Telekommunikationskonferenz in Dubai:So verhandeln die Staaten die Zukunft des Internets

Internetkabel in einem Serverraum

Wer kontrolliert künftig die Infrastruktur des Netzes? In Dubai wird seit heute darüber verhandelt.

(Foto: REUTERS)

In Dubai wird darüber diskutiert, wer künftig das Internet reguliert. Doch was steht bei der ITU-Konferenz wirklich auf dem Spiel? Welche Position vertritt die Bundesregierung? Und warum nimmt die USA eine Sonderrolle ein?

Fragen und Antworten von Mirjam Hauck und Pascal Paukner

Die internationale Staatengemeinschaft macht das Internet zum Thema. Heute beginnt in Dubai die Welt-Telekommunikationskonferenz der ITU, einer Organisation der Vereinten Nationen. Mehr als 190 Staaten, hunderte Unternehmensvertreter und Wissenschaftler diskutieren über die Frage, wer in Zukunft das Internet regulieren soll. Der Vertrag, um den es geht, ist zum letzten Mal vor einem Vierteljahrhundert grundlegend geändert worden.

Was ist die ITU?

Die ITU ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Sie geht zurück auf den 1865 gegründeten Internationalen Telegraphenverein und ist heute für die informations- und kommunikationstechnischen Angelegenheiten der UNO zuständig. Dabei geht es um verwaltungstechnische Aufgaben, wie etwa die Aufteilung von Rundfunkfrequenzen, die Etablierung technischer Standards oder den Infrastrukturausbau in Entwicklungsländern. Hier hat die Organisation einige Erfolge vorzuweisen.

Neben den UN-Mitgliedsstaaten sind auch mehr als 700 Unternehmen und akademische Einrichtungen Mitglied der ITU. In Deutschland sind das etwa Telekommunikationsunternehmen wie die Deutsche Telekom oder Vodafone, Technologiekonzerne wie Bosch oder Siemens, aber etwa auch der Norddeutsche Rundfunk (NDR) oder der Radiosender der Deutschen Welle. Eine Liste der nicht-staatlichen Mitglieder findet sich auf der Webseite der ITU.

Um was geht es beim diesjährigen WCIT-Treffen in Dubai?

Die Internationale Fernmeldeunion (ITU) strebt auf der World Conference on International Telecommunications (WCIT) eine Neufassung der sogenannten International Telecommunication Regulations (ITR) an. Der Vertrag wurde zuletzt im Jahr 1988 grundlegend überarbeitet, jetzt will die ITU die Regeln an die neuen technologischen Bedingungen anpassen. An den Verhandlungen beteiligt sind die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen und zahlreiche Unternehmen sowie akademische Einrichtungen.

Die Konferenz beginnt heute und dauert noch bis zum 14. Dezember an. Vereinbarungen werden nach dem Konsensprinzip getroffen, ein Mehrheitsvotum ist nicht vorgesehen. Das heißt, Entscheidungen werden nur ohne Gegenstimme getroffen. Die Mitgliedsstaaten können Vorbehalte gegen einzelne Regelungen äußen - oder auch ihre Unterschrift ganz verweigern.

Mögliche Szenarien und Stimmen der Kritiker

Welche Szenarien zur Regulierung des Internets werden diskutiert?

Es geht um die Frage, ob die ITU künftig mit Kompetenzen ausgestattet sein soll, die eine Regulierung des Datenverkehrs im Netz ermöglichen. Oder ob sie über diese Kompetenzen weiterhin nicht verfügen soll. Auch wird die Frage diskutiert, welche Rolle die Internetprovider beim Breitbandausbau spielen. Und ob in Zukunft noch alle Daten gleichberechtigt durch das Netz schwirren.

Verlässliche Informationen über den Ablauf der Verhandlungen sind Mangelware. Vieles, was in den vergangenen Wochen und Monaten an die Öffentlichkeit gedrungen ist, basiert auf geleakten Dokumenten, die auf der Plattform WCITLeaks veröffentlicht wurden. So auch ein häufig zitiertes, internes Arbeitspapier der ITU, das sechs Szenarien auflistet:

Szenario 1: Das eigentliche Vertragswerk bleibt unverändert. Sollte es Änderungen geben, werden diese nur in Resolutionen festgehalten. Die Konferenz bliebe vermutlich weitgehend ohne Folgen.

Szenario 2: Eine große Mehrheit der Staaten, darunter die Mehrheit der OECD-Staaten, einigt sich auf grundsätzliche Änderungen am Vertrag. Doch es bleiben einige Länder, welche die Änderungen ablehnen.

Szenario 3: Nahezu alle Länder stimmen für einen substantiell neuen Vertrag. Allein die USA und einige enge Verbündete lehnen das ab.

Szenario 4: Konsens aller Staaten über einen neuen Vertrag. Möglicherweise bleiben Vorbehalte einzelner OECD-Staaten gegen einzelne Artikel.

Szenario 5: Es tritt Szenario 3 oder 4 ein, zusätzlich unterzeichnen einige Staaten ein Zusatzprotokoll etwa zu Sicherheitsfragen.

Szenario 6: Szenario 3 oder 4 tritt ein. Und in den OECD-Staaten kommt es wegen der mangelnden Offenheit des WCIT-Prozesses zu einer "intensiven Anti-Ratifizierungskampagne". Das führt zu einer Ablehung des Vertrages in zahlreichen Ländern. Die ITU nennt es das Acta-Szenario, weil sie in diesem Fall mit massiven öffentlichen Protesten rechnet, wie es sie im Frühjahr gegen das Urheberrechtsabkommen Acta gegeben hat.

Auf Anfrage von Zeit Online bestätigte Paul Conneally, Kommunikationschef der ITU, die Echtheit des Papiers. Allerdings sei es inzwischen veraltet und spiegle nicht mehr die Meinung und Ansichten der ITU-Leitung wieder.

Was befürchten Kritiker der Konferenz?

Kritiker befürchten, eine Kompetenzausweitung zu Gunsten der ITU könnte den Nationalstaaten die Kontrolle des Internets erleichtern. Es gebe Anträge, deren Ratifizierung es den Nationalstaaten erlauben würde, private E-Mails zu durchsuchen. Auch werde diskutiert, Gebühren für die Nutzung sozialer Netzwerke zu erheben, kritisiert etwa die Bürgerrechtsbewegung Access in einer Petition.

Ein häufig geäußerter Kritikpunkt ist auch, dass die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die deutsche Lobbygruppe "Digitale Gesellschaft" sieht in der ITU ein "intransparentes Bürokratiemonster, bei dem alles hinter verschlossenen Türen verhandelt wird und jegliche Dokumente unter Verschluss bleiben." Durch die hohen Mitgliedsbeiträge der ITU seien Vertreter der Zivilgesellschaft und unabhängige Akademiker vom Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, kritisieren die Aktivisten.

Haltung der Bundesregierung, EU und USA

Welche Position vertritt die deutsche Bundesregierung?

Die Bundesregierung spricht sich gegen eine Regulierung des Internets durch die ITU aus. So heißt es in einem aktuellen Positionspapier des Bundeswirtschaftsministeriums, die Bundesregierung werde bei der Konferenz in Dubai "keinesfalls" Vorschläge unterstützen, die die Offenheit, Transparenz oder Freiheit des Internets gefährdeten. Eine Regulierung des Internets sei nach Auffassung der Bundesregierung nicht Gegenstand der International Telecommunication Regulations.

Auf einer Konferenz des Branchenverbandes Bitkom bestätigte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) kürzlich diese Einschätzung. Rösler sagte im Hinblick auf das ITU-Treffen, dass es seiner Meinung nach nicht funktioniere "durch Kontrollen im Internet das Netz sicherer zu machen."

Die deutsche Delegation in Dubai wird von einem Abteilungsleiter des Bundeswirtschaftsministeriums angeführt. Mit dabei sind unter anderem auch Vertreter des Innenministeriums und das Auswärtige Amtes.

Wie positioniert sich die Europäische Union?

Das EU-Parlament fordert in einer Entschließung Rat und Kommission auf, dafür zu sorgen, dass das Internet ein freier und offener Raum bleibt. Die Europaparlamentarier befürchten, dass einige große Telekommunikationsunternehmen von einer Regulierung des Internets profitieren und deshalb gemeinsame Sache mit Staaten wie Iran oder Russland machen könnten. Zudem kritisieren die Abgeordneten, dass die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden.

Die ITU hat auf die Parlamentsforderungen in ihrem Blog geantwortet. Darin wirft die Organisation dem Parlament vor, die Erklärung sei uninformiert und voller Fehler.

Warum kommt der USA in den Verhandlungen eine Sonderrolle zu?

Die USA haben ein besonderes Interesse daran, am Status Quo festzuhalten. Derzeit wird das Internet weitgehend von Organisationen reguliert, die ihren Sitz in den Vereinigten Staaten haben. Unter anderem trifft das auf die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) zu, die für die Vergabe von Domains und IP-Adressen im Internet zuständig ist. Außerdem ist die Internet Engineering Task Force (IETF) in den Vereinigten Staaten ansässig. Sie befasst sich mit der technischen Weiterentwicklung des Internets.

Wo gibt es weitere Informationen über die Verhandlungen?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: