Umstrittenes Sicherheitsgesetz:Was die Gerichte zur Vorratsdatenspeicherung sagen

Vielen gilt die Vorratsdatenspeicherung als Verletzung der Bürgerrechte - auch für die obersten deutschen und europäischen Richter ist sie ein Balanceakt. Die sechs wichtigsten Fragen zur juristischen Situation.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe und Robert Roßmann, Berlin

Schon in den wenigen einleitenden Sätzen seiner "Leitlinien" zur Vorratsdatenspeicherung benutzt das Bundesjustizministerium fünf Mal die Adjektive "eng" und "streng". Das soll heißen: Man ist sich bewusst, dass das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof (EuGH) nur einen schmalen Korridor für die Wiedereinführung der Speicherpflicht lassen - wenn überhaupt. Deshalb lohnt ein Blick auf die Vorgaben der beiden Gerichtshöfe:

Ist die Vorratsdatenspeicherung prinzipiell rechtlich zulässig?

Für das Bundesverfassungsgericht ist die Frage ziemlich klar mit Ja zu beantworten. Zur damals geplanten sechsmonatigen Speicherpflicht sagte Karlsruhe in seinem Urteil von 2010, sie sei mit dem Grundgesetz "nicht schlechthin unvereinbar". Das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) scheiterte letztlich an seiner Unverhältnismäßigkeit. Das Gericht ließ aber eine Hintertür für die Wiedereinführung offen. Diese will die Regierung jetzt nutzen. Die Leitlinien von Justizminister Heiko Maas (SPD) sehen eine Höchstspeicherdauer von nur noch zehn Wochen vor. Außerdem darf auf die Daten nur mit Zustimmung eines Richters zugegriffen werden. Und Berufsgeheimnisträger wie Ärzte und Pfarrer werden vor der VDS geschützt.

Was sagt der Europäische Gerichtshof?

Grundsätzlich hat auch das oberste EU-Gericht - ähnlich wie zuvor das Bundesverfassungsgericht - anerkannt, dass die Vorratsdatenspeicherung zumindest im Grundsatz auch einem Gemeinwohlziel diene, und zwar der "Bekämpfung schwerer Kriminalität und somit letztlich der öffentlichen Sicherheit". Dennoch ist umstritten, ob der EuGH Spielraum für einen neuen Anlauf gelassen hat.

In seinem Urteil stellt das Gericht fest, dass sich die Richtlinie auf "sämtliche Verkehrsdaten" erstrecke - ohne Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahmen. "Sie gilt also auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte." Es ist schwer zu sagen, ob daraus ein Komplettverbot des EuGH für jegliche "anlasslose" Speicherpflicht abzuleiten ist. Einerseits hat sich der EuGH in Sachen Datenschutz zu einem strengen Wächter entwickelt. Andererseits beruht sein Urteil letztlich doch auf einer Abwägung zwischen Sicherheitsbelangen und Datenschutz - eine Abwägung, die bei einem höheren Schutzstandard für die Daten auch zugunsten der Sicherheit ausfallen könnte.

Darauf verweist jetzt auch Maas. Seine Leitlinien sehen zwar immer noch eine anlasslose Datenspeicherung vor. Dafür ist der Umfang der Daten, die gespeichert werden sollen, kleiner als früher. Der Email-Verkehr und die aufgerufenen Internetseiten sollen nicht mehr erfasst werden.

Was wird Karlsruhe sagen?

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 die Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten als "besonders schweren Eingriff" bezeichnet, weil damit "aussagekräftige Persönlichkeits- und Bewegungsprofile" erstellt werden könnten. Daran muss das neue Gesetz aber nicht unbedingt scheitern. Denn Karlsruhe erachtete den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen vor allem deshalb als gravierend, weil die Kommunikationsdaten über einen längeren Zeitraum gespeichert werden sollten und damit ein sehr detailliertes Bild eröffnet hätten.

Das neue Vorhaben der Bundesregierung geht von drastisch kürzeren Speicherfristen aus. Die "Zeitleiste" des Kommunikationsprofils fällt also vergleichsweise kurz aus. Zudem differenziert das Ministerium nach Sensibilität der Daten: Die besonders sensiblen Standortdaten, die bei Telefonaten mit Handys anfallen, dürfen nur vier Wochen lang gespeichert werden.

Die Sicherheit der Daten und der Schutz von Whistleblowern

Wie steht es um die Datensicherheit?

Das war bereits 2010 ein zentraler Punkt der Karlsruher Entscheidung - die Verfassungsrichter drangen auf ein "hohes Maß an Sicherheit". Heiko Maas hat diese Vorgaben explizit aufgegriffen und um die Erfahrungen aus den Snowden-Enthüllungen angereichert - die Daten dürfen deshalb nur im Inland gespeichert werden.

Kann der Bundesrat das Projekt noch verhindern?

Die Grünen, die die Vorratsdatenspeicherung vehement ablehnen, sitzen zwar in neun der 16 Landesregierungen. Das neue Gesetz soll aber so abgefasst werden, dass es nicht zustimmungspflichtig ist. Die Länderkammer könnte es also auch dann nicht verhindern, wenn die Grünen und die Thüringer Linken dort eine Blockademehrheit mobilisieren könnten.

Werden die Berufsgeheimnisträger ausreichend geschützt?

Zu diesem Personenkreis zählen außer Ärzten und Seelsorgern etwa auch Rechtsanwälte, Apotheker, Abgeordnete und Journalisten. Ihre Verbindungsdaten werden künftig ebenfalls gespeichert, sie dürfen allerdings nicht genutzt werden. Das Justizministerium sah keine andere Möglichkeit, den Schutz praktikabel und ohne datenschutzrechtliche Probleme zu lösen.

Um die Berufsgeheimnisträger schon von der Speicherung auszunehmen, hätten gewaltige Listen mit den Daten aller Berufsgeheimnisträger erstellt werden müssen. Diese hätten dann den privaten Telekommunikationsanbieter übergeben werden müssen, damit diese die Betroffenen von der Speicherung ausnehmen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: