Supercomputer für den Mittelstand:Big Data auch für die Kleinen

Supercomputer

Deutschlands derzeit schnellster Rechner: Hazel Hen

(Foto: Boris Lehner)

Kleinere Unternehmen können sich eigentlich keine Supercomputer leisten. Doch die EU will das nun ändern - Big Data soll nicht nur Konzernen vorbehalten sein.

Von Helmut Martin-Jung

Das Wunderwerk, das man den menschlichen Körper nennt, ist komplex. So komplex, dass es kaum verwundert, wenn ein Medikament, das eigentlich zur Behandlung von Bluthochdruck und Angina pectoris entwickelt wurde, auch gegen erektile Dysfunktion beim Mann hilft. Der Fall Viagra ist nur ein prominentes Beispiel - doch er war wie so viele ein Zufallsfund. Die Dresdner Bioinformatik-Firma Transinsight will dabei helfen, das zu ändern. Sie bietet einen Service an, bei dem Pharmafirmen gezielt danach suchen können, wofür ein bestimmter Wirkstoff noch geeignet wäre.

Das Problem dabei: Es müssen riesige Datenmengen durchforstet werden, und die Sache ist zudem sehr komplex - eine klassische Aufgabe also für einen Supercomputer. Doch die sind sehr teuer und veralten schnell. Deshalb kam für Transinsight ein Projekt der EU gerade recht: Fortissimo hat sich zum Ziel gesetzt, auch kleinen und mittleren Firmen, die sich niemals eine solche Anlage würden leisten können, Zugang zu Supercomputern zu verschaffen.

"Wir helfen den Unternehmen auch zu verstehen, was sie da eigentlich machen."

"Die Unternehmen müssen sich dafür bewerben", sagt Carolyn Brock von der Universität im schottischen Edinburgh, die die Koordination des europaweiten Projekts übernommen hat. "In der jüngsten Runde hatten wir 40 Bewerbungen, elf davon wurden schließlich aufgenommen." Ziel des Projekts ist es, die Wettbewerbsfähigkeit auch kleiner und mittlerer Unternehmen zu fördern. "Manche Firmen sind sehr klein und tun sich sehr schwer, wenn sie sich der EU-Kommission präsentieren sollen", erzählt Brock, "das sind eben Techniker, die das nicht von Haus aus können."

Warum sich doch ziemlich viele Unternehmen einen Ruck geben und sich bewerben, erklärt die schottische Wissenschaftlerin so: "Wir bieten ja nicht nur reine Rechenzeit, wir schulen die Teilnehmer auch und die bekommen im Rahmen des Projekts Kontakt mit den besten Experten Europas." Aber auch für die Unis und ihre Rechenzentren lohne sich das Programm, ist Brock sicher: "Die Hochschulen werden zusammengebracht mit Experten aus der Industrie, die sie sonst vielleicht nie kennengelernt hätten."

Im Rahmen des Pilotprojekts ist der Zugang zu den teuren Ressourcen für die Teilnehmer kostenlos. Das kann zwar auf Dauer nicht so bleiben, doch es gibt seit Ende Oktober eine gute Möglichkeit für Unternehmen, kostengünstig an Rechenressourcen zu kommen: Die teilnehmenden Einrichtungen haben einen Marktplatz für Supercomputer-Dienstleistungen eröffnet, und zwar als Non-Profit-Organisation. Firmen können ihre Projekte dort kostengünstig berechnen lassen - natürlich ohne dass sie dort sein müssen, wo die Rechenanlage steht. Der Marktplatz funktioniert über einen Online-Zugang.

Die Nutzer bezahlen nur, was sie brauchen. Das schließt aber Software, Hardware und Know-how ein. Denn wie beim Pilotprojekt geht es auf dem Fortissimo-Marktplatz nicht nur um die reine Rechenleistung. "Wir helfen den Unternehmen auch zu verstehen, was sie da eigentlich machen." Dafür stehen Berater aus dem Fortissimo-Universum zur Verfügung.

Lerneffekt und Rechenleistung

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Supercomputer werden häufig für Simulationen eingesetzt. Ihr Vorteil ist, dass sie wegen ihrer enormen Rechengeschwindigkeit sehr viele Abhängigkeiten berücksichtigen können. Dadurch werden immer realitätsnähere Simulationen möglich. Den ersten Supercomputer präsentierte die Firma Cray in den 1970er-Jahren. Bereits ein handelsüblicher Intel-Prozessor aus dem Jahr 2008 rechnet etwa 250-mal so schnell. In Supercomputern werden viele Prozessoren parallel eingesetzt und durch besonders schnelle Leitungen miteinander verbunden.

In jüngerer Zeit werden auch Grafik-Prozessoren in Supercomputern eingesetzt, weil diese besonders viele parallele Recheneinheiten besitzen. Supercomputer benötigen sehr viel Energie. Hazel Hen zum Beispiel, Deutschlands derzeit schnellster Rechner, schluckt etwa 3200 Kilowatt. Als Betriebssystem kommt meistens Linux zum Einsatz. Da Supercomputer ihre hohe Geschwindigkeit vor allem durch das parallele Rechnen erreichen, müssen die Programme, die darauf laufen, daran angepasst werden. Helmut Martin-Jung

Von den rund 130 Organisationen, die beim Fortissimo-Pilotprojekt mitgemacht haben, sind am Anfang zwar nur die Hauptpartner auch beim Marktplatz dabei. Ziel sei es aber, so Brock, dass die anderen nach und nach folgen und dass so dann auch immer mehr Nutzer gewonnen werden. Sie hofft, dass es damit gelingt, die Einstiegshürde für kleine und mittlere Firmen zu senken, Projekte anzugehen, die viel Rechenkapazität erfordern. Die Firmen können auf dem Marktplatz aber auch ihre Produkte und Services anbieten.

Als Konkurrenz zu Cloud-Anbietern wie etwa Amazon Web Services sieht sich Fortissimo nicht. Dabei werde ja vor allem reine Rechenleistung angeboten. Doch die nütze den kleinen Firmen wenig, wenn sie kaum Ahnung davon haben, wie sie diese auch nutzen. Ein Supercomputer ist außerdem auch etwas anderes als Cloud-Rechner.

Bei Fortissimo dagegen geht es auch um den Lerneffekt. Der Einsatz des Superrechners wird zusammen mit den Unternehmen geplant und umgesetzt. Dabei wird an konkreten Fragestellungen aus dem jeweiligen Geschäftsumfeld der Firmen gezeigt, wie durch die Computerberechnungen wirtschaftlicher Mehrwert erzeugt werden kann.

Das kann das Design komplexer Werkstücke genauso sein wie computersimulierte Tests von Vorserienmodellen. Die Firmen können durch den Einsatz von Simulationen aber auch Geld einsparen, zum Beispiel, wenn keine oder weniger Prototypen gefertigt werden müssen. Die erste Fortissimo-Runde läuft im Dezember 2016 aus, die zweite Runde hat im November 2015 begonnen und endet im Oktober 2018. Für beide Projekte zusammen hat die EU 26 Millionen der Gesamtkosten von 32,8 Millionen Euro übernommen.

Beteiligt an Fortissimo sind neben Universitäten und Forschungseinrichtungen auch Firmen wie Bull oder Intel. Aus Deutschland ist die Universität Stuttgart dabei. Am Höchstleistungsrechenzentrum der baden-württembergischen Landeshauptstadt steht Deutschlands derzeit schnellster Rechner, Hazel Hen. Fortissimo ist eingebettet in die Initiative ICT Innovation für Manufacturing der EU. Sie soll dabei helfen, europäische Firmen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu erhalten. Außer cloudbasierten Simulationen werden auch Projekte der Robotik, Lasertechnologie und mit intelligenten, sensorbasierten Geräten gefördert.

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