Neue Technologie:Smartphones, die Fernsteuerung für das eigene Leben

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Smartphone: Fernsteuerung für das eigene Leben (Foto: AFP)

Einsamere Menschen, dümmere Kinder, rundere Rücken? Welche Folgen hat es, wenn fast jeder Mensch ein Handy besitzt?

Kommentar von Andrian Kreye

Selbstverständlichkeiten werden einem immer erst dann bewusst, wenn sie vorübergehend ausfallen. Wenn einem das Smartphone beispielsweise an einem Freitag in 120 Litern Schaumbad absäuft und man ein herrlich befreites Wochenende damit verbringt, Vinylschallplatten zu hören und Zeitschriften zu lesen. Am Montag fühlt sich der Arbeitsalltag dann allerdings schon amputiert an und spätestens am Dienstag wird das richtig lästig. Über solche Banalitäten redet man aber höchstens mit dem Kundendienst. Wie man überhaupt aufgehört hat, über sein Smartphone zu reden.

Für jene, die sich noch daran erinnern können, wie das Farbfernsehen eingeführt wurde, ist das schon das mindestens zweite Mal, dass eine zunächst sensationelle neue Technologie bald nicht mehr neu und sensationell, sondern einfach nur noch da war. Damals redete man schon bald nicht mehr über das Fernsehen. Genauso wie die Smalltalks über Apps und Handyverträge verstummt sind, die man noch vor gar nicht langer Zeit geführt hat. Auch über Laptops, Waschmaschinen und Kühlschränke spricht man nicht mehr.

Nun waren all diese Erfindungen aber nicht nur praktisch. Sie haben das Leben verändert. In der Regel zum Besseren. Das Fernsehen hat die Allgemeinbildung der Massen vorangetrieben, Waschmaschinen haben das Arbeits- und Kreativpotenzial der Frauen befreit, Kühlschränke eine vernünftige Ernährung möglich gemacht.

Nun heißt es, dass die Elektronikkonzerne gerade Wachstumsschwierigkeiten hätten, weil der Markt für Smartphones gesättigt sei. Das bedeutet, dass fast alle Menschen so ein Gerät haben. Weltweit sind das fünf Milliarden. In Deutschland gibt es mit etwa 113 Millionen Mobilfunkanschlüssen mehr Handys als Bürger. Man kann sich also durchaus Gedanken darüber machen, was diese neue Selbstverständlichkeit des Taschencomputers für die Zukunft der Menschheit bedeutet.

Enorme Folgen

Studien dazu gibt es viele. Die meisten verheißen nichts Gutes - die Menschen werden einsamer, die Kinder dümmer, die Rücken runder. Ähnliches hat man auch schon über Autos, Radio- und Fernsehapparate gesagt. Das sind alles Probleme, die Familien, Lehrer und Orthopäden lösen müssen. Aber was bedeutet die Selbstverständlichkeit auf lange Sicht? Für den Blick in die Zukunft gibt es natürlich auch schon Apps, aber das sind nur statistische Szenarien. Die sind zwar zuverlässiger als Horoskope, aber keineswegs eine Garantie. Das musste selbst Star-Statistiker Nate Silver zugeben, der errechnet hatte, dass das mit Donald Trump nichts werde.

Wer jetzt gefordert wäre, sind aber nicht die Statistiker und Gesundheitsforscher, sondern die Geisteswissenschaftler und Philosophen. Was bedeutet es beispielsweise, wenn jeder Mensch auf diesem Planeten so eine Fernsteuerung für das eigene Leben hat? Wahrscheinlich - mehr Kontrolle über das eigene Schicksal. Deswegen kämpft der Internetkritiker Evgeny Morozov ja so vehement gegen die Kontrolle persönlicher Daten durch Konzerne wie Facebook und Google.

Und was heißt es, wenn Alltag, Wissen und Identität in einer immateriellen Sphäre wie dem Cyberspace eine Parallelexistenz bekommen? Ist das nur eine Erleichterung des täglichen Lebens? Oder die Auflösung des Individuums? Ganz langsam beginnen solche Forschungen. Viel zu spät. Denn wenn so eine Marktsättigung und damit die Selbstverständlichkeit erst erreicht ist, dann gibt es einen Status quo, den man nur schwer verändern kann. Man müsste sicher mal darüber reden. Aber der Smalltalk dreht sich ja derzeit vor allem wieder ums Fernsehen. Das hatte auch schon mal die Marktsättigung erreicht. Bis alle auf ihr Handy starrten und das Fernsehen gezwungen war, sich neu zu erfinden.

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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