen: Der Nutzer fährt mit einem Wagen, dessen Herkunft unklar ist, vor das Autohaus und verlässt es mit einem fabrikneuen auf ihn zugelassenen Pkw.

Eine Pauschale für Musik

Doch erstaunlicher Weise sieht man es beim Bundesverband Musikindustrie in Berlin ganz anders. Auf Anfrage bricht der Geschäftsführer förmlich in Jubel aus. Kein Wort von rechtlichen Schritten, die man gegen Apple anstrengen werde. Obwohl man das bei Privatpersonen, die illegale Musik im Netz anbieten (übrigens meist ohne damit Geld verdienen zu wollen), regelmäßig tut.

Im Fall der Firma Apple, die ziemlich sicher Geld verdienen will, liegt die Sache offenbar anders. Florian Drücke begrüßt "den neuen Cloud-Service", weil dieser "das Spektrum digitaler Musikangebote um eine spannende neue Facette" erweitere.

Um zu verstehen, was er damit meint, muss man sich den Satz vom Anfang der Geschichte in Erinnerung rufen: "Ein Kunde betritt das Geschäft." Das ist iTunes Match zu verdanken und da die Musikindustrie offenbar Sorge hat, den Kunden gar nicht mehr in ihre Läden locken zu können, lobt Florian Drücke das Angebot: "Im Rahmen des neuen Apple-Dienstes werden die Nutzer - auch diejenigen, die bislang illegal im Internet unterwegs waren - in eine sehr attraktive und nutzerfreundliche legale Umgebung geführt und ermutigt, diese verstärkt zu nutzen", sagt der Geschäftsführer.

"Damit haben die neuen Services ein großes Potenzial, die legale Distribution von Musik im Internet voranzutreiben." Dass sie damit womöglich illegal erworbene Songs in bessere Qualität überführt, stört Drücke nicht. Er versteht es vielmehr "als zusätzlichen Anreiz des Dienstes".

Das sagt einiges über das Verhältnis der Musikindustrie, die die Inhalte liefert, zum Computerhersteller Apple aus, der lediglich den Rahmen in Form von Endgeräten und Software zur Verfügung stellt, die ohne Musik allerdings stumm blieben. Apple bringt die Musikindustrie dazu, ein Modell zu unterstützen, das sie unter anderem Namen bisher abgelehnt hat: die Kulturflatrate.

Kaum ein Unterschied

Dieses pauschale Vergütungsmodell soll - wie Drücke es bezeichnen würde - die legale Distribution von Musik im Internet vorantreiben. Wie bei der heute schon üblichen Leermedienabgabe auf CDs oder Kassetten sollen Nutzer einen pauschalen Betrag fürs legalisierte Downloaden im Netz zahlen.

Der Betrag würde nicht jährlich an Apple überwiesen, sondern monatlich über den DSL-Anbieter abgerechnet, der ihn abzugsfrei an eine unbürokratische nicht-kommerzielle Gesellschaft überführt, die auf diese Weise die Künstler bezahlt. Bisher fand diese Idee in der Musikindustrie wenige Fürsprecher.

Vielleicht ändert sich das jetzt. Denn in Wahrheit unterscheidet sich dieses Modell kaum von den Apple-Cloud-Diensten, die nun gelobt werden. Einziger Unterschied: Bei der Kulturflatrate kümmert sich ein Interessenvertreter der Musiker um das vom Nutzer gezahlte Geld und nicht ein Computerhersteller, der in erster Linie eigene Interessen verfolgt und danach erst an die angemessene Vergütung der Künstler denkt. Musikern und ihren Fans wäre die Abrechnung über eine Kulturflatrate vermutlich sympathischer.

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