Studie zur Online-Abhängigkeit:560.000 Deutsche sollen unter Internet-Sucht leiden

Entzugserscheinungen ohne Internet: Mehr als eine halbe Million Deutsche sollen laut einer aktuellen Studie abhängig vom Internet sein. Doch noch ist nicht einmal klar, was genau Online-Sucht ausmacht.

Die Zahlen klingen alarmierend: Etwa 560.000 Menschen in Deutschland gehen täglich mindestens vier Stunden zwanghaft online, weitere 2,5 Millionen Internetnutzer sind suchtgefährdet. Dies geht aus einer Studie der Universität Lübeck im Auftrag der Bundesdrogenbeauftragten hervor.

Studie zur Online-Abhängigkeit: Wann ist der Internet-Konsum schädlich? Auch eine neue Studie gibt darauf keine Antwort.

Wann ist der Internet-Konsum schädlich? Auch eine neue Studie gibt darauf keine Antwort.

(Foto: APN)

Das wäre unter den befragten 15.000 Bundesbürgern zwischen 14 und 65 ein Anteil von einem Prozent, damit wäre die Quote der Glücksspielsüchtigen (0,3 bis 0,5 Prozent) deutlich übertroffen. Bei Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren ist die Suchtgefahr deutlich erhöht: Hier können sich nur vier Prozent noch freiwillig vom Netz lösen.

Die Jugendlichen werden vor allem von sozialen Netzwerken, Online-Spielen und E-Mails zum Surfen verleitet. Die Folgen der Sucht reichen von Kontrollverlust über Entzugserscheinungen wie Angst und Gereiztheit bis hin zur Verwahrlosung. Überraschenderweise sind in dieser Altersgruppe mehr Mädchen als Jungen betroffen.

Während die süchtigen Mädchen (77 Prozent) häufiger als Jungen (65 Prozent) in sozialen Netzwerken unterwegs sind , werden Jungen (34 Prozent) häufiger als Mädchen (sieben Prozent) von Online-Spielen gefesselt. Rund 15 Prozent der 14- bis 16-Jährigen sind suchtgefährdet. In der Gruppe der Erwachsenen liegt der Anteil bei den als möglicherweise süchtig klassifizierten Männern (1,2 Prozent) höher als bei Frauen (0,8 Prozent).

Weniger als bei der letzten Studie

"Onlinesucht ist ein Problem", gab die Bundesdrogenbeauftragte Mechthild Dyckmans (FDP) bei der Vorstellung zu Protokoll. Zwar sei die Internet-Abhängigkeit noch nicht auf dem Niveau der Alkoholsucht (1,4 Prozent), sie liegt jedoch Dyckmans zufolge auf dem Level der Cannabiskonsumenten. Dies sei "besorgniserregend".

Die Ergebnisse der aktuellen Studie liegen allerdings unter denen der bislang einzigen Untersuchung zu diesem Thema in Deutschland. 2001 waren bei einer Online-Stichprobe unter mehr als 7.000 Personen 3,2 Prozent der Befragten als süchtig klassifiziert worden.

Die Teilnehmer der Studie mussten 14 Fragen zu ihrem Verhalten beantworten, zum Beispiel "Wie häufig setzen Sie Ihren Internetgebrauch fort, obwohl Sie eigentlich aufhören wollten? " oder "Wie häufig gehen Sie ins Internet, wenn Sie sich niedergeschlagen fühlen?".

"Die Datenlage ist schwach"

Als internetsüchtig gilt, wer verschiedene Verhaltensauffälligkeiten vorweist, zum Beispiel den Verlust des Zeitgefühls beim Surfen, Entzugserscheinungen, Internet-Nutzung als Flucht vor negativen Gefühlen oder Abwesenheit in Schule und am Arbeitsplatz aufgrund der übermäßigen Online-Nutzung.

Ob diese Faktoren genügen, um ein Krankheitsbild Internetsucht zu belegen, ist jedoch umstritten. "Die Datenlage ist schwach. Wir wissen sehr wenig über die Verbreitung des Problems", gab auch Studien-Autor Hans-Jürgen Rumpf zu. In der Studie ist deshalb auch von "wahrscheinlich Abhängigen" die Rede.

Gegner der Klassifizierung solcher Störungen als Online-Sucht argumentieren, die Internet-Abhängigkeit sei eine Übertragung von bereits bestehenden Störungen wie Spiel-Sucht, Sex-Sucht oder neurotischen Zwangshandlungen auf das Internet-Verhalten.

Bald im Leistungskatalog der Krankenkassen?

Die Frage nach der Klassifzierung ist auch eine gesundheitspolitische: Wird Online-Sucht als Krankheit deklariert, müsste die Therapie künftig eigentlich in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden. Dies fordert der Rheinischen Post zufolge nun auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU).

Die Bundesdrogenbeauftragte Dyckmans hat angekündigt, sich für verbindliche Diagnose- und Behandlungsleitlinien einzusetzen. Wie diese aussehen könnten, wenn noch nicht einmal der Begriff Internetsucht etabliert und geklärt ist, bleibt allerdings offen.

Die Entwicklung wirksamer Therapiemethoden stellt eine große Herausforderung dar: Für viele Betroffene dürfte es nur schwer möglich sein, die Berührung mit dem Internet komplett zu meiden, ist die Online-Welt doch nicht nur unsere gängige Kommunikationsstruktur, sondern für viele Menschen auch tägliches Arbeitsinstrument in ihrem Beruf.

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