Tech-Konferenz SXSW:Die Fehler in der Megastruktur Internet

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"Es geht nicht darum, welche Menschen ein System leiten, sondern welches System die Menschen leitet": Auf der Konferenz "SXSW" geht es um Regeln für die Technik der Zukunft. Dabei wird eines der heikelsten deutschen Gesetze gelobt.

Von Jannis Brühl und Johannes Kuhn, Austin

Menschen im interaktiven „CUBE“, einer Zerstreuungseinrichtung während der erstaunlich ernsthaften Konferenz „South By Southwest“. (Foto: David Paul Morris/Bloomberg)

Neue Gesetze finden hierzulande selten schnell Freunde. Das ist dann ein wenig tragisch, wenn diese Gesetze die Vernetzung gewissermaßen im Namen tragen. Wie das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz, von dem bestenfalls Kenner wissen, was genau es eigentlich regelt.

Erstaunlich ist es darum, dass ausgerechnet der Bürgermeister Londons, Sadiq Khan, auf der Digitalkonferenz South by Southwest (SXSW) im amerikanischen Austin, Texas, genau dieses sperrige Gesetz, abgekürzt als NetzDG, als eine Art Vorschlaghammer präsentiert, der bitte bald weltweit ausgeholt werden möge, um auf Facebook, Twitter, Google und (dessen) Youtube niederzugehen, und zwar nach deutschem Vorbild.

Nun muss man wissen, dass das NetzDG bei jenen, die wissen, worum es sich dabei handelt, nicht eben beliebt ist. Es soll Hetze, Fake News und Diffamierung in den sozialen Netzen bekämpfen, das wohl, ist aber so hastig zusammengeschustert worden, dass es Beobachter gibt, die es für verfassungswidrig halten. Ein Einwand besteht beispielsweise darin, dass es Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Äußerungen in die Hände der Betreiber von sozialen Medien im Silicon Valley gibt.

Wenn nun also Sadiq Khan ausgerechnet dieses umstrittene deutsche Gesetz lobt, dann muss es schlimm um das Klima in den Netzen bestellt sein. Zur Veranschaulichung verlas Khan in Austin Tweets, in denen er beleidigt wurde, auch den Tod wünschte man ihm. Entsprechend sagte der britische Bürgermeister, dass die Betreiber der Netzwerke ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, die Verbreitung von Rassismus, Extremismus, illegalen Inhalten und Fake News einzudämmen, aber auch, dass Politik und Gesetzgebung bislang weltweit versäumt haben, zum Wohle ihrer Bürger einzuschreiten.

Quantencomputer sollen Krebs besiegen und den Klimawandel berechnen

Eine solche Äußerung beim texanischen Nerd-Karneval SXSW schlägt naturgemäß hohe Wellen. Denn eigentlich ist das Festival - wie in jedem Jahr - eine große digitale Party. Das Internet ist mittlerweile eine zivilisatorische Megastruktur, die halbe Menschheit daran angeschlossen. Die Besucher buhlen um Aufmerksamkeit oder, wie die unzähligen Start-ups, um Kunden und Geldgeber. Inzwischen nehmen die Abordnungen von Großfirmen unterschiedlicher Branchen von Deutschland bis Indonesien breiten Raum ein.

"Künstliche Intelligenz" (KI) ist erwartungsgemäß ein bedeutendes Thema, lernende Software, die große Datenmengen auswerten kann. Die Fortschritte in gesundheitlichen Frühdiagnosen verlaufen zügig, das Versprechen einer effizienten Landwirtschaft in Zeiten klimabedingter Trockenheit und weltweiter Bevölkerungsexplosion hoffnungsvoll.

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Und jenseits des Hypes um die Blockchain-Technologie, die fast jede Veranstaltung beherrschte, rücken auch einstige Zukunftstechnologien wie Quantencomputer näher an die Realität. Sie sollen Krebs besiegen, Verkehr in Städten perfekt leiten, unangreifbare Modelle des Klimawandels berechnen: Der Software-Unternehmer und Technologie-Theoretiker William Hurley beschrieb optimistisch, wozu die Technik einmal fähig sein könnte.

KI-Entwickler blicken mit Sorge in die Zukunft

Doch stand die SXSW eben auch im Zeichen jener gravierenden Systemfehler, die in den vergangenen anderthalb Jahren sichtbar geworden sind: die wachsende Konzentration in Händen weniger Konzerne, das toxische Klima in sozialen Netzwerken, die technischen Schwachstellen bei der Absicherung kritischer Systeme.

"Wie können wir Datensätze bauen, die unseren ethischen Vorstellungen entsprechen?", fragte etwa die israelische Informatikerin Daphne Koller, die zu den angesehensten Forscherinnen im Bereich KI gehört. Die Sorgen der KI-Entwickler drehen sich dabei weniger um mörderische Supercomputer als um Entscheidungen, die Menschen nicht nachvollziehen können; oder um Datensätze, die menschliche Vorurteile replizieren, etwa indem sie Minderheiten aussortieren.

Damit aus der Entschuldigung "ich bin nur Programmierer" nicht der historisch belastete Satz "ich habe nur Befehle ausgeführt" wird, hat die IT-Organisation Committee on Professional Ethics (COPE) gerade ihren ethischen Verhaltenskodex aktualisiert. "Wir müssen uns als Profession sehen", forderte der Autor Bill Sourour: "Nur dann entwickeln wir ein gemeinsames Bewusstsein dafür, dass unsere Entscheidung gesellschaftliche Folgen haben."

Die Progressiven verlieren den Kampf der Ideen

Wie sich in dieser neuen Megastruktur überhaupt Veränderungen steuern lassen, gehört zu den ungelösten Fragen der SXSW, die noch bis zum 18. März dauert. Es gibt Millionen Programmierer, eine nennenswerte internationale Berufsorganisation existiert nicht, geschweige denn eine Instanz, die einen hippokratischen Eid wie bei Ärzten einführen könnte. Doch während sie im Westen über Ethik in der Software diskutieren, entwickelt die chinesische Regierung damit die perfekte Bevölkerungskontrolle.

"Es geht meist nicht darum, welche Menschen ein System leiten, sondern welches System die Menschen leitet", bilanzierte also der Journalist Ezra Klein, der das Problem weit über die Technologie hinaus interpretierte: IT-Firmen könnten sich keine Schrumpfkur verordnen, Machtpolitik sei in den USA immer ein Nullsummenspiel: Nur eine Partei kann regieren.

Wo Reform unmöglich erscheint, beginnt das Wettrüsten: Die Progressiven verlieren den Kampf der Ideen, weil etwa die Republikaner über ihre Infrastruktur aus konservativen Blogs, Webseiten und Onlinenutzern jeden Tag alternative Realitäten schaffen, so klagte eine PR-Aktivistin der amerikanischen Demokraten. Und schlug als Lösung vor, ein eigenes, größeres System zur politischen Beeinflussung zu bauen. Oder doch das NetzDG einführen?

© SZ vom 15.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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