TV-Anbieter in den USA:Aereo trickst Kabelfernsehen aus

TV-Anbieter in den USA: Die Mini-TV-Antennen von Aereo sind direkt auf Platinen verlötet ...

Die Mini-TV-Antennen von Aereo sind direkt auf Platinen verlötet ...

(Foto: G.GIRALDO; Aereo)

Raubkopie oder clevere Geschäftsidee? Die Cloud-Antennen von Aereo fangen Signale der Kabelfernsehsender ab und bringen sie gegen Gebühr zum Kunden - ein Geschäft, das bislang den Fernsehanbietern vorbehalten war. Jetzt muss der Supreme Court über die radikale Geschäftsidee urteilen.

Von Johannes Boie, New York

Wer genau hinhört, der kann ein kleines Zischen vernehmen. Die Lunte brennt. Gut möglich, dass bald der nächste Markt explodiert. Irgendwann werden Historiker über diese Zeit schreiben, und dann werden sie womöglich notieren, dass nach der Musik- und Filmindustrie, kurz bevor die Autohersteller dran waren, sich die amerikanischen TV-Networks ihrem drohenden Niedergang stellen mussten.

Aereo heißt die kleine, kluge Technik, die derzeit in den USA die großen alten TV-Anbieter, darunter NBC, Disney und Turner, in Bedrängnis bringt. Und es sieht ganz danach aus, als spielte sich einmal mehr die Geschichte ab von den alten, stolzen Konzernen, die zu schwerfällig und groß geworden sind, um ihr Geschäft einer neuen digitalen Welt anzupassen. "Das haben wir schon immer so gemacht" funktioniert als Geschäftsstrategie aber nur so lange, bis einer daherkommt und es anders macht.

Und Aereo macht so ziemlich alles radikal anders. Die New Yorker Firma bietet ihren Kunden klitzekleine Antennen, nicht größer als eine Münze, die sich einerseits mit den Antennen anderer Aereo-Nutzer verbinden und andererseits eine Verbindung zum TV-Signal unterschiedlicher Sender herstellen. Deren Bild speichert Aereo blitzschnell auf einem Internetserver zwischen und bringt es dann über die Internetleitung auf die Bildschirme des eigenen Kunden.

TV-Anbieter in den USA: ... und zu regelrechten Antennen-Wäldern angeordnet.

... und zu regelrechten Antennen-Wäldern angeordnet.

(Foto: G.GIRALDO; Aereo)

Bis zu 70 Dollar billiger als andere Anbieter

Und zwar nicht nur auf den Fernseher, der für viele Amerikaner höchstens noch der Mittelpunkt des Wohnzimmers ist, aber nicht mehr des Lebens. Stattdessen erscheint das von Aereo transportierte TV-Bild auch auf jedem beliebigen Handy, Tablet oder Computer. Der Kunde kann, weil die Übertragung ja im Netz zwischengesichert ist, einzelne Sendungen dauerhaft speichern, und er kann in ihnen herumspulen. Das Ganze kostet acht Dollar im Monat. Das sind mindestens 15, häufig aber eher 60 bis 70 Dollar weniger als die Angebote der alten Anbieter.

Aereo nutzt für sein Angebot zwei klassische Techniken der neuen digitalen Welt: Neben der Cloud, in der die Sendungen gespeichert werden, ist das "Unbundeling", das Herauslösen einzelner Angebote aus großen Paketen ("Bundles"), ein Trend, der viele Angebote im Netz verändert. So verkauft die Musikindustrie heute viele einzelne Lieder über Portale wie iTunes, obwohl sie sich einst darauf eingestellt hatte, immer ganze Alben mit mehreren Musikstücken zu vertreiben.

Digitale Produkte lassen sich ohne Aufwand neu strukturieren, in einzelne Texte anstelle von ganzen Büchern zum Beispiel - oder eben auch in einzelne Sender statt ganze Pakete mit vielen Programmen. Dieser Trend zwingt ganz unterschiedliche Branchen dazu, ihre Angebote und Preise zu verändern.

Ist das der Sieg des freien Marktes oder einfach eine neue Art von Raubkopie?

TV-Anbieter in den USA: Die Mini-TV-Antennen von Aereo - gerade mal so groß wie der Dime, die amerikanische Zehn-Cent-Münze.

Die Mini-TV-Antennen von Aereo - gerade mal so groß wie der Dime, die amerikanische Zehn-Cent-Münze.

(Foto: G.GIRALDO; Aereo)

Erste Tests der Miniantenne von Technikjournalisten fallen enthusiastisch aus. Kein Wunder also, dass Aereo in jenen urbanen Gebieten Amerikas, in denen die Technik bislang verfügbar ist, die Kunden in Scharen zulaufen.

Und kein Wunder, dass stellvertretend für die ganze TV-Branche der Sender ABC, der zu Walt Disney gehört, nun gegen Aereo vor dem Supreme Court vorgeht.

Ein bisschen ist auch das Teil der sehr klassischen Geschichte: Bei ungewohnter Konkurrenz am Markt werden erst mal die Anwälte eingeschaltet, bevor die attackierten Altkonzerne mit innovativen Ideen ihre Marktanteile verteidigen. Andererseits können Juristen über die neue Aereo-Technik tatsächlich vortrefflich streiten.

Zum einen stellt sich die im amerikanischen Recht sehr relevante Frage, ob Aereo-Übertragungen eine "öffentliche Aufführung" darstellen, weil schließlich sehr viele Menschen mit ihren kleinen Antennen zugucken. Dann würden Urheberrechtsgesetze greifen, und Aereo wäre so, wie es ist, wohl rechtswidrig. Kommen die Richter dagegen zum Schluss, dass die Übertragung vielen parallel verlaufenden "privaten Aufführungen" entspricht, hat Aereo einen ersten Teilsieg zu vermelden.

Die Branche fordert Lizenzgebühren, Aereo will nicht zahlen

Doch damit nicht genug: Aereos Gegner argumentieren auch grundsätzlich. Das Abfangen des TV-Signals sei im Grunde eine andere, neue Form der Raubkopie, sagen sie. Aereo stellt dem entgegen, dass die Signale ohnehin in der Luft seien und gratis verbreitet würden. Das stimmt - nur bislang werden in den USA in der Regel die Signale letzten Endes von Kabelanbietern an die Endkunden weitergeleitet, die einerseits den Produzenten wie ABC dafür hohe Lizenzgebühren bezahlen. Und das hat Aereo nicht vor. Genau das fordert aber die Branche.

Wer das verstehen will, muss den amerikanischen TV-Markt kennen. Vereinfacht dargestellt funktioniert der bislang so: Die Sender kassieren mehrfach. Neben der Werbung im Programm und dem einen oder anderen Homeshopping-Kanal verdienen sie vor allem an den Lizenzgebühren, die Kabelbetreiber ihnen für das Recht, ihre Inhalte zu verbreiten, überweisen. Die Kabelbetreiber wiederum verticken, um die Gebühren zu refinanzieren, deshalb praktisch nur gebündelte Angebote: mehrere Sender in einem Paket.

Die Radikalität, mit der Aereo vorgeht, war in der Branche nicht vorstellbar

Die Kabelanbieter liefern den Endkunden also aus mehreren Kanälen gebündelte Angebote. Dafür müssen die Zuschauer ordentlich bezahlen. "Fast jeder TV-Zuschauer in den USA bezahlt zum Beispiel für den Sportsender ESPN, selbst wenn er Sport hasst und nie zuschaut", sagt David Hazinski, Professor für Telekommunikation an der University of Georgia (UGA), ehemaliger NBC-Korrespondent. Und genau deshalb habe Aereo vor dem Supreme Court womöglich gute Karten: "Das Konzept, Kunden für Dinge zahlen zu lassen, die sie nicht möchten, ist undemokratisch und steht einem freiem Markt im Weg", sagt Hazinski.

Weil aber auf dem Werbemarkt derzeit die Preise sinken, wollen die Sender auf keinen Fall eine neue Technik im Markt haben, die ihnen auch noch die Lizenzgebühren streitig machen könnte. Dabei haben die großen Anbieter in den vergangenen Jahren zaghaft versucht, mit den Entwicklungen Schritt zu halten - allerdings eher, indem sie neue Produkte in ihre Angebotspakete aufnahmen, zum Beispiel Zugriff auf das Filmportal Netflix. Doch die Radikalität, mit der Aereo die Sache angeht, war in der Branche nicht vorstellbar.

Die Erfahrung kommt nicht von ungefähr. Die Firma, die die TV-Branche angreift, wird ausgerechnet von einem ehemaligen Star der amerikanischen Networks finanziert. Barry Diller, 72-jähriger Milliardär und Ex-Chef von Paramount und Fox - in Deutschland eher bekannt als Ehemann der Designerin Diane von Fürstenberg - ist Aereos Finanzier. Der Supreme Court wird voraussichtlich im Juni eine Entscheidung fällen.

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