Soziales Netzwerk:Wie Medien auf Snapchat Teenagern nachjagen

Das soziale Netzwerk ist besonders bei Teenies für alberne Schnappschüsse beliebt. Deutsche Verlage wollen dort die Jugend zurückgewinnen.

Von Sebastian Jannasch

Anfang August war Weltkatzentag. In sozialen Netzwerken ist das ein Festtag. Fotos und Videos der flauschigen Haustiger fluteten auch die App Snapchat. Bild.de postete dort eine Hitliste der beliebtesten Katzenclips. So weit, so banal. Umso erstaunlicher, dass schon am nächsten Tag auf demselben Kanal eine Reporterin über die Lage in Syrien berichtete.

Nach Youtube, Facebook und Whatsapp ist Snapchat die nächste Trend-App. Weltweit hat die Plattform 150 Millionen Nutzer täglich. In Deutschland sollen es 2,5 Millionen sein. Vor allem bei Teenagern ist die App beliebt. Laut Forschungsverbund Südwest nutzt sie bereits jeder dritte Jugendliche regelmäßig, Tendenz stark steigend.

Die Popularität bei Jugendlichen lockt nun auch die Medienhäuser an. "Viele Verlage sind hellhörig geworden und experimentieren damit, wie sie junge Menschen auf Snapchat mit redaktionellen Inhalten erreichen können", sagt Stephan Weichert, Medienwissenschaftler an der Hamburger Hochschule Macromedia. Internationale Marken wie CNN und National Geographic produzieren bereits täglich Inhalte. Nun wollen auch immer mehr deutsche Medien die Millennials getauften Teenager und jungen Erwachsenen zurückgewinnen, die mit gedruckten Zeitungen und fixem Sendeprogramm nur wenig anfangen können.

Snapchat erschien lange als ein denkbar ungünstiger Ort für klassische Medien. Quietschbunt, pubertär, zuweilen anzüglich - so gab sich die Plattform. Jugendliche verwenden Snapchat, um spontane Momentaufnahmen ("Snaps") an Freunde zu schicken, meist garniert mit knalligen Emojis, bunten Stickern und digital aufs Gesicht montierten Hundeohren. Höchstens zehn Sekunden nach dem Öffnen zerstört sich die Nachricht. Ideal für peinliche Schnappschüsse. Anfangs verschaffte sich die App dank der Löschfunktion den Ruf eines Basars für Nacktbilder. Die Zeiten sind vorbei. "Snapchat ist schon längst eine Plattform für den Journalismus", sagt Julian Reichelt, Chef von Bild.de. "Wir sehen es als eine gewaltige Chance, eine sehr junge Zielgruppe zu erreichen."

Lassen sich mit bunt verzierten Videoschnipseln Nachrichten vermitteln?

Die Nutzer reizt, dass auf Snapchat nicht wie auf Facebook und Instagram der perfekte Auftritt inszeniert wird. Wenn Reporter Videoschnipsel snappen, wirkt das oft laienhaft, aber auch authentisch. Das kommt an. "Für immer mehr Jugendliche sind soziale Netzwerke wie Facebook und Youtube die wichtigsten Nachrichtenquellen", sagt Journalismusprofessor Weichert. Viele Millennials verlassen sich darauf, dass Neuigkeiten sie über den stetigen Strom der Netzwerke erreichen.

Die Jugendableger von Süddeutsche.de, Zeit Online und Spiegel Online, aber auch eine Regionalzeitung wie die Rheinische Post oder die Bravo experimentieren deshalb mit Snapchat. Sie nutzen die Story-Funktion: Bilder und Videos lassen sich zu einer Geschichte aneinanderreihen und bleiben 24 Stunden auf dem Kanal.

"Unsere Nutzer schauen abends als Letztes und morgens als Erstes auf ihr Smartphone. Wir müssen da sein, wo unsere Nutzer sind", sagt Frauke Lüpke-Narberhaus von Bento, dem Millennial-Portal vom Spiegel. Bento nimmt Zuschauer auf Snapchat mit zu Konzerten und Filmpremieren und gibt Einblicke in die Redaktionsabläufe. "Viele Menschen haben das Vertrauen in die Medien verloren. Unsere Antwort darauf: Wir zeigen, wie wir arbeiten."

Auch die Öffentlich-Rechtlichen probieren sich auf Snapchat aus. "Den Rundfunkbeitrag zahlen alle, und wir wollen Angebote für alle machen", sagt Anja Negendanck, beim WDR zuständig für Social Media. Der Sender snappte beim Karneval und dem Weltjugendtag, der Radiosender Eins Live veröffentlicht täglich eine Story. Das ZDF hat in einem Pilotprojekt fünf Persönlichkeiten aus dem Alltag snappen lassen, vom Astronautentrainer bis zur Dragqueen.

Aber lassen sich mit bekritzelten Schnappschüssen und hastig gedrehten Videos auch harte Nachrichten vermitteln? "Komplexe Themen kann man auf Snapchat nur schwer erklären. Bei den Info-Häppchen besteht die Gefahr, dass wichtige Inhalte verloren gehen", sagt Journalismusprofessor Weichert. Für aktuelle News könne Snapchat aber durchaus geeignet sein. So sieht man es auch beim ZDF, wo in der Redaktion von heute+ über gesnappte Neuigkeiten nachgedacht wird. "Als moderne Nachrichtenredaktion kommt man um das Thema Snapchat nicht herum", sagt Hanna Lauwitz, zuständig für soziale Netzwerke beim Mainzer Sender. Wichtig sei es dabei, passende Formate für das Portal zu entwickeln.

Geld verdienen Verlage dort bisher nicht. Sie wollen Reichweite steigern

Vor Nachrichten à la Tagesschau warnt auch Philipp Steuer, der mit seiner Agentur Snapgeist Unternehmen wie Nintendo und Pro Sieben beim Snappen beraten hat. "Klassische Nachrichten mit abgelesenen Moderationen kommen bei Snapchat nicht an." Der lockere Ton und die persönliche Ansprache müssten erhalten bleiben. Auf dem Kanal von Bild gehören Nachrichten schon zum Themenmix. "Beim Terroranschlag in Brüssel haben wir über Snapchat laufend informiert, beim Putschversuch in der Türkei einen Live-Ticker eingerichtet", sagt der Snapchat-Beauftragte Manuel Lorenz. Fünfstellige Abrufe erziele ein Beitrag mittlerweile im Durchschnitt.

Doch Snappen ist für Medien noch längst kein Selbstläufer. Geld bringt es nicht. Zurzeit wird es genutzt, um die Reichweite zu steigern. Oft werden Snaps nur einige Hundert Mal geschaut, ein Bruchteil verglichen mit Facebook. Hauptproblem: Nutzer müssen den Kanal erst mal finden. Das geht nur mit dem genauen Snapchat-Namen, eine Suche gibt es nicht.

Mehr Aufmerksamkeit bekommen Medien, die es in den Premiumbereich Discover schaffen. Dort lässt sich auch Werbung schalten. Bisher können sich deutsche Medien nicht einkaufen. Ob sich das ändert, verrät Snapchat nicht. Bei Bild.de beobachtet man die Discover-Funktion "mit großem Interesse und großer Begeisterung", sagt Chef Reichelt vieldeutig.

Snapchat-Pioniere machen auf Snapchat einmal mehr die Erfahrung, wie frustrierend es ist, von externen Plattformen abhängig zu sein: Sie erfahren nicht, wie viele Nutzer ihnen folgen. In Snaps können sie keine Links einbauen, die Leser auf die eigene Website lenken. Für die Redaktionen ist es zudem aufwendig, eigene Formate für Snapchat zu entwickeln. Gerade war man froh, Facebook und Twitter bedienen zu können. In vielen Verlagen hofft man deshalb, dass sich die Arbeit lohnt und der Snapchat-Trend so beständig ist wie der Hype um Katzenbilder. Doch das ist unwahrscheinlich. Vor Kurzem führte Instagram die Funktion "Stories" ein, mit der Nutzer Momentaufnahmen in Kurzfilmen zeigen können. Facebook veröffentlichte vergangene Woche die App Lifestage für Schüler. Gut möglich also, dass die Teenies schon bald weiterziehen.

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