Silicon Valley:Angst vor dem großen Crash

Boxer-Clad Coders Adorn Silicon Valley's Billboard Boom

Überdimensionale Werbetafel für den Webhostingdienst Git-Hub in San Francisco. Auch die Bewertung solcher Start-ups ist oft überdimensioniert.

(Foto: David Paul Morris/Bloomberg)
  • Rekordzahlen im Silicon Valley: 9,3 Milliarden Dollar werden in Start-ups in der Region investiert.
  • 74 der Start-ups werden mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet. Sie werden im Fachjargon "Einhörner" genannt.
  • Trotzdem befürchten Investoren, dass die Tech-Blase bald platzen könnte.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Der Sommer im Silicon Valley könnte kaum freundlicher aussehen. Allerdings bestimmen hier nicht die Temperaturen die Laune, sondern Dollar-Summen. Sagenhafte 9,3 Milliarden Dollar flossen im jüngsten Quartal in die Start-ups der Region. Die Risikokapital-Investoren, also die Venture-Capital-Firmen (VC), sammelten zudem mit zehn Milliarden Dollar eine Rekordsumme ein. Die Bewertungen vieler Start-ups sind atemberaubend, der Fahrdienst Uber ist nun auf dem Papier mehr als 50 Milliarden Dollar wert.

Die Venture-Capital-Firmen sind einer Umfrage der University of San Francisco zufolge allerdings so skeptisch wie seit zwei Jahren nicht mehr. Selbst chronische Optimisten reden plötzlich über ein Tabuthema: eine mögliche neue Spekulationsblase, die das Silicon Valley schwer erschüttern könnte, falls sie platzt. Das Ausmaß einer Börsenblase erkennt man meist erst, wenn sie geplatzt ist. Genau deshalb sind Debatten über eine Tech-Blase häufig Glaubensfragen. Hilft also nur noch die Glaskugel? Nein. Man muss sich nur genau ansehen, wie die Macher im Silicon Valley ticken, wie sie handeln.

Faktor 1: Riesiger Optimismus

Die Optimisten - und dazu gehört fast jeder im Tal - sagen: Junge Digitalunternehmen haben das Zeug, die Großen von morgen zu werden. Sie rollen mit Hilfe von Software globale Märkte und Branchen auf, ohne dafür besonders viele Menschen beschäftigen zu müssen. Eine Firma wie Uber ist nach dieser Berechnung kein Taxi-Konkurrent, sondern ein riesiger Logistikkonzern, der mittels Software einmal Waren- und Menschenströme abwickeln wird. Wo soll da die Blase versteckt sein? Genau in diesen überzogenen Erwartungen, warnen die Pessimisten.

Wolkige Prognosen täuschen darüber hinweg, dass zu viele Start-ups nur begrenztes Profit-Potenzial haben. Wie kann beispielsweise eine Firma wie Zenefits, die Software für Personalmanagement verkauft, eine Bewertung von 4,5 Milliarden Dollar rechtfertigen? Und dies auch noch bei einem erwarteten Verlust von 100 Millionen Dollar in diesem Jahr.

Die Digitalisierung verändert die Welt. Aber nicht alle Firmen haben das Zeug zum Weltkonzern. Grundsätzlich ist das Risiko des Scheiterns eingepreist, selbst kluge Investoren müssen 50 Prozent ihrer Firmen beerdigen oder abschreiben.

Faktor 2: Die Touristen

"Die Touristen sind angekommen, und sie zahlen Preise, bei denen Einheimische nicht mehr mithalten können", ärgerte sich jüngst Risikokapitalgeber Venky Ganesan. In der Tat wollen inzwischen selbst jene Großinvestoren vom Technologie-Boom profitieren, die einst verächtlich auf die oft kleinen Venture-Capital-Firmen heruntergeschaut haben. Vermögensverwalter wie Fidelity, Wellington oder Tiger Global Management, Investment-Banken wie Goldman Sachs oder Staatsfonds aus der Golfregion buhlen um die Start-ups, von denen im Technologiebereich inzwischen 74 mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet und im Fachjargon als "Einhörner" bezeichnet werden. Extreme Erfolgsgeschichten wie Facebook oder Alibaba und Whatsapp (für 19 Milliarden Dollar an Facebook verkauft) haben die Erwartungen stark nach oben verschoben.

Risiko-Kapitalgeber kennen nur zwei Zustände: Gier und Angst

Faktor 3: Niedrige Zinsen

Wenn große Versprechen auf niedrige Zinsen treffen, fließt das Geld in Strömen: Die US-Notenbank hat billiges Geld in den Kreislauf gepumpt und mit ihrer Niedrigzins-Politik dafür gesorgt, dass konventionelle Anlageformen kaum Rendite bringen. Investoren suchen das Risiko - und sind bei Hochtechnologie genau richtig.

Faktor 4: Gier und Angst

"Risiko-Kapitalgeber im Silicon Valley kennen nur zwei Zustände: Gier und Angst", lautet eine Redensart. Dabei ist derzeit die Furcht vor dem Flop nur halb so groß wie die Angst, das nächste große Ding zu verpassen. "Fear of missing out" nennt sich das Phänomen, das den für Spekulationsblasen typischen Herdentrieb erzeugt. Geldgeber stürzen sich auf Start-ups und vielversprechende Namen. Wer beim Kampf um die Einhörner nicht mithalten kann, grast die Frühphasen-Firmen ab.

Luftige Versprechen und schwammige Kennzahlen gehören bei Tech-Start-ups seit jeher zum Geschäft, Investoren bringen im Idealfall die nötige Dosis Realitätssinn ins Spiel. Doch wie ist es in einem überhitzten Markt, der vom Herdentrieb angefeuert wird? Investoren klagen darüber, dass der Zeitdruck für Vertragsabschlüsse so groß ist, dass für eine sorgfältige Prüfung zu wenig Zeit bleibt.

Faktor 5: Die Wall-Street-Allergie

Nicht nur die Prügel, die Jungfirmen wie Twitter oder Yelp derzeit an der Börse kassieren, schrecken Gründer vom Börsengang ab. Wer muss schon Aktien ausgeben, wenn die Privatinvestoren Schlange stehen, um Geld zu geben? Die Sache ist bequem: Anstatt eines Börsenprospekts und späterer Quartalsberichte für Anleger müssen Start-ups nur ihren Investoren Zahlen vorlegen. Und die gewichten in der Logik des Silicon Valley Wachstum stärker als Profitabilität. Weniger Regulierung, mehr Freiheit - wer will da nicht der Wall Street fernbleiben? Einige Gründer geben offen zu, warum gerade jetzt die beste Zeit ist, Investorengelder einzusammeln: Niemand weiß, wann der Geldfluss versiegt.

Der Arbeitsmarkt im Silicon Valley ist ein Schlachtfeld

Faktor 6: Versperrte Ausgänge

Hohe Bewertungen sind nicht per se falsch. Firmen können in sie hineinwachsen, wenn sie ihr Geschäft mit Hilfe des gesammelten Geldes ausbauen. Doch Investoren wollen ihre Einlagen zurück, am Ende erreichen sie nur auf zwei Arten Rendite: Durch einen Exit, also den Verkauf des Unternehmens an ein größeres, oder den Börsengang. Beides war im ersten Halbjahr in den USA selten zu erleben, es gab lediglich 16 Tech-Börsengänge und zwei Milliarden-Deals.

Für einen Exit kommen bei Einhörnern nicht sehr viele Firmen in Frage. Selbst die Handvoll Technologie-Großkonzerne mit dem nötigen Geld halten derzeit Abstand von den teuren Einhörnern, konzentrieren sich auf Teams von kleineren Start-Ups und entdecken Schnäppchen-Märkte wie Europa. Gleichzeitig können die Start-ups ihre Bewertung in einem Börsengang oft noch nicht rechtfertigen. Wie also sollen die Investoren ihr Geld zurückerhalten?

Faktor 7: Geld verbrennen

Start-ups suchen Wachstum und erkaufen das in der Regel mit Lockangeboten und Rabatten, die Kunden sammeln und binden sollen. Allein für die Markteroberung in Indien und China soll Uber jeweils eine Milliarde Dollar zurückgelegt haben. In San Francisco finanzieren Investoren de facto die künstlich niedrig gehaltenen Angebote von Transportfirmen, Essenlieferanten und anderen On-Demand-Firmen.

Die kostspielige Kundenwerbung wird flankiert von lokalen Besonderheiten: In Boom-Zeiten ist der Arbeitsmarkt im Silicon Valley ein Schlachtfeld, auf dem um die besten Talente gekämpft wird. Die hohen Gehälter für Entwickler schießen weiter nach oben, fünfstellige Vermittlungsprovisionen oder Unterzeichnungsboni sind selbstverständlich. Die hohe Dichte an Tech-Firmen hat die Büromieten in die Höhe getrieben. Wer konkurrenzfähig sein möchte, bietet Nebenleistungen wie kostenlose Mahlzeiten an. "Es ist keine leichte Entscheidung für einen Gründer, fünf Millionen Dollar im Monat zu verbrennen", erzählte vor einiger Zeit ein renommierter Investor, der bei einigen bekannten Start-Ups im Aufsichtsrat sitzt.

Faktor 8: Vertrauen

Jeden Tag enden rund um San Francisco Frühphasen-Start-Ups, weil die Geldgeber den Hahn zudrehen. Die investierten Summen sind dabei aber häufig relativ gering. Bei Spätphasen-Start-ups ist bereits mehr Geld im Spiel, viele Ausfälle dürfen sich die Risikokapitalisten nicht leisten. Gerade die "Touristen" versuchen sich abzusichern, indem sie sich bevorzugte Zurückzahlung zusichern lassen. Damit minimieren sie ihr Risiko bei Notverkäufen oder bei so genannten "Down Round IPOs", wenn der Kurs unterhalb des Preises früherer Finanzierungsrunden liegt.

Je stärker das Risiko einer Branche, desto wichtiger ist Vertrauen. Es ist also eine Frage der Psychologie: Einhorn A macht schlapp, weil es zu viel Geld verbrannt hat oder sich der Markt ändert - Uber-Fahrer werden als Festangestellte klassifiziert, Apple oder Google bieten plötzlich ein Konkurrenzprodukt an. Das muss noch nichts bedeuten. Doch was, wenn Einhorn B gerade Geld sammelt und die Investoren plötzlich zögern? Oder Einhorn C aus der selben Branche nun den Ausgabepreis seiner Aktie korrigieren muss?

Pessimisten befürchten: Sterbende Einhörner könnten andere mitreißen

Faktor 9: Der X-Faktor

Die Pessimisten können sich unzählige Kettenreaktionen vorstellen. Eine sieht so aus: Die sterbenden Einhörner reißen Löcher in die Bilanzen der Venture-Capital-Firmen, denen es wegen der fehlender Rendite selbst nicht gelingt, von den Anlegern genug Geld für ihre Fonds einzutreiben; Start-ups können deshalb kein Geld mehr sammeln und fallen wie Domino-Steine; das System erlahmt; auch die Tech-Konzerne, die bereits an der Börse sind, leiden; die Fabrik für Innovation steht für einige Zeit still - womöglich nicht nur an der Westküste, sondern in allen Tech-Städten. Die Optimisten entgegnen: Eine ausreichende Zahl Firmen ist gut genug aufgestellt, nicht mit den gescheiterten Start-ups in einen Topf geworfen zu werden; man muss eben nur auf die richtigen Firmen setzen.

Beide Szenarien sind spekulativ, weil wichtige Kerndaten für Außenstehende nicht zugänglich sind. Nur wenige Akteure wissen, wie Geldverbrennen und Wachstum sich zueinander verhalten, welche Mitarbeiter und Venture-Capital-Firmen ihre Anteile an Investoren loszuwerden versuchen, weil sie nicht von ihrer Firma überzeugt sind. Dass viele Venture-Capital-Investoren wie Marc Andreessen zu den Optimisten gehören und lautstark von der Zukunft schwärmen, ist kein Zufall - für sie ist Zuversicht lebensnotwendig. Wie sonst können sie ihre Start-ups an die Börse bringen oder gewinnbringend veräußern?

Faktor 10: Die Notenbank

Ein Hindernis ist bereits in Sicht: Die US-Notenbank wird bald ihre Zinsen erhöhen. Das macht konservativere Anlageformen 2016 attraktiver - Anleger verkleinern ihr Aktien-Portfolio, Investoren minimieren im Bereich der Tech-Startup-ups ihr Risiko und geben weniger Geld. Jene Firmen, die bislang noch komfortabel Millionen einsammelten, müssen Ergebnisse liefern, Kosten senken oder auch vom gehorteten Geld leben. In einigen Fällen müssen Börsengänge vorgezogen werden, um an Kapital zu kommen. Spätestens beim Öffnen der Bücher zeigt sich, wer ein stabiles Fundament gelegt und wer nur die Umsätze nach oben getrieben hat.

Ist die Situation ähnlich prekär wie um die Jahrtausendwende, als die Dotcom-Blase platzte? Nein. Selbst Skeptiker des aktuellen Booms sagen, dass die Situation eine andere sei. Im Jahr 2000 waren viele Firmen bereits an der Börse, der Zusammenbruch schlug direkt in die Depots der Kleinanleger und Rentenfonds durch. Dieses Mal sind ein Großteil der hoch bewerteten US-Firmen noch nicht an der Börse. Der Rückschlag würde deshalb Start-up-Mitarbeiter und Investoren treffen, bei schlecht verteiltem Risiko womöglich auch jene, die in die Fonds investiert haben. Das könnte unangenehm werden.

Wenn es keine Ansteckung gibt, würden dennoch Tech-Start-ups weltweit den größten Schlag abbekommen. Wenn Investoren skeptisch werden und das Silicon Valley die Finanzierung zurückfährt, leiden auch andere Technologie-Standorte. Innovation verlangsamt sich, Ideen werden nicht umgesetzt. Es könnte eine Phase der relativen Vernunft einkehren, jene Vernunft, die derzeit bei einigen Akteuren massiv außer Kraft gesetzt ist.

Womöglich endet die Phase des Aufpumpen nicht mit einem großen Knall, sondern mit vielen kleinen Geräuschen entweichender Luft. Und dann beginnt der Aufblase-Zyklus wieder von vorne, weil die Tech-Industrie nicht verschwinden wird. Und weil Silicon Valley nichts anderes kennt als Optimismus.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: