Transparenzdebatte im Netz:Was wir über Politiker wissen wollen

Bislang hat die Forderung nach Transparenz bei Politikern viel mit Misstrauen und Kontrolle zu tun - wie die Beispiele Wulff und Guttenberg zeigen. Aber muss das so sein? Die Piratin Marina Weisband und der Grüne Dieter Janecek sind da unterschiedlicher Ansicht.

Hannah Beitzer

Transparenzdebatte im Netz: Wie transparent müssen unsere Politiker sein?

Wie transparent müssen unsere Politiker sein?

(Foto: AP)

Ich bin ein großer Fan von Zuspitzungen, steilen Thesen und hitzigen Diskussionen. Deswegen kann ich der Idee, dass sich der Generationenkonflikt unserer Zeit entlang der Konfliktlinien "online-offline", "neue Medien - alte Medien" und "traditionelle Parteien - neue Beteiligungsstrukturen" abspielt, einiges abgewinnen. Die Kluft zwischen den Digital Natives und ihren Eltern ist in vielen Punkten nicht zu übersehen, wie das zuletzt mein Digitalblog-Kollege Johannes Kuhn am Deutschlandfunk-Interview mit der Essayistin Silvia Bovenschen aufgezeigt hat.

Ein Kampfbegriff ist hier in jüngster Zeit die Transparenz geworden - wie etwa im Artikel "Transparent ist nur das Tote" auf Zeit Online. Byung-Chul Han stellt dort die These auf, dass die Überhöhung der Transparenz die Gesellschaft nicht freier und demokratischer mache, sondern nur neue Zwänge erzeuge und letztlich ein Klima des Verdachts nähre.

Interessanter als den Artikel fand ich jedoch den E-Mail-Wechsel, in dem die Piratin Marina Weisband und der Grüne Dieter Janecek in Reaktion auf den Artikel darüber diskutiert haben, wie transparent ein Politiker eigentlich sein muss. Dieter Janecek, Landesvorsitzender der bayerischen Grünen, hat ihn in seinem Blog veröffentlicht.

Janecek ist zwar mit Mitte 30 kein Alt-68er, aber er gehört zumindestens einer etablierten Partei an, die von den Idealen der 68er geprägt ist - und verspürt, obwohl selbst bloggend und twitternd im Netz unterwegs, ein ziemliches Unbehagen, was die Forderung nach einem transparenten Politiker angeht. Für ihn ist sie sogar "anti-freiheitlich": "Wenn ich keine Grenzen dafür setze, was ich wann von mir preisgebe sondern sogar proklamiere, dass mein ganzes Ich zu jeder Zeit für jedermann quasi verfügbar und somit nutzbar ist, wird die Twitter Timeline nicht zur Informationsquelle sondern zum Gefängnis der zwanghaften Selbstentblößung mit der Verpflichtung zur immerwährenden Kommunikation im ewigen Datennirvana."

Auch Marina Weisband kennt die Kehrseite ständiger Medienpräsenz, wie sie sie zum Beispiel auch in ihrem Blog beschreibt: "Es scheint so zu sein, dass zu einer gewissem Bekanntheit ganz automatisch ein paar Leute mitgeliefert werden, die einen ohne Grund hassen, die beleidigen, die meinen, einen zu kennen und zu durchschauen, ohne einem je begegnet zu sein." Klar: Je mehr ein Politiker von sich an Persönlichem preisgibt, desto angreifbarer wird er auch.

Dieter Janecek will deswegen nicht sein ganzes Privatleben im Netz haben: "Ich dokumentiere seit 2009 meine Arbeit täglich in Facebook, Twitter und Blog. Da ist auch Persönliches und (hoffentlich) Humorvolles dabei, allerdings im Verhältnis 1:10 zu den politischen Inhalten. Nähere Details zu meiner Familie sind für mich z.B. tabu." Dies dürfe man nicht zugunsten von "post privacy" über Bord werfen.

Nun ist "post privacy" ein Prinzip, das gerne als eine der Leitideen der Piraten verkauft wird. Aber siehe da - auch Weisband ist kein Anhänger davon: "Post Privacy bedeutet die Aufgabe der Privatsphäre zugunsten eines toleranteren Umgangs mit allem ehemals verborgenen. Man kann davon halten, was man will - ich jedenfalls zähle mich selbst nicht zu einer Vertreterin dieser Bewegung. Aus dem Grund, dass ich nämlich durchaus Privatsphäre habe. Auch Details über meine Familie sind tabu, so wie einige Bereiche aus meinem Leben."

Stattdessen wünscht sie sich "Offenheit" - Fehler eingestehen, Lernprozesse aufzeigen, einfach ein bisschen Mensch sein. Der Kontrast dazu sei ein Politiker, der immer freundlich, gut vorbereitet und professionell sei - und vor allem niemals Fehler mache und: "Wenn er sie macht, ist er erstmal mit der Vertuschung beschäftigt."

Hier ist genau der Punkt, an dem ich mich frage, ob wir überhaupt schon bereit sind für Transparenz. Auf der einen Seite, da stimme ich Byung-Chul Han zu, hat Transparenz zur Zeit oft etwas mit Misstrauen und Kontrolle zu tun, so wie in den Fällen Guttenberg und Wulff. Fehlverhalten wird aufgedeckt, manchmal bis ins allerkleinste Detail - wie zuletzt bei Wulff. Der Grund: Wir vertrauen "den Politikern" als Klasse, als Gesellschaftsschicht, als Repräsentanten nicht (mehr), wir unterstellen ihnen (hin und wieder sicher zu recht), nur den eigenen Vorteil im Blick zu haben. Und wir wollen deswegen ganz genau wissen, was sie eigentlich machen.

Das Problem ist: Das ist nur eine Seite der Transparenz. Was aber noch fehlt, ist die positive Seite, die Transparenz haben kann. Dass Politiker nicht mehr versuchen, sich als perfekte Überwesen zu inszenieren, sondern dass man sie menschlich sein lässt, dass sie Fehler machen dürfen, auch mal unprofessionell, unwissend, vielleicht sogar dumm sein, dass sie ein Privatleben haben.

Irgendwie sehnen sich die Menschen nach menschlichen Politikern. Aber das Ergebnis ist dabei aber viel zu oft - wie im Fall Guttenberg - eine Überinszenierung des vermeintlich Privaten, die mit Menschlichkeit oder Echtheit nichts zu tun hat.

Sobald wir aber anfangen, Politiker echte Menschen sein zu lassen, fällt es viel schwerer, bedenkenlos alle Verantwortung abzuwälzen, à la: Die sind immerhin gewählt, also sollen sie sich mal kümmern. Wenn man Politiker als Menschen wie Du und ich anerkennt, dann kann man das Selberdenken nicht einfach so einstellen, sondern man muss sich seiner eigenen Verantwortung bewusst werden.

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