US-Wahl im Internet:Basis ersetzt Elite

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Das Internet hat den Wahlkampf verändert. Möglicherweise schlägt diese Demokratisierung auch auf die Regierungsarbeit durch.

Tobias Moorstedt

Die Datenbank hat ein menschliches Gesicht. Im Hauptquartier von Barack Obama, hoch oben in einem Wolkenkratzer in der Michigan Avenue in Chicago, haben seine Mitarbeiter eine Pappwand aufgestellt und mit Passfotos der Mitglieder von Mybarackobama.com beklebt - das Foto-Mosaik zeigt nur ein paar tausend der knapp zwei Millionen Menschen, die Barack Obama auf der Online-Plattform mit Geld-Spenden und freiwilliger Arbeit unterstützt haben.

Über die Website Mybarackobama.com knapp zwei Millionen Menschen Obama mit Geld-Spenden und freiwilliger Arbeit unterstützt. (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Während das Wahlkampf-Team am Abend des 4.November feiert, hat die virtuelle Masse zumindest eine optische Präsenz - aber auf der Wand sind nicht nur Studenten und Afro-Amerikaner zu sehen, sondern auch Arbeiter, Männer mit Glatze, Teenager, die noch nicht einmal wählen dürfen, und eine 92-jährige Großmutter, die sich eigens einen Computer angeschafft hat, um E-Mails lesen und verschicken zu können. Die Fototapete ist eine Trophäe, die gefeiert wird, wie die Zahlen die über die TV-Bildschirme flimmern - "Wir haben eine Volksbewegung geschaffen."

In der Wahlnacht reden die Talking Heads über die Motive der Wähler und die politischen Folgen des demokratischen Sieges - und nur in einem sind sich MSNBC, FoxNews, New Yorker und New York Post, Linke und Rechte, Intellektuelle und Krawallmacher einig: das Web, Smartphones und Medien-Software haben den Wahlkampf für immer verändert.

Obama nahm im Wahlkampf mehr als 640 Millionen Dollar ein - einen Großteil davon über das Netz. Blogger und Bürgerjounalisten eroberten die Meinungshoheit im hysterischen, digitalen Diskurs.

Basis ersetzt Elite

Die DSL-Leitungen und Wifi-Netze bildeten eine Partizipationsarchitektur, in die sich die Menschen einloggen und so wieder mit dem politischen Prozess verbinden konnten - in den letzten drei Tagen vor der Wahl veranstalteten die Mybarackobama.com-Mitglieder mehr als 50000 Fundraising- und Support-Events, führten mehr als 1,3 Millionen Telefonanrufe für ihren Kandidaten - laut Exit Polls wurden 32 Prozent der Wähler vom "Obama Camp kontaktiert", nicht durch TV-Spots oder Robo-Calls, sondern von Mensch zu Mensch.

Die New York Times schrieb kurz vor der Wahl beeindruckt: "Not since 1960, when John F. Kennedy won in part because of the increasingly popular medium of television, has changing technology had such an impact on the political campaigns and the organizations covering them." Der Bush-Berater Mark McKinnon meinte beeindruckt: "2008 war das Jahr, in dem wir in Lichtgeschwindigkeit gewechselt haben, in dem das Paradigma der Basis das Paradigma der Elite ersetzt hat."

Barack Obama sprach in seiner Siegesrede von der "brillantesten Kampagne in der Geschichte der Politik", er sagte aber auch: "Ich werde ehrlich zu euch sein. Ich werde euch zuhören", und nahm so das Leitmotiv der neuartigen und transparenten Kampagne wieder auf, das ihn die vergangenen 22 Monate begleitet hatte. Andrej Rasej vom Personal Democracy Forum erklärt auch die hohe Wahlbeteiligung durch "die Zugangsmöglichkeiten, die durch digitale Medien geschaffen wurden".

Laut einer Studie des "Pew Internet & American Life"-Projekts erklärten 28 Prozent der Befragten, das Internet verleihe ihnen das Gefühl, in einem "direkteren und persönlicheren Kontakt mit den Kandidaten" zu stehen, 22 Prozent sagten, ohne das World Wide Web wären sie "weniger oder gar nicht involviert". Raseij: "Das ist nur der Anfang einer gründlichen Revolte - eine Redistribution der politischen Macht von oben nach unten."

Die Entscheidung im Wahlkampf wurde um 5 Uhr Nachmittag zunächst auf dem (konservativen) Blog "Drude Report" angekündigt - schon Stunden später diskutierte man im Netz darüber, was von diesem perfekten, politischen Sturm wohl bleibt. Bringt die erste Internet-Kampagne den ersten Internet-Präsidenten hervor, der, wie die Blogger-Magnatin Arianna Huffington meint, "die Macht der Technologie nutzen wird, um die Regierungsarbeit transparenter, effizienter und partizipatorischer zu machen".

Das Internet als digitales Gemeindezentrum

Ist das demokratische Netz mehr als ein Traum von Informatik-Studenten und der notorisch visionären Open-Source-Gemeinde? Funktioniert das Internet als digitales Gemeindezentrum, als ein grüner Pixel-Baum, unter dem die Menschen zusammenkommen, um über die besten Lösungen zu diskutieren - selbst- bestimmt und frei?

Die Obama-Berater in Washington bereiten sich seit langem auf die Übergangsphase vor, und mutmaßen, dass ein Dutzend der mehr als 90 New Media-Experten, die Obama im Wahlkampf unterstützt haben, auch ins Weiße Haus folgen werden. "Die Web-Community wird aufgeteilt", meint Thomas Gensemer, Managing Director von Blue State Digital, "denn es gibt dort Wahlkämpfer, die die Republikaner schlagen wollen, und es gibt Leute, die wirklich an der Lösung von speziellen Problemen interessiert sind".

Die Webseite des Weißen Hauses darf kein Web-2.0-Forum sein, von dem man in Richtung rechts schießt - Andrej Rasej meint trotzdem, dass Obama seine knapp zwei Millionen Fans "in Zukunft direkt anschreiben kann, um Unterstützung für gewisse Gesetzesvorhaben zu bekommen".

Erst die folgenden Jahre und Legislaturperioden werden zeigen, ob das Internet mit seiner inhärenten Interaktivität und Transparenz dauerhaft und jenseits der Wahlkampf-Euphorie zu einer Revitalisierung der Demokratie beitragen kann. Auch abseits des Wahlkampfes gibt es bereits Internet-Projekte, die die Web-2.0-Werte wie Transparenz und Interaktivität in den politischen Alltag integrieren. Webseiten wie "10 Questions" oder "Bigdebate" helfen dem Kollektiv mit ein paar Mausklicks eine Agenda zu formulieren.

Die Webseiten Opencongress und Congresspedia funktionieren ganz ähnlich wie Wikipedia: Experten und Amateure erstellen freiwillig und ohne Bezahlung Dossiers zu den einzelnen Abgeordneten, die über deren Abstimmungsverhalten, Reden und Mitgliedschaften in Gremien informieren, sodass jeder auf den ersten Blick sehen kann, ob sich ein Parlamentarier eher für Bildungs- oder Verteidigungspolitik interessiert, oder ob er seinen Worten auch Taten im Parlament folgen lässt - durch die intuitive Aufbereitung in Google Maps und Wikis, durch die vertraute Oberfläche, die Buttons, blauen Links und klickbaren Indizes, findet man sich in dem Universum US-Kongress zurecht.

Barack Obama hat für den Fall eines Wahlsieges einige Reformen angekündigt, die einen neuen, progressiveren Zugang zum Regieren, aber auch zur Technologie vermuten lassen. In einer "googlebaren" Datenbank will er Angaben zu den Ausgaben der Bundesregierung ins Netz stellen.

Open-Source-Legislative

Obama hat außerdem angekündigt, er werde einen Blog schreiben und seinen Wählern bei Online-Fireside-Chats erklären, wie die Politik funktioniert. Darüber hinaus will er jeden Gesetzesentwurf, der keinen Notfall behandelt, einige Tage lang im Internet veröffentlichen, damit Bürger, Wissenschaftler und Firmen den Text lesen und kommentieren können - eine Art Open-Source-Legislative.

Es ist Morgen in Amerika. Die Leitungen surren, die Server brummen. "This is the moment, this is the time". In Washington aber ist schon der Alltag angebrochen. "Die Puristen der Online-Revolution", meint ein leitender Berater von Obama, "werden in den nächsten Jahren sicher enttäuscht sein. Washington bleibt Washington. Hier werden weiter Deals in Hinterzimmern gemacht".

© SZ vom 06.11.2008/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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