Stadtpläne im Web:Gute Nachbarn, schlechte Nachbarn

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Denunziantentum im Internet: Auf einer Website können User nervige Nachbarn auf dem Stadtplan markieren - oder aber die Perle von nebenan.

Ann-Kathrin Eckardt

Die grüne Leuchtschrift des Weckers zeigt 4.33 Uhr. Es ist dunkel. Doch an Schlaf ist trotzdem nicht zu denken. Warum, das zeigt die nächste Sequenz des Videos. Im Garten nebenan bellen zwei Hunde um die Wette. Eine weiße Schrift verkündet: "Wir sind die Hunde von Pam Braham, 101 Regan Drive in Magnolia, Mississippi". Schnitt. "Wir bellen 24 Stunden."

Kleinere und größere Nachbarschaftsstreitereien passieren nicht nur bei Desperate Housewives sondern jetzt auch im Internet. (Foto: Foto: dpa)

Zu sehen ist das Video auf der amerikanischen Website RottenNeighbor.com. Hier erscheinen Hundehalter, Saxophon-Spieler, Liebespaare, Skateboarder und Falschparker - allerdings meist ohne deren Wissen. Denn ihren Auftritt auf der Seite verdanken sie meist einem verärgerten Nachbarn. So klagt Mitglied "Snowandfrog" über eine Halfpipe und Skateboardfreaks im Hinterhof, "Pun1" warnt vor laut stöhnenden Nachbarn, und "Private" beschwert sich über einen Anwohner, dessen Huskys ihr Geschäft mit Vorliebe auf dem örtlichen Tennisplatz verrichten.

Das öffentliche Denunziantentum im Internet - in den USA bislang vor allem bei vorbestraften Sexualtätern gerne angewandt - hat die gepflegten Rasenflächen der wohlhabenden Vorstadtsiedlungen erreicht. Rote Häuser auf einer detaillierten Google-Earth-Karte zeigen genau an, in welchem Haus die Störenfriede wohnen. Dem Nachbarn endlich mal die im Wind flatternde Wäsche (das gilt zumindest in den USA als asozial) oder schlechtes Klavierspielen um die Ohren zu hauen, wird hier zu einer Sache von Sekunden. Registrieren, ein paar launige Zeilen schreiben, Haus an die richtige Adresse setzen. Fertig.

Früh über die künftige Nachbarschauft informieren

Doch die Seite hat nicht nur rote Häuser zu bieten. Vereinzelt stechen auch ein paar grüne Flecken ins Auge. Sie machen fünf bis zehn Prozent der Einträge aus und verraten die Perle von nebenan. Vor einem Wohnungswechsel kann sich also jeder per Adressabfrage über die künftige Nachbarschaft informieren. "Man will sich das neue Zuhause doch nicht gleich wieder von unangenehmen Anwohnern verderben lassen", sagt Brant Walker - erst recht nicht, wenn man sich trotz Immobilienkrise zum Hauskauf entscheide. Der 27-jährige Betreiber der Seite musste eben diese unangenehme Erfahrung vor knapp einem Jahr selbst machen, als er eine neue Wohnung in San Diego bezog. "Meine Nachbarn waren eigentlich nicht unfreundlich, aber sie haben ständig übelriechende Speisen gekocht." Die Idee für RottenNeighbor war geboren.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wann solche Videos auch aus deutschen Vorgärten auftauchen könnten.

Seit Ende vergangenen Jahres kann hier anonym jeder alles über jeden schreiben. Oder zumindest fast alles. "Wir behalten uns natürlich vor, zum Beispiel rassistische Beiträge zu löschen", sagt Walker. Den Rest erledigt die User-Gemeinschaft selbst: Wer einen Eintrag für überzogen oder falsch hält, kann ihm eine rote Flagge verpassen. Ab einer bestimmten (und geheimen) Flaggenanzahl wird der Beitrag automatisch gelöscht. Dank einer Kommentarfunktion können andere Nutzer außerdem widersprechen, beipflichten oder Tipps geben.

Die Einträge mindern den Wert des Hauses

Das Video von David Adams, schlafloser Nachbar von Pam Braham und ihren zwei Hunden, steht seit einer Woche auf der Seite. "Ich habe sogar schon überlegt, mein Haus zu verkaufen", erzählt der 37-jährige Amerikaner. Seine Nachbarin kümmere sich einfach nicht um die Tiere. Deshalb das ständige Gebell. Er habe zwar schon mehrmals die Polizei gerufen. Sogar vor Gericht habe er seine Nachbarin gezerrt. Doch außer einer Geldbuße von 25 Dollar geschah nichts. "Irgendwann wusste ich mir einfach nicht mehr zu helfen", sagt Adams. Er griff zur Videokamera, filmte sein Leiden, stellte es auf die Seite und komplettierte die Aktion mit einem Schild vor Brahams Haus: "Video on RottenNeighbor.com".

Spätestens gegen Ende des Jahres könnten solche Videos auch aus deutschen Vorgärten auftauchen. Denn dann soll es die Seite in einer deutschen Version geben. Ob sie die Gerichte allerdings entlastet, ist fraglich. "Grundsätzlich ist so etwas nicht verboten", sagt Mathias Stenger, Fachanwalt für Mietrecht. Doch sicherlich werde es zu Klagen kommen. "So ein Eintrag kann ja eine starke Wertminderung einer Immobilie mit sich bringen." Auch Beleidigung und Verleumdung seien sicherlich ein Thema.

Bei David Adams bewirkte das Video, was der Gang vors Gericht nicht erzielte: "Seit ein paar Tagen ist es endlich wieder ruhiger." Zumindest einer der beiden Hunde ist verschwunden.

© SZ vom 4.4.2008/mia - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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