Soziales Netzwerk:Wie Facebook zur Unterhaltungsplattform wird

Wer Facebook nutzt, kann längst nicht mehr einzig Bilder hochladen und mit Freunden kommunizieren. Als Portal für Hollywood-Filme, Fußballübertragungen oder Musikdienste will Mark Zuckerberg sein Unternehmen zum digitalen Entertainment-Zentrum ausbauen. Doch die Strategie birgt Risiken.

Niklas Hofmann

Mehr als 383.000 Menschen mögen Kokowääh. Nun, es sind sicher noch ein paar mehr, aber etwa so viele haben den "Like"-Knopf auf der Facebook-Seite des Films gedrückt. Und wer ihn ganz besonders mag, der kann ihn sich dort auch gleich noch einmal ansehen.

Seit gut drei Wochen ist die Komödie der erste deutsche Spielfilm, der als Video-on-Demand in voller Länge bei Facebook aufgerufen werden kann. Knapp 3,50 Euro kostet der Zugriff, für 48 Stunden ist der Film dann verfügbar.

International ist das inzwischen fast nichts Neues mehr. Der selbe Verleih, Warner Brothers, bot im Frühjahr zunächst den Batman-Streifen The Dark Knight zu ähnlichen Konditionen an, und zog mit weiteren Filmen nach. Im Juli stellte die BBC ihre Serie Dr. Who auf die Seite.

Auch Universal und Paramount haben inzwischen eigene Online-Videotheken bei Facebook installiert. Und selbst die Independent-Szene erkennt im Film-Abruf via Facebook neue Einnahmewege.

Facebook kassiert beim Streaming mit

Flick Launch heißt eine Streamingplattform, die kleine Filme abseits des Mainstreams für einen Preis von einem bis zu fünf Dollar anbietet, zahlbar natürlich in Facebook-Gutschriften. Über diese hauseigene Währung verdient die Mark Zuckerbergs Firma bei jedem "ausgeliehenen" Video mit.

50 Gutschriften, die Warner Brothers verlangt, entsprechen 3,50 Euro, und bei jeder Zahlung mit Facebook-Gutschriften kassiert das Unternehmen aus Kalifornien einen Anteil von 30 Prozent.

Für die Filmbranche erschließt sich bei Facebook nicht nur ein zahlendes Publikum, sondern auch Zugang zu Informationen, die in dieser Präzision von keinem Marktforschungsunternehmen zu erheben wären. Wer einen Film sehen will, muss, wie bei jeder Anwendung, zustimmen, dass Informationen weitergegeben werden: "Dazu zählen Name, Profilbild, Geschlecht, Netzwerke, Nutzerkennnummer, Freundesliste und alle anderen Informationen, die ich mit 'Allen' teile". Datenschützer sehen das, ebenso wie den "Like"-Button, kritisch.

Als zuletzt Ende August auch Miramax mit einer App in das Feld von Video-on-demand vorstieß, pries Chef Michael Lang im hauseigenen Blog enthusiastisch die Möglichkeiten eines Netzwerks, in dem 50 Millionen Nutzer in ihren Profilen irgendein Interesse an Miramax-Filmen signalisierten. "Geehrt" sei man, hier nun Partner sein zu dürfen: "Wir glauben fest an Facebook und daran, was es für die Zukunft des Geschäfts mit Inhalten bedeuten könnte."

"Social Entertainment" lautet das Motto

Das klingt etwas inniger als man es vermuten würde, wenn man die nüchternen Äußerungen von Facebook liest, wo man von Partnerschaften offiziell nichts wissen will. Zum Paramount-Dienst etwa verlautbarte ein Sprecher nur: "Die Plattform Facebook und Facebook Gutschriften stehen allen Entwicklern zur Verfügung und wir sind begeistert davon, dass Firmen wie Paramount soziale Erlebnisse schaffen, durch die sich Menschen über Unterhaltungsinhalte verbinden können."

Die Begeisterung ist sicher echt, der unbeteiligte Gestus vielleicht nicht. Viele Beobachter glauben inzwischen an eine Gesamtstrategie bei Facebook, in der die Online-Videoangebote nur ein Baustein wären. Das Soziale Netzwerk scheint zu einer breit aufgestellten "Entertainment-Plattform" zu werden, wie es Nick Bilton, der Chef-IT-Blogger der New York Times ausdrückt.

Der Technologie-Experte Michael Wolf vom Branchenblog GigaOM sieht Facebook gar im Begriff, zu einem allgemeinen "Betriebssystem des Internets für Social Entertainment" zu werden, einer zentralen Anlaufstelle für unterhaltende Inhalte jedweder Art, deren nicht an Sendezeiten gebundenen Konsum sich das Millionenheer der Facebook-Nutzer dann gegenseitig empfehlen würde. Wenn Wolf recht hat, gäbe es für den, der Unterhaltung sucht, bald überhaupt keinen Anlass mehr, Facebook je zu verlassen.

Auch den Eindruck eines solchen Projekts versuchen Facebook-Sprecher stets mit großer Leutseligkeit und dem Verweis auf die offenen Entwicklerplattformen zu zerstreuen. Ganz so, als sitze man in der Facebook-Zentrale bar jeder Vision auf den eigenen Handflächen und warte gespannt darauf, wohin sich das Milliarden-Dollar-Projekt so entwickeln werde.

Für den amerikanischen Marktforscher Forrester Research beobachtet der Analyst James McQuivey die Branche. Er hält es nur für naheliegend, dass Facebook seine Rolle als zentrale Empfehlungsagentur einer Generation besser nutzen wird: "Es wäre dumm von Facebook, wenn sie nicht versuchen würden, ihrem Einfluss auf diese Aspekte der Medienwelt eine offizielle Form zu geben ."

Schnelles Wachstum kaum noch möglich

Hinzu kommt: Weiteres schnelles Wachstum scheint für Facebook zumindest in den weitgehend saturierten Stammmärkten kaum noch möglich zu sein. Meldungen über eine nachlassende Nutzung hat das Unternehmen zwar dementiert. Aber mit Google+ könnte ihm erstmals seit langem ernsthafte Konkurrenz erwachsen.

Und so stellt sich für Mark Zuckerbergs Netzwerk nun dringend die Frage, wie es seine knapp 700 Millionen Mitglieder in Zukunft bei der Stange halten will - und umgekehrt dieses ungeheure Potenzial an Konsumenten besser ausschöpfen kann.

Mit einer Content-Offensive ließen sich für Facebook gleich mehrere Ziele auf einmal verfolgen: Menschen lange auf der Seite zu halten, ihnen Anreize zu geben, damit sie Inhalte teilen, und neue Einkünfte zu generieren. "Facebook wird gute Werbemöglichkeiten aus all dem ziehen; aber einen Anteil von den Content-Transaktionen zu kassieren, wird, je wichtiger die werden, schrittweise zu einer wichtigeren Einnahmequelle für das Unternehmen werden", erwartet Analyst McQuivey.

Und so häufen sich Meldungen, die darauf hindeuten, dass Facebook in nahezu jedem Feld, das digitale Unterhaltungsinhalte liefern könnte, Kompetenz erschließt oder strategische Partnerschaften eingeht, in jüngster Zeit auffallend. Musik? Vor wenigen Tagen bekräftigte das gewöhnlich gut informierte Fach-Blog Mashable hartnäckige (und von Facebook dementierte) Gerüchte, dass noch für den September die Integration des etablierten Streaming-Dienstes Spotify zu erwarten sei.

Filme? Nicht nur die Studios sind begierig auf Kooperation: Seit Juni sitzt der CEO des US-Video-Platzhirschen Netflix im Facebook-Verwaltungsrat. Live-TV? Die erste Übertragung eines Fußballspiels (Ascot United gegen Wembley FC) sponserte im August eine Großbrauerei. Computerspiele? Da ist das Mutterschiff von Massenphänomenen wie Farmville oder Mafia Wars bestens aufgestellt. Fotos? Größter Hoster im ganzen Netz ist Facebook ohnehin.

Und was ist mit Büchern? Anfang August kaufte Facebook das Unternehmen Push Pop Press, einen Spezialisten für E-Book-Lösungen für Apples iPhones und iPads. Man habe nicht vor, zu einem E-Book-Verleger zu werden, versicherte ein Facebook-Sprecher. Stattdessen solle die von Push Pop Press entwickelte Technik, die Filme und interaktive Grafiken in die elektronische Bücher integrierte, für Facebook genutzt werden.

James McQuivey kann sich vorstellen, dass Facebook auf Basis der Push-Pop- Press-Technologie tatsächlich weit über E-Books hinausdenkt: "Wenn einzelne Facebook-Nutzer ihre Notizen, Status-Updates, Fotos und Lieblingsvideos in einem einzigen, digitalen Content-Erlebnis zusammenbringen könnten, sie mit ihren Freunden teilen oder sie sogar verkaufen könnten, dann würde das eine dramatisch neue Art schaffen, Inhalte aufzunehmen."

Und: Diese wären dabei billiger zu produzieren und interessanter zu konsumieren, als vieles von dem, was professionelle Content-Produzenten zu sehr hohen Kosten für Magazine und Fernsehsender herstellen.

Dann allerdings könnte ihr neuer Freund Facebook für die Unterhaltungsindustrie noch sehr unangenehm werden.

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