Telekommunikationskonferenz in Dubai:Kampf für die digitale Einklassengesellschaft

Internetcafe in Hefei, China

Zu welchen Bedingungen ist der freie Zugang zum Internet in Zukunft noch möglich? In Dubai wird diese Frage jetzt diskutiert.

(Foto: REUTERS)

Jahrelang ist das Internet fast ohne staatliche Regulierung ausgekommen. Auf der Welt-Telekommunikationskonferenz in Dubai debattiert die Staatengemeinschaft jetzt, ob das einfach so weitergehen kann. Diskutiert wird über den freien Zugang ins Netz. Von einer digitalen Zweiklassengesellschaft und sogar von drohender Zensur ist die Rede.

Von Varinia Bernau

Vinton Cerf macht sich Sorgen. Der Informatiker gilt als einer der Väter des Internets. Nun aber, so warnt der 69-Jährige, sei dieses offene Netz in Gefahr. Eine entscheidende Schlacht stehe an. Und diese Schlacht werde in der kommenden Woche in Dubai ausgetragen.

Dort kommen an diesem Montag Delegationen aus mehr als 190 Ländern zusammen, um das völkerrechtliche Vertragswerk der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), einer Organisation der Vereinten Nationen, neu zu verhandeln. Das Papier schreibt fest, in welcher Form die weltweiten Telekommunikationsdienste bereitgestellt und betrieben werden müssen. Zuletzt wurde es im Jahr 1988 geändert.

Vor einem Vierteljahrhundert also, als die Menschen noch über das Festnetz telefonierten und sich die meisten so etwas wie das Internet nicht einmal vorstellen konnten. Und als die häufig staatseigenen Unternehmen, die die Netze bauten, damit auch Geld verdienten. Das hat sich geändert. Und so geht es in Dubai nur vordergründig um Technologie. Hinter den Kulissen wird darüber gestritten, wer die Infrastruktur der Netze zahlt - und wer davon profitiert.

Internetfirmen sehen ihr Geschäft bedroht

Vinton Cerf ist dabei Partei: Er redet für den amerikanischen Internetkonzern Google. Seinen Weckruf hatte er im Frühjahr bereits vor dem US-Kongress platziert, nun streut er ihn mit einem Internetvideo in die ganze Welt. Denn einige Vorschläge, die vor der elftägigen Konferenz kursierten, könnten Googles Geschäft in Bedrängnis bringen. Und das diverser amerikanischer Netzfirmen gleich dazu. Kein Wunder, dass die USA eine Delegation mit knapp 130 Teilnehmern nach Dubai schicken.

Dabei gibt es zweifelsohne ein Problem: Seit Jahren steigt die Menge der Daten, die durchs Netz geschleust wird. Weil die Menschen nicht mehr nur Webseiten anklicken, sondern auch Filme schauen. Weil sie ihre Fotoalben und Musiksammlungen nicht länger nur im Regal, sondern auch in der digitalen Wolke lagern. Weil sie nicht mehr nur daheim oder im Büro am Computer im Netz surfen, sondern auch mit ihren Mobiltelefonen. Und die Datenflut wächst: Derzeit hat gerade einmal ein Drittel der Weltbevölkerung Zugang zum Netz.

In vier Jahren bereits, so schätzt man beim Netzausrüster Alcatel-Lucent, übersteigt der Datenverkehr in den Funknetzen die Marke von 60 Exabyte. Man müsste mehr als 400 Billiarden SMS verschicken, um solch einen dicken Brocken zu transportieren. Dass die Netze also ausgebaut werden müssen, darin sind sich alle einig. Strittig ist: Wer soll das bezahlen?

Internetprovider machen Netzneutralität zum Thema

Allein um drei Viertel der deutschen Haushalte an eine schnelle Internetleitung zu bringen, müssen bis 2014 etwa 40 Milliarden Euro investiert werden. Das Dilemma: Die Summe, die die Netzbetreiber wie die Deutsche Telekom mit jedem einzelnen Internetnutzer verdienen, sinkt stetig. Und Internetkonzerne wie Google haben die Forderung, von ihren Milliardengewinnen etwas in den Netzausbau zu stecken, bislang sehr gut abgewehrt. Erst kürzlich hat sich Telekom-Chef René Obermann empört, dass Google das Internet mit unvorstellbaren Mengen an Daten vollpumpe, ohne dafür zu zahlen.

Gemeinsam mit anderen europäischen Netzbetreibern hat die Deutsche Telekom deshalb in die Vorbereitung der Dubaier Konferenz ein Positionspapier eingebracht. Dies sieht zwei wesentliche Änderungen vor, um die Kosten für die Infrastruktur des Internets neu zu verteilen. Zum einen wollen die Netzbetreiber die Preise nach der Qualität des Netzes staffeln. Zum anderen wollen sie nicht mehr nur diejenigen zur Kasse bitten, die eine Information im Netz abrufen, sondern auch diejenigen, die diese bereitstellen. In der Praxis hieße das: Nicht mehr nur der Konsument, der sich einen Film auf Youtube anschaut, zahlt seinen Internetanschluss. Auch Google müsste zahlen, sobald jemand einen Clip auf der Videoplattform des Internetkonzerns anklickt.

Zwar werden Europas Regierungen die Punkte der europäischen Telekom-Lobby aller Voraussicht nach nicht unterstützen. Gänzlich vom Tisch aber sind die Vorschläge nicht. So habe etwa France Telecom Kamerun als Unterstützer gewinnen können, berichtet ein Vertreter der deutschen Delegation. Die Europäer könnten den Vorstoß, der offenbar auch von anderen französischsprachigen Staaten Afrikas sowie einigen arabischen Ländern vorbereitet wird, abwehren, wenn die Mitgliedsstaaten der ITU ihre Beschlüsse wie bisher einstimmig treffen. "Eine echte Gefahr für die Freiheit des Internets besteht nicht, aber wir werden sehr wachsam sein", sagt ein Internetunternehmer, der in der deutschen Delegation nach Dubai reist.

Kostendruck der Netzprovider steigt

Die Kluft zwischen dem steigenden Datenverkehr und den sinkenden Umsätzen gibt es bislang wegen des heftigen Wettbewerbs und des damit verbundenen Kostendrucks nur in Europa. Die hiesigen Netzbetreiber warnen jedoch davor, dass bald auch andere Regionen vor diesem Dilemma stehen werden.

Kritiker sehen andere Gefahren: "Wenn man Internetdienste zur Kasse bittet, zerstört man mit einem Schlag die blühende App-Economy, also jene Start-ups, die mit ihren neuen Ideen das Internet bereichern", sagt Michael Rotert vom Verband der deutschen Internetwirtschaft. Heute werden Daten zur Übertragung in kleine Pakete aufgeteilt und erst am Ziel wieder zusammengesetzt. Das Netz behandelt alle diese Pakete gleich - die schlanke E-Mail des Jungunternehmers ebenso wie das dicke Youtube-Video.

Ein Internet der zwei Klassen, so fürchten Kritiker, würde kleinere Anbieter benachteiligen. Ihnen, so die Sorge, würde von den Netzbetreibern nur die langsamere Spur zugewiesen. Und der Ausbau der Netze würde sich für die Netzbetreiber gar nicht lohnen, weil die höherwertigen Dienste sich bei Engpässen auch zu höheren Preisen verkaufen ließen.

Kritiker befürchten Zensur

Manch einer fürchtet zudem, dass eine Inspektion der Datenpakete, um ihnen die richtige Spur auf der Datenautobahn zuzuweisen, ein Türöffner für Zensur sein könnte. Und dies gerade jenseits von Europa: In Asien subventioniert China schon heute den Netzausbau in kleineren Ländern und sichert sich so den Zugriff auf die Netze der Zukunft. In manchen afrikanischen Ländern ist der kostenlose Internettelefondienst Skype gesperrt, was ausgerechnet die Armen vom technologischen Fortschritt abkoppelt.

Die europäischen Netzbetreiber bemühen sich nun ihrerseits um beruhigende Worte: "Wir sind keine Zensurbehörde", heißt es unisono aus den Unternehmen. Ein Gebaren wie in den USA, wo ein Netzbetreiber einen Anbieter von Internetfernsehen zunächst zur Kasse gebeten und schließlich die Leitung gekappt hat, könnten sich europäische Anbieter gar nicht leisten.

HD-Fernsehen im Netz soll teurer werden

"In Europa herrscht ein viel höherer Wettbewerbsdruck als in den USA. Hier könnten wir einem Kunden gar nichts vorenthalten, da er dann sofort zu einem unserer Konkurrenten wechseln würde", sagt ein Manager. Jeder solle Zugang zu all den Möglichkeiten haben, die das Internet bietet. Aber um dieses Versprechen halten zu können, müsse es möglich sein, mehr von denjenigen zu verlangen, die mehr vom Netz verlangen. Nicht Fernsehen im Netz solle per se mehr kosten, sondern die Option, dass die hochaufgelöste Übertragung des Champions-League-Spiels garantiert nicht wackelt. Das wäre dann die Reise in der komfortablen Klasse des Internets.

Eine strikte Gleichbehandlung sämtlicher Datenpakete, betonen Netzausrüster wie Netzbetreiber, würde manche Dienste wie etwa Videokonferenzen oder Telemedizin einschränken oder ganz unmöglich machen. Denn eine Röntgenaufnahme mitten in der Operation, das verträgt keine Wackelbilder. Ohne intelligente Steuerung des Netzes: keine Innovation. "Die allumfassende Flatrate kann es nicht geben", sagt einer aus der Branche. Derzeit verursachen nach Berechnungen der Deutschen Telekom drei Prozent der Internetnutzer 50 Prozent des Datenvolumens. Anders gesagt: Diejenigen, die selten im Kleinwagen auf der Datenautobahn fahren, zahlen für jene, die im Laster für den Stau sorgen.

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