Technik-Finanzier Tim Draper:"Man könnte die Finanzindustrie neu erfinden"

Lesezeit: 7 min

Technik-Finanzier Tim Draper. (Foto: AFP)

Er hat Skype, Hotmail und Baidu zum Erfolg verholfen: Tim Draper ist einer jener Technik-Finanziers, die mit Millionen Dollar jonglieren. Ein Gespräch über die Zukunft der Technikbranche, Europas Fehler und warum er aus dem Silicon Valley einen eigenen Bundesstaat machen will.

Von Pascal Paukner, San Mateo

Wer sich dem Zentrum von San Mateo nähert, sieht den Namen schon von weitem: "Draper University", steht in riesigen Buchstaben auf einem der größten Gebäude. Die 91.000-Einwohner-Stadt im Silicon Valley ist der Ort, von dem aus Tim Draper seine Geschäfte steuert. Draper ist 55 Jahre alt und Gründer der Risikokapitalfirma Draper Fisher Jurvetson. Er versorgt Start-ups mit Kapital, lange bevor sie auf der großen Bühne auftreten. Sein Großvater war der erste Risikokapitalgeber des Silicon Valley. Der Enkel ist reich geworden mit Investments in den E-Mail-Dienst Hotmail, die Telefon-Software Skype und die chinesische Suchmaschine Baidu. Derzeit investiert er beispielsweise in den Autohersteller Tesla.

Draper hat die Draper University of Heroes gegründet, ein privates Ausbildungsprogramm für junge Unternehmer in der Technikbranche. Politisch vertritt er libertäre Ansichten. Finanziell ist er sowohl als Unterstützer der Republikaner als auch der Demokraten aufgetreten. Im Jahr 2000 wollte er in einem Volksentscheid durchsetzen: Jede Familie, die ihr Kind auf eine private Schule schickt, sollte 4000 Dollar pro Jahr vom Staat erhalten. Nun will Draper erneut politisch Einfluss nehmen. Eine Volksbefragung soll herbeiführen, dass Kalifornien in sechs Staaten aufgeteilt werde. Das Silicon Valley wäre dann ein eigener US-Bundesstaat.

Süddeutsche.de: Herr Draper, seit einiger Zeit kursiert das Gerücht, Apple werde demnächst den Autohersteller Tesla übernehmen. Sie haben in Tesla investiert. Stimmt das Gerücht?

Tim Draper: Ich weiß davon nichts. Aber es ist klar, dass Tesla und Apple großartige Unternehmen sind. Die bauen tolle Produkte. Tesla ist ein großer Sprung nach vorne. Ich bin noch nie mit einem besseren Auto gefahren.

Das Silicon Valley war bislang kein Ort, der für seine Automobilindustrie bekannt war. Inzwischen erforscht Google selbstfahrende Autos und Apple entwickelt wohl Software für Bordcomputer. Sind Autos das nächste große Ding?

Nicht nur Autos. Man kann jede Industrie hernehmen, die von Monopolen oder Oligopolen dominiert wird. Neue Technologien gibt es immer. Wenn sie genützt werden, um die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, gewinnt man neue Kunden. Das ist in der Elektrizitätsbranche mit Solarcity passiert. Das ist im Postgewerbe mit Hotmail passiert. Es ist in der Telekommunikation mit Skype passiert. Es ist in der Musikindustrie mit Napster passiert. Und es wird noch in vielen anderen Industrien passieren.

Wo?

Nehmen Sie nur die Banken, man könnte die ganze Finanzindustrie neu erfinden. Bitcoin könnte damit zu tun haben. Dann ist da noch die Pharmaindustrie, die derzeit von vielleicht fünf oder sechs Firmen kontrolliert wird. Ähnlich steht es auch um die Bildung. Dort hat sich seit 200 Jahren nichts verändert. Jetzt passiert sehr viel. Es ist Zeit, da mehr Wettbewerb rein zu bringen und die Menschen auf neuen Wegen auszubilden. Wir versuchen das etwa mit der Draper University.

Im Social Web hat jahrelang Facebook alles dominiert. Doch jetzt kommen Start-ups wie Whatsapp, Snapchat, Whisper und Secret, die viel von dem in Frage stellen, was Facebook ausmacht. Was passiert da?

Facebook hatte nie ein Monopol auf das Social Web. Nur einen großen Marktanteil. Im Gegensatz zu anderen Industrien ist die Technikindustrie generell in Takt. Es gibt viele kleine Firmen, die schnell wachsen. Und es gibt die großen Unternehmen, die immer auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern sind. Was wir künftig vermehrt sehen werden, sind Firmen, die die Wünsche ihrer Kunden vorhersehen können.

An was denken Sie da?

Ich nenne es die Antizipationsindustrie. Unternehmen antizipieren deine Bedürfnisse. Heute ist es doch so: Sie klicken auf einen Knopf und schon taucht das Uber-Taxi auf. Dann klicken Sie auf einen anderen Button und Ihnen wird das Essen an die Haustür geliefert. Letztendlich werden wir an den Punkt gelangen, an dem die Unternehmen von alleine wissen, wann jemand Hunger hat.

Wie das?

Die Unternehmen sehen es vorher, weil sie Zugriff auf Ihren Kalender haben oder Ihren Blutzuckerspiegel messen können. Die Unternehmen, die so etwas anbieten, werden sehr große Unternehmen sein. Es werden sich große Industrien herausbilden. Es wird einen knallharten Wettbewerb geben. Und wenn es Wettbewerb gibt, dann profitieren wir als Nutzer.

Apropos große Unternehmen, in den vergangenen Monaten gab es einige große Firmenübernahmen, die Aktienkurse vieler Technikfirmen steigen. Manche befürchten gar eine neue Dotcom-Blase. Sie auch?

Ich denke, dass wir zwei richtig gute Jahre vor uns haben. Ich bin mir nicht sicher, ob aus der Entwicklung eine Blase wird oder ob es einfach ein nachhaltiges Wachstum ist. Ich nutze ein Vorhersage-Schaubild. Es besagt, dass es in der Branche alle 16 Jahre einen großen Aufschwung gibt. Der letzte große Boom war im Jahr 2000. Also ist meine Vorhersage, dass die Leute im Jahr 2016 wirklich ausflippen werden.

Und was passiert danach? Ist Technikindustrie dann nur eine Industrie wie jede andere?

Ich weiß es nicht. Technik ist großartig. In Technik zu investieren, war immer eine großartige Sache. Ich glaube, dass emotional alle von Technologie begeistert sind. Sogar wenn man im Jahr 2000 sein ganzes Geld in Start-ups investiert hätte, hätte man heute Gewinn erwirtschaftet. Ein Teil des Investments wäre Google gewesen und das alleine hätte fast alle Verluste wettgemacht.

In Deutschland fragen sich die Leute immer wieder, warum es kein deutsches Google oder Facebook gibt. Woran liegt es denn?

Das liegt an den Regierungen in Europa. Sie sind besonders schlecht darin, ein Umfeld zu schaffen, in dem Innovationen stattfinden können. Wer in Europa Pleite geht, verliert viel Geld und häuft Schulden an, die er in seinem ganzen Leben nicht mehr los wird. Hier im Silicon Valley ist der Insolvenzschutz großartig. Die Leute können es probieren und scheitern. Und dann können sie es erneut versuchen und wieder scheitern. Und wieder versuchen und nochmals scheitern. Das schlimmste, was passieren kann, ist, dass sie hinterher bei null landen. In Deutschland gibt es einige großartige Technologien. Aber die Leute müssen sich damit raus in die großen Märkte wagen. Wenn Sie zwischen 18 und 28 Jahre alt sind und ein Geschäft starten wollen, dann sollten Sie hierher kommen. Sie sollten hier Ihre Idee vorantreiben, Kapital an der Sand Hill Road eintreiben und Ihr Geschäft von hier aus betreiben. Das Umfeld ist einfach besser.

Sie haben vor Jahren mal gesagt, dass Sie gerne mehr Geld in Europa investieren würden.

Das habe ich gesagt? Wann war das?

1997. Es stand damals im deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Heute würden Sie deutschen Unternehmern eher raten, nach Kalifornien zu kommen. Das klingt nach einem Sinneswandel.

Es gibt natürlich immer Ausnahmen. Wir haben etwa in Skype investiert. Das war ein europäisches Start-up und für uns ein fantastischer Gewinn. Wir investieren und werden bei Gelegenheit auch weiter in Europa investieren. Es geht doch nur darum: Wenn ich ein europäischer Unternehmer wäre und Englisch sprechen würde, dann würde ich hierher fliegen und mein Unternehmen hier aufziehen. Oder ich würde nach China fliegen und dort beginnen. Irgendwohin, wo die Märkte größer sind und es einen Insolvenzschutz gibt.

Sie möchten in einem Volksentscheid durchsetzen, dass Kalifornien in sechs Staaten aufgeteilt wird. Warum?

Kalifornien ist gescheitert. Es ist hochverschuldet. Dieser Staat gibt unter allen Bundesstaaten am meisten Geld für Bildung aus, erzielt aber nahezu die schlechtesten Ergebnisse. Er zählt zu den Staaten, die am meisten Geld für den Strafvollzug ausgeben, hat aber eine der höchsten Rückfallquoten. Wir haben hier mal 25 Prozent des Staatshaushalts für Infrastruktur ausgegeben, jetzt sind es nur noch drei Prozent. Hier im Silicon Valley sind wir der Ansicht, dass es für jedes Problem auch eine Lösung gibt. Man muss etwas Neues schaffen. Wenn man aus Kalifornien sechs Staaten macht, werden die Leute besser repräsentiert. Die derzeitige Regierung ist komplett isoliert. Sie weiß nicht, was in diesem Staat los ist. Südkalifornien hat Probleme mit der Einwanderung, dem Norden geht es um eine gerechte Besteuerung. Das Zentrum ernährt den Staat, da geht es um Wasserrechte. Und dem Silicon Valley geht es um eine Regierung, die unerreichbar ist. Die verstehen nicht, was ein Bitcoin ist. Sie wissen nicht, warum Napster existiert. Sie wissen nicht, wie sie Skype im Vergleich mit den Telekom-Unternehmen behandeln sollen.

Wie wollen Sie entscheiden, wo die Grenzen verlaufen?

Nun, das entscheide nicht ich. Ich habe einen Vorschlag gemacht. Aber wenn ein County entscheidet, dass es sich einem anderen Staat anschließen will, kann es das natürlich tun. Vorausgesetzt, der Staat will das auch. Die Grenzen, die wir gezogen haben, sind gut durchdacht. Es geht um demographische Faktoren, es geht um politische Ansichten, um Wasser, um Reichtum. Solche Dinge. Vielleicht sollten es sogar mehr als sechs Staaten sein.

Wollen Sie nicht in Wahrheit nur die ärmeren Regionen loswerden?

Die ärmeren Teile unseres Staates haben das größte Interesse daran, dass dies passiert. Für sie hat die derzeitige Situation zu nichts geführt. Sie sind arm und entrechtet. Vor 50 Jahren war das Silicon Valley der ärmste Teil des Staates, ja sogar einer der ärmsten Teile des ganzen Landes. Heute ist das ganz anders und daran hat auch die Regierung ihren Anteil. Die armen Gebiete sind wegen des bestehenden Systems arm.

Es gibt inzwischen sogar einige Unternehmer aus der Technikbranche, die aus dem Silicon Valley einen von den USA unabhängigen Nationalstaat machen wollen. Was halten Sie davon?

Die teilen vermutlich meine Frustration, aber ihre Lösung ist anders. Wenigstens kümmern sich diese Leute um das Problem und vielleicht haben sie sogar eine bessere Lösung. Das sind gute Leute, die etwas Gutes für Ihre Gesellschaft tun wollen.

In San Francisco sieht man, dass viele Menschen den Einfluss der Technikindustrie ganz anders wahrnehmen. Es gibt dort Menschen, die einen Klassenkampf heraufziehen sehen. Die Technikindustrie zerreiße die Stadt.

Das ist doch nicht die Technikindustrie, die die Stadt zerreißt. Warum sollte die Technikindustrie die Stadt zerreißen?

Durch das viele Geld gerät das Sozialgefüge durcheinander. Die Mieten sind inzwischen so hoch, dass sich das viele Menschen nicht mehr leisten können.

San Francisco hat einen starken gesetzlichen Mieterschutz. Ich glaube nicht, dass es da ein Problem mit Verdrängung gibt. Ich glaube aber, dass die Menschen verärgert sind, wenn sie diese schönen Busse mit Klimaanlage, Wlan und bequemen Sitzen in die Stadt fahren sehen. Und dann steigen sie in die schrecklichen und auseinanderfallenden Busse des öffentlichen Nahverkehrs ein. Wenn die Regierung sich so sehr um ihre Bürger kümmern würde, wie das Facebook mit seinen Mitarbeitern macht, dann wären alle viel glücklicher. Ich glaube also tatsächlich, dass es ein Problem gibt. Aber es besteht darin, dass die Regierung nicht den Service bietet, den sie sollte.

Indem man weite Teile des öffentlichen Nahverkehrs privatisiert, nimmt man der Regierung den Spielraum und das Geld, das sie brauchen würde, um bessere Dienstleistungen anzubieten.

Das stimmt nicht. Die Regierung hat mal 25 Prozent in die Infrastruktur investiert, jetzt sind es drei. Wo geht also das ganze Geld hin? Denken Sie mal drüber nach.

Was denken Sie denn, wo das Geld ist?

Es wird dazu verwendet, eine größere Regierung zu unterhalten. Es wird nicht verwendet, um den Leuten zu helfen, die einen guten öffentlichen Nahverkehr oder gute Straßen brauchen.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: