Technologie und Sex:Innovationen, die aus der Porno-Industrie kamen

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Virtual Reality: Erfolgreich dank Pornografie?

(Foto: imago/Westend61)
  • Seit 100 Jahren sind Technik-Branche und Pornoindustrie eng miteinander verknüpft.
  • Ob Breitband-Internet, Online-Shopping oder DVDs: Viele Entwicklungen wären ohne den Einfluss dieser Branche anders oder langsamer verlaufen.
  • Bei Virtual Reality könnte das wieder passieren.

Von Jürgen Schmieder

Wer es noch nicht wusste, der weiß es spätestens seit dieser kuriosen Mail, die das Unternehmen Reality Lovers jüngst verschickte: Technik und Pornografie, das sind zwei Branchen, die seit mehr als 100 Jahren untrennbar miteinander verbunden sind. Darin wird versprochen, man könne sich fühlen wie der Schauspieler Charlie Sheen und erleben, was Sheen vor ein paar Jahren erlebte.

Das Pornosternchen Brett Rossi, einst mit dem Schauspieler verlobt, spielt in einen Virtual-Reality-Pornofilm die Hauptrolle. "Rossis Fans können sie genauso erleben wie einst Charlie Sheen", sagt Reality-Lovers-Gründer René Pour. Und er meint das völlig ernst. Sie bräuchten dafür nur ein VR-fähiges Smartphone und eine VR-Brille.

"Die Pornoindustrie ist für zahlreiche Innovationen der Technologiebranche verantwortlich, von technischen Entwicklungen bis hin zu digitalen Geschäftsmodellen", sagt Frederick Lane, Autor des Buches "Obscene Profits". Die Pornofirmen brauchen immer neue Entwicklungen. So wie derzeit bei den Virtual-Reality-Pornos mit einem Zwölf-Kamera-Gestell oder einer 180-Grad-Kamera. "Immer wieder hat die Pornoindustrie Schneisen geschlagen und Wege freigelegt, auf denen die Technikbranche dann zum Erfolg gelangt ist."

Anrüchige Filme waren schon 1896 kommerziell erfolgreich

Die Symbiose begann mit dem Film "Le Coucher de la Mariée" des französischen Regisseurs Albert Kirchner: Zu sehen ist die Schauspielerin Louise Willy, die sich nach der Hochzeit ihrer Oberbekleidung entledigt. Das war 1896. Kurz darauf filmte Georges Méliès für den Stummfilm "Après le bal" seine spätere Ehefrau Jeanne d'Alcy beim Entkleiden. Bald darauf sorgte der erste Filmkuss der Geschichte ("The Kiss") für Aufregung, ein Kritiker befand, die Darstellung des Kusses auf der Leinwand sei "widerlich".

All diese Filme waren sehr erfolgreich, die Kunden verlangten Nachschub und höhere Qualität: bessere Belichtung, narrative Schnitte, Wechsel der Perspektive. Die Filmemacher brauchten dafür ausgefeiltere Geräte wie etwa den Kinematografen der Gebrüder Lumière, dessen Weiterentwicklung sie aufgrund ihrer Einnahmen finanzieren konnten. Das erlaubte ihnen schließlich auch opulentere Werke auch ohne skandalöse Szenen, Kirchner etwa verfilmte 1897 die Passion Christi, Méliès entwickelte das bisweilen heute noch angewandte Stop-Motion-Verfahren und drehte 1902 den legendären Kurzfilm "A Trip to the Moon".

Doch oft ging es weniger um höhere Qualität als vielmehr um preiswertere Produktion. Im Jahr 1960 etwa filmte der britische Fotograf Harrison Marks eine junge Frau, die vom Heuschaufeln derart erschöpft war, dass sie sich dringend ausziehen musste. Marks kreierte mit "Making Hay" und anderen Projekten wie "The Window Dresser" oder "Danger Girl" das Genre "Glamour Home Movies": Alltagsgeschichten mit erotischen Momenten, die möglichst authentisch wirken sollten.

Billige Kameras hatten gewaltige Auswirkungen auf die Pornindustrie

Die Pornobranche benötigte dafür einfach zu handhabende Kameras. Und die Technikindustrie lieferte: 1965 führte Kodak das Schmalfilm-Format Super 8 ein. Menschen ohne Kameraausbildung konnten plötzlich selbst Filme drehen und sie über Projektoren abspielen. Die Geräte waren vergleichsweise preiswert, auf dem Höhepunkt der Super-8-Zeit Mitte der 1970er Jahre gab es Modelle für damals 100 und Projektoren für 200 D-Mark.

Die Auswirkungen auf die Pornoindustrie waren gewaltig. Nun gab es auch Filme für zu Hause. Mit den Werken "Blue Movie" (Andy Warhol, 1969) und "Mona" (Bill Osco, 1970) begann das so genannte "Goldene Zeitalter des Pornos". Der Film "Deep Throat" spielte rasch ein Vielfaches seiner Produktionskosten von 47 500 Dollar ein (drei Millionen Dollar in sechs Monaten, mittlerweile liegen die Einnahmen vorsichtigen Schätzungen zufolge bei mehr als 100 Millionen Dollar).

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das Zusammenspiel zwischen Technik und Pornografie bekannt, doch noch immer gab es Zweifler, die ihre Ignoranz teuer bezahlen mussten. So hatte Sony ein neues Video-Format (Betamax) entwickelt, das dem Konkurrenzprodukt (VHS) von JVC qualitativ überlegen war: bessere Auflösung, besserer Ton, stabileres Bild. Es gab jedoch im Gegensatz zu den deutlich längeren VHS-Bändern zunächst nur Ein-Stunden-Kassetten.

Pornos entschieden, welches Format sich durchsetzte

Vor allem aber erlaubte Sony nicht, dass pornografische Inhalte auf seinem Betamax-Format aufgezeichnet wurden - ökonomisch ein Fehler. Der erste Porno auf einer Kaufkassette erschien ein Jahr vor dem ersten Hollywood-Film. Im Jahr 1979 enthielten mehr als die Hälfte aller in den USA verkauften Videokassetten erotische Inhalte, in Deutschland und Großbritannien waren es gar mehr als 80 Prozent. Videotheken richteten ihr Angebot schnell auf das Format mit der weitesten Verbreitung aus - im Jahr 1986 hatte VHS einen Marktanteil von 93 Prozent. Sony hatte verloren.

Beim zweiten so genannten "Krieg der Formate" 20 Jahre später zwischen der HD-DVD und der Blue-Ray-Disc hatte das Unternehmen allerdings aus seinen Fehlern gelernt. Die großen Hollywood-Studios waren zunächst geteilt (Universal, Paramount und Warner Bros waren bei HD-DVD - Columbia, Walt Disney und 20th Century Fox bei Blue-Ray), die Pornoindustrie bevorzugte aufgrund der höheren Speicherkapazität die Blue-Ray-Technologie. Sony stattete seine PlayStation3 mit einem Blue-Ray-Player aus, die Videotheken-Kette Blockbuster und die Kaufhaus-Ketten Target und Walmart setzten ebenfalls darauf. Im Februar 2008 war der Kampf damit entschieden.

Die Datenmenge stieg enorm - aufgrund pornografischer Angebote

Technologie und Sex: Pornos könnten den Verkauf von VR-Brillen ankurbeln.

Pornos könnten den Verkauf von VR-Brillen ankurbeln.

(Foto: Reuters )

Die Pornoindustrie metastasierte währenddessen bereits in einen neuen Bereich, ins Internet. "Beinahe jedes digitale Geschäftsmodell geht auf die Pornobranche zurück", sagt Buchautor Lane. Es begann mit daumennagelgroßen Bildchen, deren Ladezeiten selbst geduldige Menschen wahnsinnig machten. Bereits 1994 stellte das niederländische Unternehmen Red Light District die ersten Pornos im Motion-Jpeg-Format zur Verfügung. Der Nachrichtensender CNN folgte erst ein Jahr, die Streaming-Plattform YouTube sogar erst elf Jahre später.

"Die Datenmenge stieg aufgrund der pornografischen Angebote enorm, also brauchte es schnellere Verbindungen und Ideen, die Inhalte zu monetarisieren", sagt Lane. Die Pornoindustrie war also mitverantwortlich dafür, dass das Internet schneller wurde, schadete sich damit aber vor allem selbst.

Der Umsatz der Branche soll Anfang der 90er Jahre bei mehr als 30 Milliarden Dollar pro Jahr gelegen haben. Die digitale Revolution indes sorgte dafür, dass sich die Kunden gegenseitig Videos schickten, sie konnten sich Inhalte anonym und vor allem kostenlos besorgen. Innerhalb von zehn Jahren soll der Umsatz auf weniger als drei Milliarden Dollar gesunken sein.

Porno-Einnahmen im Internet sollen bei mehr als drei Milliarden Dollar liegen

Der Geschäftsmann Richard Gordon etwa wickelte mit seinem Unternehmen Electronic Card Systems (ECS) Bezahlungen per Kreditkarte im Internet ab, er führte Kunden-Datenbanken und Verschlüsselungen ein. Einer seiner ersten Kunden war die Firma ClubLove, die 1998 gegen Gebühr das Sexvideo von Pamela Anderson bereitstellte. Im Jahr 1999 lagen die Internet-Porno-Einnahmen bereits bei 1,3 Milliarden Dollar, mittlerweile sollen sie mehr als drei Milliarden Dollar betragen.

Die Porno-Oscars wurden lange parallel zur Technologiemesse CES verliehen

Damit nicht genug: Die ersten kommerziellen Videochat-Angebote über Webcams hat die Pornoindustrie eingeführt und nicht Firmen wie Skype. Die Firma Playa Solutions entwickelte für Erwachsenenfilme das noch heute so nervige System, dass Nutzer vor Videos entweder bezahlen oder Werbung ansehen müssen. Die Technologie Geomarketing wird häufig mit sozialen Netzwerken wie Foursquare in Verbindung gebracht, geht jedoch auf Online-Casinos und die Pornobranche zurück.

Wer das Zusammenspiel beider Branchen heutzutage betrachten will, der muss die Technologiemesse CES in Las Vegas besuchen. Es war kein Zufall, dass die AVN Awards - die Oscars der Erwachsenenunterhaltung - lange parallel zur CES vergeben wurden. Die Technikbranche sucht nach einer Möglichkeit, Virtual Reality massentauglich zu machen.

Sie probiert es über Computerspiele und Live-Sport, hinter den Kulissen aber wird der wahre Katalysator genannt: Pornos. Auch im Bereich der künstlichen Intelligenz gilt die Porno-Industrie als interessiert: Während auf der CES noch klobige Roboter auf Rollen vorgestellt werden, preist ein paar Hotels weiter eine Firma eine Puppe an, die gezielt auf die Wünsche ihres Besitzers reagieren soll.

"Es könnte das nächste große Ding werden", sagt Todd Glider. Er ist der Chef des Unternehmens BadoinkVR und produziert VR-Filme: "Es ist umwerfend, was der Kunde mit diesen technischen Möglichkeiten erleben kann. Man muss es erlebt haben." Mit beinahe den gleichen Worten übrigens beschreibt Brian Krzanich, Chef des Chipherstellers Intel, diese Technologie: "Der Kunde muss etwas erleben, was ohne Virtual Reality nicht möglich wäre - dann investiert er in Brillen und Inhalte."

Bis 2020 sollen mehr als 76 Millionen Headsets verkauft werden. Mal sehen, wer größeren Anteil daran haben wird: das von Krzanich auf der CES präsentierte College-Basketballspiel oder die Möglichkeit, das Pornosternchen Brett Rossi so zu erleben, wie Charlie Sheen sie erlebt hat.

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