Urheberrecht im Internet:Die Möchtegern-Piraten

Anarchie ist keine Freiheit: Der Mensch darf sich vom Internet nicht in die unkontrollierbare Unordnung manövrieren lassen.

Stefan von Moers

Diese Debatte ist zu führen. Darf man aus dem Internet alles kostenfrei herunterladen, nur weil das technisch möglich ist? Dabei geht es nicht um die Radikalisierung der Debatte über die digitale Kultur, sondern um eine Debatte über die Radikalität der digitalen Un-Kultur.

Urheberrecht im Internet: Fördert das Internet Rechtsverstöße per Mausklick und Tastendruck?

Fördert das Internet Rechtsverstöße per Mausklick und Tastendruck?

(Foto: Foto: iStockPhoto)

Die neue "Netzgesellschaft" ist mit herkömmlichen Methoden, Mitteln und Mechanismen nicht zu fassen. Da gibt es keine Verhältnismäßigkeiten, keine Ermessensspielräume. Der Staat, Staatsgrenzen und Rechtsordnungen sind dem Internet fremd. Nun bescheinigt man den Kritikern des bestehenden Urheberrechts, dass die digitalen Vordenker nachvollziehbar argumentieren und ihre Motivation in den allermeisten Fällen die Überzeugung sei, für eine bessere Welt einzutreten.

Ist schon das in dieser Pauschalität einigermaßen abwegig, so ist die nachfolgend überaus langwierige Befassung mit der Tätigkeit von Abmahn-Anwälten und entsprechend spezialisierter High-Tech-Unternehmen im Bereich der Urheberrechtsverstöße eine geradezu absurde Verwechslung von Ursache und Wirkung.

Die Feststellung, das fehlende Unrechtsbewusstsein beim Thema Copyright der mit dem Internet aufgewachsenen Generation und die daraus resultierende Unwissenheit beruhe auch darauf, dass die junge Generation Rechtsbrüche per Mausklick begehe, verkennt die anarchische Struktur des Problems insgesamt. Der Urheberrechtsverstoß per Mausklick ist nicht Pokerspielen mit Spielgeldchips. Der Pirat mit dem rebellischen Gestus ist kein Robin Hood.

Die Judikative wird mit dem Internet allein gelassen

Das Internet ist konzeptionell so angelegt, dass unabhängig von rechtlichen Vorgaben und technischen Hindernissen Daten jedenfalls weitergegeben und abgerufen werden können. Das massenhafte Abmahnen und Anzeigen von Usern, Internetnutzern, "Endverbrauchern" ist deswegen nicht weniger, aber auch nicht mehr als Reflex und Reaktion von Urhebern und der die urheberrechtlich geschützten Werke finanzierenden Industrie, die, weil der Gesetzgeber die Judikative mit dem Internet weitgehend alleine lässt, sich an "die Kleinen" wendet, also die User und Konsumenten, weil "die Großen" wie die Tauschbörsen oder gar die Raubkopiesyndikate nicht zu fassen sind.

Das ist weder schön, noch eine bessere Welt, sondern Faktum. Natürlich würden Musiker, Filmschaffende, Produzenten sich lieber an Raubmitschneider, Raubkopierer, Tauschbörsen und dergleichen wenden - was jedoch weitestgehend scheitert, weil diese nicht greifbar, mit technischen Mitteln nicht ermittelbar und mit konventionellen rechtlichen Möglichkeiten nicht erfassbar sind.

Wenn Kontrolle schwer ist oder in wesentlichen Segmenten unmöglich, ist es leicht, Pirat zu sein, da ist rebellischer Gestus nur Attitüde und ideologischer Hintergrund nicht in Sicht. Allenfalls der Versuch, die Urheber und die Industrieteilnehmer, die sich gegen massenhafte Urheberrechtsverletzungen zur Wehr setzen, pauschal als konservatives Lager oder radikale Fraktion, die nicht diskutierbereit sei, zu diskreditieren, ist ideologisch.

Das anarchistische Internet und seine Folgen

Zuerst war der Verstoß, dann kam die Gegenwehr. Die Annahme, auch nur ein Urheber würde lieber den Diebstahl an seinem Werk verfolgen als sein Werk zu verkaufen, erscheint in diesem Kontext geradezu obszön.

Wahr ist, dass das Internet anarchisch ist und sich damit herkömmlichen juristischen Regelungsmöglichkeiten bis dahin weitgehend entzieht. Was heißt im Internet schon Vorsatz oder bedingter Vorsatz, wenn das technisch weder vorgesehen noch erfassbar ist? Versuche, Urheberrechtsverstöße im Internet mit herkömmlichen Mitteln zu bekämpfen, werden ohne global gültige Regelungen immer beim Endverbraucher enden, gelegentlich bis zum Provider vordringen und darüber hinaus an der strukturellen Andersartigkeit des Internets scheitern - nicht unähnlich der Bekämpfung anderweitig weltweit agierender krimineller Organisationsstrukturen.

Soll aber ein Kreativer und/oder ein die Herstellung des Werkes finanzierender Produzent gegenwehrfrei akzeptieren müssen, dass sich in der "Parallel-Welt Internet" seine zuvörderst die Herstellungskosten refinanzierenden Einnahmen (Hinweis: Danach kommt erst der Gewinn) in Luft auflösen?

Den Nachweis, dass der kostenfreie beliebige Zugriff auf urheberrechtlich geschützte Werke in eine (digitale) bessere Welt mündet, ist mitnichten erbracht. Die Behauptung, dass Urheber und die betroffenen Musik-, Film- und Verlagsindustrien insbesondere nicht debattierbereit seien, ist falsch.

Spannungsfeld zwischen Copyright und Internet

Die Darstellung, ein konservativer Gegenpol zur digitalen Vordenkerschaft manifestiere sich intensiv in einer wachsenden Abmahnindustrie, ist allenfalls provokativ, jedenfalls deutlich zu kurz geraten und in keiner Hinsicht wegweisend. Die Befassung mit dem deutschen Abmahnwesen und mit Gebührenordnungen ist mit Blick auf die geforderte lösungsorientierte globale Debatte jedenfalls weder inspirierend noch hilfreich bei der Lösung dieses Konflikts, der weit über technische und juristische Fragen hinausgeht.

Wenn man akzeptieren würde, dass fehlendes Unrechtsbewusstsein und Unwissenheit ihren Grund nicht zuletzt darin haben, dass die Rechtsverstöße per Mausklick, also per Knopfdruck stattfinden, dann begibt man sich nicht nur historisch gesehen auf ein gefährliches Pflaster.

Es geht um mehr Unrechtsbewusstsein und/oder eine neue Ordnung des Spannungsfeldes zwischen Copyright und Internet, mehr Wissen und darum, dass der Mensch sich nicht vom Internet in eine in welcher Hinsicht auch immer vollkommene unkontrollierbare (Un-)Ordnung manövrieren lässt.

Der Autor ist Jurist und praktiziert in München.

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