Verfolgte Hacker:Computer sind keine Schusswaffen

Die Liste der staatlich verfolgten Hacker, Netzaktivisten und Whistleblower ist lang. Im besten Fall sind sie Kämpfer für eine bessere Welt, so wie Aaron Swartz einer war. Von seiner Arbeit wird die Gesellschaft noch lange nach seinem Tod profitieren.

Ein Kommentar von Johannes Boie

Es sollte ein politisches Zeichen sein und wurde zum Kapitalverbrechen gemacht: Mehrere Male schlich sich der Student Aaron Swartz in einen kleinen Technikraum am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort lud er 4,8 Millionen wissenschaftliche und historische, aber nicht geheime Dokumente aus einem Archiv herunter, um sie der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

Swartz, damals 24, galt längst als Wunderkind der digitalen Generation. Schon als 14-Jähriger hatte er begonnen, sich mit den Grundlagen des digitalen Urheberrechts zu befassen. Als begabter Programmierer schuf er technische Grundlagen, die den Informationsaustausch im Netz vereinfachten. Als er die Dokumente illegal herunterlud, wurde Swartz erwischt. Die Besitzer des Archivs ließen zwar ihre Klagen fallen, und Swartz veröffentlichte die Dokumente nie. Doch die Staatsanwaltschaft verfolgte ihn weiter. Er musste eine Kaution von 100 000 Dollar zahlen. Als Strafe drohten ihm bis zu 35 Jahre Haft. Swartz erhängte sich am 11. Januar 2013.

35 Jahre Haft - das ist eine Strafe, die zum Beispiel über Mörder verhängt wird.Dass Swartz bei dem verhältnismäßig geringen Schaden, den er verursachte, dieselbe Strafe angedroht wurde wie einem Mörder, ist eine Schande für das US-Rechtssystem. Das amerikanische ist nicht das einzige System, das sich mit angemessener Strafverfolgung für digitale Verbrechen schwertut.

Maßlosigkeit der staatlichen Verfolger

Die Liste der verfolgten Hacker, Netzaktivisten und Whistleblower, also Menschen, die staatliche oder unternehmerische Geheimnisse an die Öffentlichkeit tragen, ist lang. Die Fälle sind über die ganze Welt verteilt, sehr unterschiedlich und kaum vergleichbar. Ein Muster bildet aber die Maßlosigkeit der staatlichen Verfolger, sobald Computer bei der mutmaßlichen Straftat im Spiel sind.

Im September 2012 trat zum Beispiel der Premier von Neuseeland vor die Presse. Er musste sich für den Umgang des Staates mit dem finnisch-deutschen Internet-Unternehmer Kim Schmitz entschuldigen. Schmitz, der in Neuseeland lebt, mag unsympathisch sein, und vielleicht wird er eines Tages schuldig gesprochen für das Gebaren seiner Firma Megaupload. Aber dass ihn der neuseeländische Geheimdienst überwacht hat, ist schlicht illegal, ebenso wie die Weitergabe von Beweismaterial durch neuseeländische Behörden an das amerikanische FBI.

Am härtesten traf es wohl Bradley Manning. Der junge US-Soldat, der als Whistleblower wohl aus idealistischen Gründen vertrauliche Dokumente des amerikanischen Militärs über den Internetdienst Wikileaks veröffentlicht haben soll, stand am Mittwoch wieder einmal vor Gericht. Die Richterin räumte ein, dass seine Haftbedingungen "teilweise illegal" seien. Nach seiner Verhaftung war Manning acht Monate in einem Militärgefängnis gesessen. Dort musste er bis zu 23 Stunden am Tag in Einzelhaft verbringen und nackt in seiner Zelle schlafen.

Jeder der Hacker-Fälle verdient seine eigene Beachtung und jeder Täter sein eigenes Urteil. Im besten Fall sind diese Menschen Kämpfer für eine bessere Welt, so wie Aaron Swartz einer war, von dessen Arbeit die Gesellschaft noch lange nach seinem Tod profitieren wird. Sie verstehen die Technik, die uns im Alltag umgibt, und sie setzen sich dafür ein, sie so frei wie möglich verwenden zu dürfen.

Und selbst wenn ihre Motive weniger hehr sind, verletzen sie bei ihren Straftaten keine Menschen unmittelbar. Ein digitaler Einbruch ist eine Eigentumsverletzung, keine Körperverletzung. Eine illegale Kopie greift womöglich ins Eigentum ein, aber nicht ins Leben. Die Justiz muss zwischen einer Schusswaffe und einem Computer zu unterscheiden lernen.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Suizide zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung im Fall Swartz gestalten wir deshalb bewusst zurückhaltend, wir verzichten weitgehend auf Details. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide.

Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

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