Tech-Konferenz für Lesben in Berlin:"Ich muss dir gar nichts beweisen!"

Lesezeit: 4 min

"Lesbians Who Tech": Zum Abschluss der ersten europäischen Konferenz wird noch ein Gruppenfoto gemacht. (Foto: Sara Weber)

High Fives, Lippenstift, Coding: Am Wochenende fand in Berlin die erste europäische "Lesbians Who Tech"-Konferenz statt.

Von Sara Weber, Berlin

"Ich habe mich nie gefühlt wie eine Programmiererin. Ich wurde immer wieder in Frage gestellt, die Leute haben mir gesagt, ich sei keine richtige Programmiererin, weil ich eine Frau bin, weil ich nicht weiß bin."

Es ist Samstagnachmittag, die Caféteria im Hauptsitz des Musikportals Soundcloud in Berlin ist voll. Etwa 150 Frauen sind gekommen, mehr als erwartet. Sie sitzen auf Barstühlen, Bänken, Holzhockern, Sesseln, wer keinen Sitzplatz mehr gefunden hat, steht an der Küchentheke oder setzt sich auf den Boden. Auf den Tischen: Kaffee, Cola, Club Mate, aufgeklappte MacBooks. Doch auf den Bildschirm schaut niemand. Alle Blicke sind auf die Bühne gerichtet, auf Dominique deGuzman, Software-Entwicklerin bei Twilio, die von ihrem Alltag erzählt.

Jahrelang sei sie sich vorgekommen wie eine Hochstaplerin, sagt sie, immer wieder musste sie sich beweisen. Sie musste sich rechtfertigen und zeigen, dass sie programmieren kann, obwohl sie zierlich und hübsch und eine Frau ist. Mittlerweile hat sie gelernt, dumme Sprüche zu kontern statt sie zu ignorieren - und an sich und ihre Fähigkeiten zu glauben: "Ich muss dir gar nichts beweisen", ruft sie. "Ich bin eine Frau, ich bin queer, ich bin Filipino-Amerikanerin und ich bin eine verdammte Programmierin!" Tosender Applaus, einige Frauen blinzeln ihre Tränen weg.

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Weiblich, queer, Programmiererin

Wer hierher gekommen ist, zur ersten "Lesbians Who Tech" Konferenz in Europa, arbeitet in der Technologie-Branche, ist weiblich und lesbisch oder queer. Auch Verbündete sind willkommen, doch Männer sind kaum zu sehen. Die wenigen, die da sind, öffnen die Eingangstüre, sitzen am Empfang, kümmern sich darum, dass die Präsentationen reibungslos ablaufen und immer genug Getränke im Kühlschrank stehen. Mädchen für alles statt Entscheider. Oder wie eine der Teilnehmerinnen es ausdrückt: "This is not your regular sausage fest", ein expliziter Hinweis auf die Männerdominanz bei ähnlichen Veranstaltungen.

Doch warum braucht es überhaupt eine Konferenz für lesbische Frauen in der Tech-Branche? Leanne Pittsford hat die Organisation "Lesbians Who Tech" Ende 2012 in San Francisco gegründet: "90 Prozent der Besucher von LGBTQ-Veranstaltungen sind Männer. Und 90 Prozent der Besucher von Tech-Events sind Männer. Irgendwann habe ich mich gefragt: Gibt es überhaupt Lesben in der Tech-Szene?"

Der Kampf um mehr Vielfalt

Die Antwort ist ja, es gibt sie. "Lesbians Who Tech" hat mittlerweile mehr als 10.000 Mitglieder, veranstaltet zahlreiche Konferenzen - unter anderem im Weißen Haus - und hat über 20 Regionalgruppen, die meisten davon in den USA. Die Organisation will Lesben in der Tech-Industrie dabei helfen, miteinander in Kontakt zu treten und als Gruppe sichtbarer zu werden. Und da Lesben nunmal Frauen sind, ist der enorme Männerüberschuss in der Branche ebenfalls ein Thema.

Bei Google sind nur 18 Prozent der Mitarbeiter im technischen Bereich weiblich, bei Facebook 16 Prozent, bei Twitter 10 Prozent. Auch People of Color, also Asiaten, Schwarze, Latinas sind unterrepräsentiert. Zahlen über Tech-Mitarbeiter, die sich als lesbisch, schwul, bi, trans oder queer identifizieren, gibt es nicht. Doch die Job-Erfahrung der Frauen hier zeigt: Sie sind wenige. Auf dieses Missverhältnis wollen die "Lesbians Who Tech" aufmerksam machen - und dazu beitragen, dass sich die Bro-Kultur in der Branche ändert.

Zweifellos haben die Frauen hier im Raum das Zeug dazu, Veränderungen anzustoßen. Sie sind intelligent, gebildet, sie wissen, wovon sie reden und brauchen sich nicht hinter Männern zu verstecken. Sie arbeiten bei Google, Twitter, Soundcloud, Airbnb oder Twilio, sie lehren an Universitäten, sie leiten Startups.

Sie werden mitbestimmen, wie die Tech-Branche künftig aussieht - und das nicht nur in den USA und Deutschland. Es sind Frauen aus Finnland, Spanien, Schweden, Polen, Israel, Brasilien, Argentinien, Nigeria, Südafrika, Kanada, Großbritannien da, viele leben in Berlin, einige sind extra für die Veranstaltung eingeflogen.

Auf der Bühne wird englisch gesprochen, die Vorträge heißen "#Ilooklikeanengineer" und "Wie emotionale Intelligenz und Empathie dich zu einem besseren Techie machen". Zwischendrin werden Visitenkarten, High Fives und Umarmungen getauscht, in den Pausen wird Tischtennis gespielt, nachmittags mischen sich Bierflaschen zwischen den Mate. Wenn eine Frau die andere nach ihrer bevorzugten Sprache fragt, lautet die Antwort nicht Englisch oder Französisch, sondern es werden Programmiersprachen wie Python oder Ruby genannt. Und ja, es wird auch über Lippenstiftfarben und Shoppingtipps gesprochen.

Selber machen statt die Politik fordern

Die Stimmung ist positiv, energiegeladen, es geht um Veränderung, um Fortschritt. Und in erster Linie geht es um den Job: um UX Design und Führungspositionen, um Innovation und Selbstständigkeit, um Coding und Hacking. Authentizität, Outing und Benachteiligung sind natürlich auch ein Thema. Immer wieder kommen Fragen wie diese auf: "Ich wüsste gerne, wie man authentisch bleibt, ohne sich in der Arbeit outen zu müssen. Wer hat einen Tipp für mich?"

Fast jede Frau hier im Raum hat in ihrer Karriere Diskriminierung erlebt. Trotzdem: Es gibt keine Quotenforderung, keine Rufe nach politischen Maßnahmen. Stattdessen Freude darüber, Gleichgesinnte kennenzulernen und Zeit miteinander zu verbringen. Und die Hoffnung, durch Sichtbarkeit Veränderung hervorzurufen.

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Pläne für die Zukunft

Braucht es wirklich eine lesbische Tech-Konferenz? Die Antwort ist einstimmig: ja. Schon jetzt wird über eine Wiederholung in Berlin nachgedacht, und über neue Regionalgruppen. Frauen kennenzulernen, die in derselben Branche arbeiten und mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, war für viele der wichtigste Teil des Wochenendes. "Man kann sehr viel offener sprechen und auch andere Dinge thematisieren, wenn keine Männer dabei sind", sagt Julia.

Zugleich weiß jede der Frauen: Sobald die Arbeitswoche wieder beginnt und sie die Konferenzblase verlassen, sind sie nicht mehr unter Gleichgesinnten, sondern werden wieder von vielen als Außenseiter wahrgenommen. Doch sie gehen mit einem neuen Selbstbewusstsein aus dem Wochenende. Denn jetzt wissen sie: Sie sind nicht allein.

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