Urheberrecht und Datenpiraterie:"Allen Fischen in den Darm sehen"

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Werden die Rechte der Verlage digital verwaltet, verdienen sie mehr Geld, aber der Kunde verliert seine Privatsphäre.

Monika Ermert

(SZ vom 5.2.2002) - Die Lage ist nicht ernst - sondern sehr ernst. Nicht 15 oder 50 Prozent, sondern 100 Prozent Verlust verzeichne der traditionsreiche Schott-Verlag bei manchen musikalischen Werken, sagt sein Geschäftsführer Peter Hanser-Strecker. "Die Premiere eines Werkes ist oft die Derniere seines Verkaufs." Und die Schuldigen stehen schon fest: Es sind die Piraten, die Hacker, die Netzkriminellen.

Anders als bei Napster können die Leser, Hörer oder Zuschauer bei einem auf "Digital Rights Management" basierenden System ihre Ration an digitaler Unterhaltung erst dann abrufen, wenn sie den passenden Software-Schlüssel erworben haben. (Foto: N/A)

Mit seiner Klage ist Hanser-Strecker nicht allein. "Versuchen Sie mal in einer Wüste, wo rechts und links illegale Ölquellen sprudeln, eine Tankstelle aufzumachen", klagte Peter Zombik von der Internationalen Vereinigung der phonographischen Industrie vergangene Woche in Berlin auf einer Tagung über "Digital Rights Management". Diese Systeme (DRM) dienen zur Verwaltung der Urheber- und Verwertungsrechte an digitalen Musikstücken, Filmen und Texten. Dank DRM sollen die Anbieter solcher "Inhalte" endlich tun können, was ihnen die New Economy seit Jahren verspricht - im Internet das große Geld verdienen.

Das zumindest sagen die Hersteller solcher Systeme, heißen sie nun Intertrust, Adobe, Gemstar eBook oder info2clear. Ausgereifte DRM-Produkte trennen säuberlich den Vertrieb von Lizenz und Inhalt. Dieser wird mit Wasserzeichen versehen, verschlüsselt und eingepackt. Erst wenn Leser, Hörer oder Zuschauer das Nutzungsrecht erworben haben, erhalten sie per Internet den passenden Software-Schlüssel, mit dem sie ihre Ration an Information oder Unterhaltung abrufen und auspacken können. Ein komplettes DRM-System ist laut der Bertelsmann-Tochter Digital World Service ein Rundum-Sorglos-Paket für die Inhalteanbieter wie Schott.

Hacker ins Gefängnis

Den Kunden aber steht eine Kulturrevolution bevor. Denn das Besondere am "idealen" DRM-System ist, dass die Käufer nur die Portion bekommen, für die sie auch bezahlt haben. Während eine gekaufte Single heute rund fünf Euro kostet, aber beliebig nutzbar ist, kann man bei DRM für zehn Cent ein Musikstück einmal anhören, für einen Euro einen Tag lang. Aber ein dauerhaftes Nutzungsrecht kostet zehn Euro. Diskutiert werden auch Abonnements-Modelle: Hier kann der Kunde die Musik so lange hören, wie er Gebühren zahlt. Kündigt er, werden alle Dateien auf seiner Festplatte schlagartig wertlos. "Man kann", schwärmt Thomas Sander von der kalifornischen Firma Intertrust, "ungeheuer viel mit den Maschinen machen."

Zu den angepriesenen Vorteilen für den Musikfan gehört, dass er seine Lieblings-Songs in Zukunft gar nicht mehr speichern muss. Weil er ohnehin nur noch das Nutzungsrecht erwirbt, und nicht mehr die Scheibe, kann er nach den Vorstellungen von Intertrust die Musik auch auf allen denkbaren Endgeräten abspielen - natürlich nur, wenn er eine "Lizenz für alle Maschinen" gekauft hat - nicht nur eine "Einmal-Hören-Lizenz".

Doch die Akzeptanz dieser schönen neuen Welt, in der man alles per Klick bezahlt, ist alles andere als gesichert. DRM-Kritiker erwarten Konsumverzicht oder wenigstens einen Sturm der Entrüstung - und digitale Angriffe großer und kleiner Piraten.

Die Lücken im DRM-Netz, die sich auf technischem Weg nicht stopfen lassen, soll daher der Gesetzgeber schließen. Auch in Deutschland hält Elmar Hucko, Ministerialdirigent im Bundesjustizministerium, Geld- oder Gefängnisstrafen gegen Hacker für konsensfähig, wenn die Europäischen Urheberrichtlinie umgesetzt wird. "Natürlich stecken wir die alle ins Gefängnis", sagte er auf der Konferenz.

Trotz der nach außen getragenen Gewissheit bleiben viele Diskussionspunkte. Umstritten ist zum Beispiel das Schicksal der Privatkopien. Da konnte der Vertreter des "Inhalte-Riesen" Bertelsmann noch so zackig behaupten, dass man auf die Privatkopie in Zukunft halt verzichten müsse, weil sie nicht ins System passe. Geht es nach der Industrie, sind die Zeiten vorbei, in denen man ein gekauftes Buch verleihen, verschenken oder verkaufen konnte.

Dem aber widersprach etwa der niederländische Juraprofessor Bernt Hugenholtz. DRM mache aus einem öffentliche Gut eine Ware. Weder entspräche das der klassischen Urheberrechtsidee, denn sie betrachte die Ansprüche der Autoren als Ausnahme, während die Regel der freie Zugang zur Information für alle sei. Noch seien verbriefte Freiheiten der Nutzer gewährleistet - und dazu gehört die Privatkopie.

Selbst das amerikanische Urheberrechtsgesetz Digital Millennium Copyright Act (DCMA) erlaube doch wenigstens das Knacken von Kopierschutzsystemen bei berechtigten Ansprüchen von Privatnutzern oder Bibliotheken, so Hugenholtz. Der freie Informationszugang muss nach Ansicht von Cyberspace-erfahrenen Juristen künftig eher geschützt werden.

Auch die Datenschützer kritisieren DRM-Systeme angesichts der unbeschränkten Möglichkeit, Daten über die Benutzer zu sammeln. Zwar beteuern die DRM-Anbieter, dass ihre Technik prinzipiell "neutral" sei und die Anbieter von digitalen Inhalten mit ihren Kunden die Konditionen aushandeln können. Sich Musik oder auch Pornofilme wie bisher anonym zu kaufen, ist aber in DRM-Systemen kaum vorstellbar.

Wenn sich die Nutzer schon ein "digitales Wohnzimmer" für ihren Medienkonsum einrichten, müsse der Schlüssel dafür ganz allein beim virtuellen Hausherrn liegen, forderte Alexander Dix, der brandenburgische Beauftragte für den Datenschutz. So wie das Bundesverfassungsgericht einst der Rechteverwertungsgesellschaft Gema das Aufstöbern von Kassettenrekordern verbot, weil sie damit die Unverletzlichkeit der Wohnung durchbrochen hätte, sei auch die Bespitzelungen des digitalen Wohnzimmers unzulässig. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums müsse daher auch dringend die Erlaubnis zum "Hacken" aus Datenschutzgründen enthalten.

Kritik an DRM-Systemen äußerte schließlich auch der Schott-Manager Hanser-Strecker: "Es ist doch, als wollten sie bei allen Fischen der Weltmeere den Darm kontrollieren. Dazu müssen alle Tiere rausgeholt und markiert werden, und dann sind gleich ein paar krepiert." Tatsächlich muss sich erst noch zeigen, ob Fische und Piraten da mitmachen.

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