Urheberrecht:Verdi: Gewerkschaft an der Sperr-Spitze

In einem umstrittenen Positionspapier regt Verdi ein Internet-Stoppschild bei Urheberrechtsverletzungen an - ein Vorschlag, der für heftige Kritik sorgt.

Dirk von Gehlen

In der vergangenen Woche kündigte der britische Premierminister David Cameron an, das Urheberrecht verändern zu wollen. Seine Regierung wolle das britische Immaterialgüterrecht überprüfen und "fit machen fürs Internet-Zeitalter".

´FAZ": EU will Internetsperren einführen

Das geplante Stoppschild für Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten stellte die Bundesregierung zurück - die Gewerkschaft Verdi bringt nun einen ähnlichen Mechanismus für Urheberrechtsverletzungen ins Spiel.

(Foto: Jens Schierenbeck/dpa)

So formulierte es der konservative Regierungschef, nachdem ihm die Google- Gründer erklärt hatten, dass sie die größte Suchmaschine der Welt im britischen Königreich niemals hätten erfinden können, weil die Gesetze dort zu restriktiv sind. "Ich möchte deshalb auch hier kreative Innovationen ermöglichen, die es in den USA bereits gibt", kündigte Cameron an.

Es ist ebenfalls erst ein paar Tage her, dass auch der Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sich zum Urheberrecht im Internet geäußert hat. Dass man dort andere Ansichten vertritt als in einer konservativen Regierung, erscheint auf den ersten Blick wenig verwunderlich.

Vor dem Hintergrund gelernter politischer Muster vom Bewahren und Reformieren muss man das Positionspapier, das Verdi gerade veröffentlicht hat, allerdings sehr wohl mit Erstaunen lesen.

Denn die Gewerkschaft schlägt zur Beantwortung der Frage, wie das Urheberrecht im Zeitalter der Digitalisierung aussehen soll, Antworten vor, die das Gegenteil sind von dem, was David Cameron vorschwebt: Verdi will das Gesetz nicht an die neue Realität anpassen, sondern vielmehr auch mittels harter Strafen, die neue Realität in die Muster des gelernten Denkens zwingen.

Politische Sprengkraft im Positionspapier

Dazu schließt die Gewerkschaft auch Mittel nicht aus, die bisher vor allem in der Debatte um Netzsperren für kinderpornographische Angebote diskutiert wurden, und selbst da als problematisch eingestuft wurden.

Im Positionspapier wird angeregt, "Instrumente zu finden, die es ermöglichen, dass beim Aufruf einer Seite mit illegalen Angeboten ohne Registrierung der Nutzer/innen-IP auf dem Monitor eine - von dazu legitimierten Institutionen vorgeschaltete - Information über die Rechtswidrigkeit des Angebots und dessen Nutzung erscheint."

Das klingt vor allem wegen seiner einschränkenden Sprache vorsichtig abwägend, birgt aber große politische Sprengkraft. Denn vergleichbare Warnschilder tauchten zuletzt in der sogenannten Zensursula-Debatte auf, als die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen, mittels einer Sperrtechnologie gegen Kinderpornographie vorgehen wollte.

Kritiker hielten ihr damals vor, damit mindestens billigend eine Infrastruktur aufzubauen, die geeignet ist, Zensur- und Überwachung auch in anderen Fällen zu befördern. Unter dem Slogan "Löschen statt Sperren" setzte sich die digitale Zivilgesellschaft im Jahr 2009 stattdessen dafür ein, konsequente Löschungen zu forcieren und dafür die demokratischen Grundlagen des Internet nicht in Frage zu stellen.

Denn wenn die Möglichkeiten zur Sperrung erst mal geschaffen sind, so die Befürchtung der Kritiker, kann niemand mehr kontrollieren, ob sie tatsächlich ausschließlich im Kampf gegen Kinderpornographie eingesetzt werden. 134015 sogenannte Mitzeichner trugen am Ende eine Online-Petition, die sich dagegen aussprach, Internetseiten zu indizieren und zu sperren.

Eine Idee, die niemandem hilft

Spätestens seitdem argumentieren Internetpolitiker wie der schwedische Europaparlamentarier Christian Engström, dass die Debatte um Netzsperren für kinderpornographische Angebote in erster Linie ein willkommener Vorwand sei, um Vergleichbares auch für Urheberrechtsverstöße zu erwirken.

Engström berichtet in seinem Blog von einer Veranstaltung in der amerikanischen Handelskammer in Stockholm, bei der ein Vertreter einer dänischen Antipiraterie-Gruppe Kinderpornographie als "tolle Sache" gelobt haben soll, "weil Politiker sie verstehen. Indem wir diese Karte spielen, bringen wir sie zum Handeln und zum Einstieg in Netzsperren. Und wenn sie das erst mal getan haben, bekommen wir sie auch dazu, Filesharing-Sites zu sperren."

Schon 2007 hatte der Weltverband der phonographischen Wirtschaft (IFPI) in seinem Jahresbericht (pdf hier) angeregt, künftig eine "ähnliche Technik" einzuführen, wie man sie zur "Sperrung des Zugangs zu Kinderpornographie einsetzt, um den Zugang zu Websites zu verhindern, die den illegalen Tausch von urheberrechtlich geschützter Musik ermöglichen."

Vor diesem Hintergrund gewinnt das Verdi-Papier eine doppelte Brisanz: Denn ausgerechnet eine Gewerkschaft spielt hier denjenigen Arbeitgebern in die Karten, die vereinfacht oft Musikindustrie genannt werden. Zwar ist die entsprechende Formulierung mit großer Vorsichtig gewählt, doch allein die Tatsache, dass Verdi den Verstoß gegen Urheberrechte in einen Kontext mit der Debatte um Kinderpornographie bringt, verhöhnt die Opfer und wirft ein fragwürdiges Licht auf die Gewerkschaft.

Deren Glaubwürdigkeit hilft es dann auch nicht, dass Verdi-Chef Frank Bsirske noch im September bei der digitalen Bürgerrechtsdemo "Freiheit statt Angst" als Redner auftrat, bei einer Veranstaltung, deren erklärtes Ziel unter anderem die Verhinderung von Netzsperren ist.

In seinem Tätigkeitsbericht hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar bereits vor drei Jahren darauf hingewiesen, dass man über das berechtigte Interesse der Verwerter und Urheber an einer angemessenen Vergütung die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht aus dem Auge verlieren darf (pdf hier). Diese sollten, so Schaar, "den Interessen der Rechteinhaber und dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses sowie sonstiger Verfassungsgüter gleichermaßen Rechnung tragen."

Tauschbörsen und Kriminalität

Die Diskussion darüber, wie mittels neuer Modelle eine angemessene Vergütung auch im Internet erreicht werden kann ist überfällig. Für eine solche unbedingt sachlich zu führende Debatte ist es aber zunächst notwendig, die Nutzung von Tauschbörsen nicht in den Kontext von Schwerstkriminellen zu stellen.

Vielmehr muss man anerkennen, dass das digitale Kopieren für viele Menschen zu einem selbstverständlichen Bestandteil ihres Alltags geworden ist, der sich kaum vom Hören eines Lieds im Radio unterscheidet. Dabei hat niemand das Gefühl, einen Raub oder Diebstahl zu begehen.

Dennoch hat man auch hier Modelle gefunden, die eine angemessene Vergütung der Künstler und Interpreten sicherstellen. Es haben sich Geschäftsansätze gefunden, die trotz der unkontrollierten Verbreitung von Musik im Radio, die Vergütung der Musiker und Verwerter garantieren.

Kulturflatrate und flache Debatte

Solche Modelle auch für den digitalen Raum zu finden, ist die große Herausforderung für die Organisation von Wissen und Information im Internet. Ein Themengebiet, das nicht wenige Netzpolitiker für ähnlich bedeutsam halten wie die Organisation von Arbeit im 20. Jahrhundert, dem klassischen Themenfeld einer Gewerkschaft.

Die Idee einer Kulturflatrate, die das System einer pauschalen Gebühr, die derzeit schon als sogenannte Leermittelabgabe bei zum Beispiel Rohlingen praktiziert wird, auf das Internet übertragen möchte, lehnt das Verdi-Papier als "untaugliches Instrument" ab, ohne allerdings eine positive Alternative zu formulieren.

Doch die kommt vielleicht schon bald aus ganz anderer Richtung: Vor 300 Jahren wurde in London die Statue of Anne erlassen, das erste Urheberrechtsgesetz moderner Prägung. Heute lässt abermals ein britischer Regierungschef an dem Thema arbeiten. Vielleicht gelingt ihm ja ein Entwurf, der Vorbildcharakter auch für Deutschland hat. So lange wird hier eben weiter über Netzsperren debattiert.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

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