Streit um Staatstrojaner:Spähprogramm spaltet Schwarz-Gelb

Die FDP entdeckt ihre freiheitlichen Wurzeln - und stellt zum Ärger der Union den Einsatz von Spionagesoftware grundsätzlich in Frage. Bayerns LKA-Chef hingegen rechtfertigt die Verwendung des Staatstrojaners - die Software überwache nur E-Mails. Bayerns Ministerpräsident Seehofer sichert indes umfassende Aufklärung zu.

Die umstrittene staatliche Schnüffel-Software sorgt für Zoff in der schwarz-gelben Koalition: Besonders die FDP versucht, in der Debatte als Bürgerrechtspartei zu punkten.

Nachdem sich führende Liberale mit Vertretern des Chaos Computer Clubs (CCC) getroffen hatten und sich deren Kritik an der staatlichen Spähsoftware zu eigen machten, stellt die FDP-Bundestagsfraktion den Einsatz solcher Software durch die Sicherheisbehörden nun grundsätzlich in Frage. "Der nun enthüllte Staatstrojaner nährt erhebliche Zweifel, dass ein Einsatz von Spionage-Software im Rahmen der deutschen Verfassung überhaupt möglich ist", sagte FDP-Rechtsexperte Marco Buschmann der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Bisher deute vieles darauf hin, dass die Risiken eines eingeschleusten Trojaners für die Privatsphäre technisch nicht beherrschbar seien. "Es gibt bessere, weniger einschneidende Wege, um verschlüsselte Kommunikation von Verdächtigen zu überwachen", sagte Buschmann weiter - und hatte auch konkrete Tipps für die Strafverfolger: Diese sollten sich künftig an den Internetdienst Skype in Luxemburg wenden. Das Unternehmen sei in der Lage, die verschlüsselte Kommunikation zu dechiffrieren.

Mit dem sogenannten Staatstrojaner kann nach Angaben des Chaos Computer Clubs nicht nur die Kommunikation überwacht, sondern der Computer komplett ferngesteuert werden. Dies ist nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung rechtswidrig.

LKA-Chef: Nur E-Mail-Screenshots

Der Chef des Bayerischen Landeskriminalamts, Peter Dathe, weist diese Vorwürfe zurück. "Wir haben solche Programme nicht rechtswidrig eingesetzt", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die Polizei arbeite nicht außerhalb der Gesetze. "Wir befinden uns allenfalls in einer rechtspolitischen Diskussion." Die Privatsphäre der Menschen werde sehr ernst genommen. "Es geht nicht darum, die Bürger unkontrolliert zu überwachen. Es geht darum, Straftaten aufzuklären."

Anders als bei einer Online-Durchsuchung wird nach Worten von Dathe bei der sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung durch die Polizei nicht untersucht, welche Daten der Überwachte herunterlädt oder welche Seiten im Internet er aufruft. "Wir überwachen bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung nur E-Mails und Gespräche, bevor sie verschlüsselt werden. Nicht den ganzen Inhalt des Computers." Über jeden Vorgang werde Protokoll geführt.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) kündigte indes eine umfassende Aufklärung an. "Es wird nichts verschleiert", sagte er im Landtag. Er stellte sich zugleich hinter den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann. Dessen Argumentation in der Trojaner-Debatte sei plausibel. Seehofer betonte, Herrmann habe sein Vertrauen. Es sei auch richtig gewesen, den bayerischen Datenschutzbeauftragten zu bitten, die Vorgänge zu überprüfen. Seehofer verneinte die Frage, ob er eine Belastung der schwarz-gelben Koalition durch die Trojaner-Debatte befürchte.

FDP-Flirt mit dem Chaos Computer Club

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte am Dienstag den Ländern empfohlen, die in die Kritik geratene Software vorerst nicht zu verwenden. Stattdessen sieht er nun Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der Pflicht, für eine Reform des BKA-Gesetzes zu sorgen, das auch die seit langem umstrittene Online-Durchsuchung von Computern regelt.

Bayern wegen Trojaner-Einsatzes unter Druck

Der Trojaner ist wieder im Bewusstsein der Deutschen: Über die Anwendung des umstrittenen Spähprogramms streitet sich nun die Regierungskoalition.

(Foto: dpa)

Die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger gilt als Vertreterin des alten Bürgerrechtsflügels der Partei. 1995 war sie als Bundesjustizministerin zurückgetreten, weil sie den Großen Lauschangriff nicht mittragen wollte. Die FDP-Mitglieder hatten sich zuvor im Rahmen einer ersten Mitgliederbefragung mehrheitlich dafür ausgesprochen. 2004 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Regelung zur akustischen Wohnraumüberwachung für verfassungswidrig.

Die Liberalen, die aktuellen Umfragen zufolge zwischen drei und vier Prozent liegen und damit den Einzug ins Parlament verpassen würden, scheinen nun dieses alte Thema neu zu entdecken: Nach dem Treffen mit Mitgliedern des CCC sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner, der Spähtrojaner sei möglicherweise verfassungswidrig. Es gehe um eine Software, die "vergleichbar mit einer Hausdurchsuchung" sei, bei der "hinterher die Wohnungstür offen bleibe".

Piraten: "Vorsatz zum Bruch der Verfassung"

Die Piratenpartei hält den Einsatz von Trojanern durch staatliche Behörden gänzlich für gescheitert. Der Vorsitzende Sebastian Nerz sagte der Nachrichtenagentur dapd: "Es gibt keinerlei Möglichkeit, einen Trojaner zu installieren, der den rechtlichen Erfordernissen entspricht." Ein Richter könne nie nachweisen, ob Beweismittel auf Computern eines Überwachten nachträglich verändert wurden. Der Skandal um den Staatstrojaner habe zudem gezeigt, dass es in den betroffenen Behörden "entweder eine gewisse Blauäugigkeit oder einen Vorsatz zum Bruch der Verfassung gibt".

Das Bundeskanzleramt sieht derweil die Behörden in der Pflicht. Der zuständige Abteilungsleiter im Kanzleramt, Günter Heiß, sagte den Stuttgarter Nachrichten: "Jene Behörden, die die Programme nutzen, müssen die Software für jeden einzelnen Zugriff zuschneiden, dass es im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig ist."

"Jedes Spähprogramm wird dem System angepasst"

Die Landeskriminalämter entwickelten keine eigene Software zur Telekommunikationsüberwachung, sondern kauften "multifunktionale Rohlinge" bei einschlägigen Anbietern. Diese Rohlinge hätten weit mehr Fähigkeiten als rechtlich zugelassen. "Jedes Spähprogramm wird dem System angepasst, welches die Behörden penetrieren wollen", sagte Heiß. "Es gibt also nicht diesen einen Trojaner, der immer zum Einsatz kommt, alles kann und deshalb rechtswidrig ist."

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, der 2008 am Urteil zur Onlinedurchsuchung mitgewirkt hat, sagte der Augsburger Allgemeinen: "Wenn der Staat eine Software einsetzt, die eine Ausspähung des Computers oder gar den Missbrauch durch Dritte ermöglicht, ist der Einsatz verfassungswidrig." Es gebe zwar keine verfassungswidrige Software als solche. Entscheidend sei aber, wo und wann sie eingesetzt werde. Wenn ein Trojaner eingesetzt werde, müsse seine unbefugte Nutzung technisch ausgeschlossen werden.

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