Tauschbörsennutzer vs. Musikindustrie:"Es gibt kein geistiges Eigentum"

Die Musikindustrie macht Tauschbörsennutzer verantwortlich für drastische Gewinneinbrüche. Der Münsteraner Rechtsprofessor Thomas Hoeren widerspricht. Ein Gespräch über Nutzerrechte und den Unsinn von Abmahnungen.

Mirjam Hauck

Ende April, zum Tag des "geistigen Eigentums", veröffentlichte der Bundesverband der Musikindustrie in drei großen Tageszeitungen einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin. Rund 200 Künstler wie 2raumwohnung oder Herbert Grönemeyer hatten ihn unterzeichnet. Sie beklagten, dass vor allem im Internet Musik "millionenfach unrechtmäßig angeboten und heruntergeladen werde, ohne dass die Kreativen, die hinter diesen Produkten stehen, dafür eine faire Entlohnung erhalten".

Tauschbörsennutzer vs. Musikindustrie: Thomas Hoeren, Jura-Professor an der Uni Münster

Thomas Hoeren, Jura-Professor an der Uni Münster

(Foto: Foto: Uni Münster)

Der Münsteraner Rechtsprofessor Thomas Hoeren widerspricht dieser Ansicht. In seinem Blog beim Beck-Verlag antwortete er auf den Offenen Brief: "Die eigenen Haussklaven werden als Unterzeichner vorgeschickt und instrumentalisiert, statt sich mal zu fragen, ob man nicht als Musikindustrie angemessene Salärs an Kreative zahlt."

sueddeutsche.de: Herr Professor Hoeren: Warum unterstützen so viele, zum Teil auch recht namhafte Künstler, die Aktion des Lobbyverbandes?

Thomas Hoeren: Das liegt an der Organisation der Musikbranche. Sie hat quasi ein Oligopol. Fünf bis sechs große Konzerne teilen sich den Markt untereinander auf. Und wer nicht bei einem Indielabel unterzeichnen möchte, muss sich den Gepflogenheiten der Musikindustrie anpassen - einer Branche, die mehrheitlich nicht die Kreativen vertritt, sondern hauptsächlich ihre Verwerterrechte sichern will.

sueddeutsche.de: Die Musikindustrie macht vor allem die Nutzung der Internettauschbörsen verantwortlich für den Gewinneinbruch.

Hoeren: Damit macht es sich die Branche zu einfach. Dazu tragen viele Faktoren bei: Die CD als Trägermedium ist technisch obsolet, die Musikqualität hat sich in den letzten Jahren verschlechtert, weil sehr viele Tonträger in immer kürzeren Abständen auf den Markt gebracht werden. Und auch die Preisstruktur ist falsch. Eine CD ist einfach zu teuer. Ein anderes Problem ist, dass die Musikindustrie mit gespaltener Zunge redet, wenn sie das Internet als Verbreitungsmedium verteufelt. Sony bringt als Hersteller MP3-Player mit allen Schikanen heraus, während Sony Music sein CD-Geschäft verteidigen will.

sueddeutsche.de: Welche Erlösmodelle könnten hier eine Alternative sein?

Hoeren: Die Musikindustrie braucht ihre Kunden. Aber derzeit sieht es so aus, also könne sie nur auf sie einschlagen. Vor allem müsste sie ihre Kreativen besser behandeln. Hier sollte die Rechtssprechung viel häufiger eingreifen und beispielsweise Verträge, die keine Gewinnbeteiligung vorsehen oder bei denen Künstler nachzahlen müssen, als sittenwidrig einstufen. Auf Nutzerseite wäre eine erhöhte Geräteabgabe ein Weg, um mehr Geld in die Kassen der Kreativen zu spülen. Es ist sicherlich kein Problem, wenn ein Player 100 Euro mehr kostet. Aber das funktioniert in Deutschland nicht, weil die Kreativen und die Nutzer keine Lobby haben und die Musikindustrie am lautesten schreit.

sueddeutsche.de: Angela Merkel hat bereits auf den offenen Brief geantwortet und der Musikindustrie ihre Unterstützung zugesagt.

Hoeren: Das zeigt die Hilflosigkeit der Kanzlerin, die ganzseitigen Anzeigen waren ja nicht zu übersehen. Nutzer-Interessen vertreten ja höchstens noch Verbraucherschutzverbände, und auch die Kreativen sind meist extrem schlecht organisiert. Die Verantwortlichen in der Politik sollten aufpassen, dass das Urheberrecht nicht einseitig zu einem Recht der Verwerter, also der Musikindustrie wird. Es muss die wahren Kreativen schützen, somit vor allem die Komponisten und Musiker.

Auf der nächsten Seite: Professor Thomas Hoeren erklärt, wie ein gutes Urheberrecht aussehen müsste.

"Es gibt kein geistiges Eigentum"

sueddeutsche.de: Wie müsste Ihrer Meinung nach ein gutes Urheberrecht aussehen?

Hoeren: Wir brauchen Zugangsfreiheit zu Informationen gegen gute Bezahlung der Kreativen. Ein gutes Urheberrecht muss ein Dreieck aus Kreativ-, Nutzer- und Verwerterrechten formen. Was mich bei der Debatte auch immer stört, ist der politische Begriff des "geistigen Eigentums". Er wurde schon im 19. Jahrhundert angegriffen. Der Begriff ist falsch, Ideen sind nicht eigentumsfähig. Das Urheberrecht erlaubt Privatkopien, aber ein Dieb darf nicht privat stehlen. Besser wäre es, von einem Immaterialgüterrecht zu sprechen.

sueddeutsche.de: Ist die Nutzung von Tauschbörsen nicht eine Folge des Denkens, dass im Netz alles kostenlos zu haben sein müsse?

Hoeren: Natürlich gibt es in der Netzcommunity schwarze Schafe. Problematisch wird es dann, wenn der Tausch einen kommerziellen Hintergrund hat, wenn Profit daraus geschlagen werden soll. Bei diesen Fällen müssen Staatsanwaltschaften und Gerichte eingreifen.

sueddeutsche.de: Anfang April hat der Bundestag das "Gesetz zur besseren zivilrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte" beschlossen. Es deckelt die Gebühren für erste anwaltliche Abmahnung bei Urheberrechtsverstößen auf 100 Euro. Sowohl Anwaltsverbände als auch die Musikindustrie sind damit nicht einverstanden.

Hoeren: Die Anwälte befürchten zum einen, dass die Deckelung der Gebühren auch auf andere Rechtsgebiete ausgeweitet wird, und zum anderen gibt es Anwälte, für die Abmahnungen, beispielsweise über ein nachträgliches Mandat, ein gutes Geschäft ist. Mehr geärgert als der Protest gegen die Deckelung der Gebühren hat mich aber der Wunsch der Verwerter, dass sie ohne Richtervorbehalt auf die Daten der Tauschbörsennutzer zugreifen wollten. Damit wollte sich die Musikindustrie besser stellen als der Staat. Zum Glück ist das im Bundestag nicht durchgekommen.

sueddeutsche.de: Es gibt inzwischen auch die Möglichkeit, mittels spezieller Software bei Webradios mitzuschneiden. Für Dieter Gorny, Chef des Bundesverbandes der Musikindustrie, sind das "digitale Trittbrettfahrer".

Hoeren: Das Gesetz erlaubt diese Methoden. Hier bezahlt der Nutzer über die GEMA und die GVL. Und legal bleibt legal. Beschimpfungen sind da fehl am Platz.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: