Stimmen aus dem Netz:"Privatkrieg zwischen Wikileaks und den USA"

Die sueddeutsche.de-Community hält die Politiker-Beschreibungen in den Geheimdepeschen für passend, den Nachrichtenwert jedoch für gering. In den Blogs ist eine Debatte über die Macht des Portals entflammt. Eine Netz-Nachlese.

Julia Jendrsczok

Mehr als 700 Kommentare haben die Nutzer von sueddeutsche.de in den vergangenen Tagen unter den Artikeln zum Themenkomplex Wikileaks hinterlassen. Anders als viele Politiker sehen sie die Veröffentlichung der Geheimdepeschen positiv - messen ihr aber keine große Bedeutung zu.

Ein bekennender Wikileaks-Fan freut sich über die Transparenz, bezweifelt aber, ob solche Veröffentlichungen sinnvoll sind. "Immerhin ist es die Aufgabe der jeweiligen diplomatischen Vertretungen eine Einschätzung der jeweiligen Partner zu treffen. Daran ist nichts Verwerfliches", schreibt der User.

Auch andere Kommentatoren schätzen den Nachrichtenwert der Depeschen gering ein. "Viel Lärm um nichts" überschreibt willewhw seinen Kommentar. "Warum sollen sich die Amerikaner keine Gedanken über ihre Gesprächspartner und Verbündeten machen dürfen?", fragt er. Das sei ein ganz normaler Vorgang.

"Wenn unser BND das nicht längst schon weiß, sollte man ihn abschaffen", findet Wanninger von der Au. Seiner Meinung nach besteht keine Gefahr wegen eines Geheimnisverrats. "Was gefährdet ist, ist vielleicht der lasche Umgang mit solchen 'Geheimpapieren' und Dossiers", postet er.

Velti 01 hält die aufgetauchten Einschätzungen zwar nicht für neu, die Reaktionen aber dennoch interessant. Er dankt Wikileaks dafür, dass den Staatsoberhäuptern "endlich einmal der Spiegel vorgehalten wurde".

"Wir bleiben dennoch Freunde"

Doch es finden sich auch kritische Gegenstimmen: "Diese Wikis haben keine Moral", schreibt zum Beispiel Wurmloch. "Dies geht eindeutig zu weit", findet er. BlackSun84 vermutet, dass wirtschaftliche Interessen hinter den Veröffentlichungen stecken, zum Beispiel der Versuch, Spender zu gewinnen: "Meiner Meinung übertreibt Wikileaks nur der Kohle wegen."

Die Beschreibungen der einzelnen Politiker finden manche Nutzer äußerst zutreffend: "Dass der 'glatte' Guttenberg eher ins Auswärtige Amt passen würde, ist völlig klar", schreibt die Nutzerin Nachdenkliche, "Westerwelle ist ein 'Polterer', man erkennt auch sehr wohl sein Desinteresse an der Außenpolitik.".

Insgesamt sehen die User durch die Veröffentlichungen keine Bedrohung für das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland. Das Resümee von Coque: "Wir bleiben dennoch Freunde."

In der deutschen Blogosphäre wird die Publikation durchaus kritisch betrachtet. "Woher die Daten stammen? Keiner weiß es", schreibt zum Beispiel Don Dahlmann. Nicht eigene Rechercheleistung von Magazinen und Zeitungen habe zu den Enthüllungen geführt, die Daten wurden über eine dritte Partei zugespielt. Allerdings würden die Reaktionen des US-Außenministeriums dafür sprechen, dass die Daten echt sind.

"Enormer Druck von Wikileaks"

Auffällig findet Dahlmann auch die Fixierung auf die USA. Auf ihn wirkt es wie eine "Privatfehde, die sich Wikileaks und die USA da leisten." Bedenklich sei, "wie schnell sich die Medien von wenigen Quellen instrumentalisieren lassen."Denn nur Wikileaks entscheidet, wer die Daten wann bekommt." Er sieht eine wechselseitige Abhängigkeit: Einerseits könne Wikileaks ohne die Medien nicht existieren, andererseits seien die Medien auf deren Informationen angewiesen.

Blogger Andreas Grieß geht noch weiter mit seiner Kritik und warnt vor einer Gefährdung der Pressefreiheit durch Wikileaks. Er fragt in seinem Blog nach den Konditionen, unter denen Wikileaks die Informationen zum Beispiel an den Spiegel weitergereicht habe.

Die New York Times beispielsweise erhielt keine direkten Informationen von Wikileaks, da ein Porträt über den Gründer Julian Assange bei dem australischen Kopf der Plattform offenbar auf wenig Gegenliebe gestoßen war. "Das bedeutet, dass Wikileaks einen enormen Druck ausüben kann", schreibt Grieß.

Frank Luebberding vom Blog Weissgarnix sieht eine ganz praktische Folge der Veröffentlichung für interne Diplomatendepeschen. "Diese Berichte werden jetzt noch langweiliger werden - und wohl gleich in der Ablage landen. Wer will das noch lesen?"

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