Soziales Netzwerk in der Kritik:Facebook, das Freundschaftsmonster

Während Facebook in Deutschland gewaltig wächst, regt sich ausgerechnet in den USA Widerstand gegen die rücksichtslose Strategie des Unternehmens.

Johannes Kuhn

Sibylle trifft sich am Mittwoch mit ihren Freundinnen zum Badminton in Fürth, Adresse des Sportcenters bekannt. Mathias sucht eine "SIE" zum Flirten und freut sich über jede Nachricht. Dane sitzt im Bett und spielt ein Videospiel, ist aber jederzeit über die öffentlich sichtbare Handynummer erreichbar.

Soziales Netzwerk in der Kritik: Neun Millionen Deutsche sind inzwischen bei Facebook registriert - doch die jüngsten Neuerungen der Plattform sehen viele Datenschützer kritisch.

Neun Millionen Deutsche sind inzwischen bei Facebook registriert - doch die jüngsten Neuerungen der Plattform sehen viele Datenschützer kritisch.

(Foto: Foto: iStock/Reuters Grafik: sueddeutsche.de)

Drei Facebook-Statusmeldungen, für jeden lesbar, auf Schlagwortseiten zu den Themen "Sport", "flirten" und "Handy" bereits jetzt in Echtzeit einsehbar, bald auch in Suchmaschinen wie Bing oder Google indexiert.

Neun Millionen Deutsche, so eine Statistik des Unternehmens, sind inzwischen bei Facebook registriert. Das wäre beinahe jeder neunte Bürger dieses Landes.

Die Kritik von Datenschützern, Ministerinnen und Organisationen wie der Stiftung Warentest scheint an dem Portal abzuperlen: Nach einer Statistik des Medienberaters Thomas Hutter ist Facebook hierzulande alleine seit Jahresbeginn um 57 Prozent gewachsen.

Doch die Strategie von Firmengründer Mark Zuckerberg lässt inzwischen ausgerechnet in den USA, wo Datenschutz eigentlich eine untergeordnete Rolle spielt, die Alarmglocken schrillen. Die Internet-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation geißelte jüngst die "bösartigen Schnittstellen" des Portals, die Nutzer dazu bringen würden, mehr über sich zu verraten, als ihnen lieb sei - und steht damit nicht mehr alleine da.

Informationsstrom ans Mutterschiff

Die Neuerungen, die Zuckerberg vor einigen Tagen auf der Facebook-Entwicklerkonferenz F8 vorstellte, dürften in diese Kategorie fallen. Jeder Betreiber einer Internetpräsenz hat nun die Möglichkeit, einen "Gefällt mir"-Knopf auf der eigenen Seite anzubringen. Weil jeder Klick darauf auch im Profil des Nutzers angezeigt wird, können sich die Inhalte über Mund-zu-Mund-Propaganda schnell verbreiten.

Zugleich erhält Facebook Informationen über die Vorlieben des einzelnen Nutzers, die sich mit der Zeit in ein detailliertes Persönlichkeitsprofil für individualisierte Werbung umwandeln lassen. "Facebook kann jetzt alles untersuchen, was wir berühren", schreibt der angesehene IT-Blogger Robert Scoble, "und es wird einen äußerst komplexen Informationsstrom zurück zum Mutterschiff schicken."

Das Ziel ist klar: Facebook soll Google als Datenstaubsauger des Web Konkurrenz machen und hat dabei mit den persönlichen Vorlieben Informationen an der Hand, die für die Werbung interessanter als simple Suchbegriffe sind.

Viele Seitenbetreiber lassen sich die Chance zur Facebook-Integration nicht entgehen. Schon nach wenigen Tagen haben mehr als 50.000 Seiten den "Gefällt mir"-Knopf installiert, der auch ständig das Profil eines Nutzers aktualisiert: Wer zum Beispiel in der Internet Movie Database den Film The Hours mit einem "mag ich" versieht, findet diesen künftig womöglich bei seinen Lieblingsfilmen in seinem Profil wieder.

Das Netz hinter dem Netz

Eine andere Neuerung hat in den USA inzwischen die Politik auf den Plan gerufen: Mehrere demokratische Senatoren fordern das Unternehmen in einem offenen Brief dazu auf, eine Funktion namens "umgehende Personalisierung" nicht mehr automatisch zu aktivieren.

Dabei erlaubt das Portal bestimmten Partnerseiten, beim Login von Facebook-Nutzern öffentliche persönliche Daten aus deren Profil abzugreifen - in den USA wird diese Individualisierung in einem Testprojekt bei drei Partnerseiten bislang automatisch vorgenommen, ohne dass die Nutzer um Erlaubnis gefragt werden. In seiner Antwort erklärte das Unternehmen, die Änderungen würden für "mehr Kontrollmöglichkeiten für die Nutzer sorgen, nicht für weniger".

Das Web wird individuell

Doch hinter der Personalisierungsidee steckt noch mehr. Was auf den ersten Blick nach einem angenehmen Service klingt - so kann mir beispielsweise das Musikempfehlungsprogramm Pandora aufgrund meiner Facebook-Lieblingssongs schon beim ersten Login eine passende Playlist liefern - könnte auf den zweiten Blick die Grundfeste des Internets erschüttern: Wenn Facebook für seine mehr als 400 Millionen Nutzer zur Einstiegsseite in das Web wird, diese gleichzeitig von dort aus überall individualisierte Seiten ansurfen, verwandelt sich das Portal zum Netz hinter dem Netz.

Diese mächtige Vision scheint Zuckerberg zu treiben - und sie treibt ihn, so argumentieren seine Kritiker, zu rücksichtslosen Entscheidungen. Die Electronic Frontier Foundation hat die Entwicklung des Datenschutzes bei Facebook in einer Chronik zusammengefasst. Diese zeigt, dass das Unternehmen seinen Nutzern zuerst umfangreiche Möglichkeiten zur Kontrolle der eigenen Daten an die Hand gab, inzwischen aber zahlreiche Informationen erst einmal öffentlich zugänglich macht - unter anderem Status-Updates.

Bislang scheint die Facebook-Strategie dennoch aufzugehen - das Portal wächst und wächst. "Es ist zu spät, Facebook zu regulieren", schreibt der IT-Blogger Scoble ernüchtert, "ich sehe nicht, was wir dagegen machen könnten. Nicht genügend Menschen haben ihr Verhalten wegen der Änderungen geändert."

"Facebook hat der Privatsphäre den Krieg erklärt"

Die Technologieseite Gizmodo gibt den Facebook-Nutzern deshalb zehn Gründe an die Hand, der Plattform den Rücken zu kehren. "Facebook hat der Privatsphäre den Krieg erklärt", heißt es dort. Das Unternehmen sähe die Kunden als "unbezahlte Arbeitnehmer, um genügend Daten für gezielte Werbung zusammenzutragen".

Doch selbst der Rückzug aus Facebook beinhaltet Hindernisse: Wer seinen Account löscht, hat keine Möglichkeit, die Kontaktdaten seiner Freunde mitzunehmen.

Bislang rechnet deshalb niemand mit einer großen Facebook-Flucht - im Gegenteil: Schätzungen zufolge wird das Unternehmen Ende des Jahres Nutzer Nummer 500.000.000 begrüßen dürfen.

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