Soziale Medien:Wenn Facebooks Schöpfer vor Facebook warnen

Sean Parker

Facebook-Mitgründer Sean Parker bereut sein Projekt.

(Foto: Jordan Strauss / AP)

Sogar einige derer, die soziale Netzwerke entwickelt haben, prangern nun Risiken und Nebenwirkungen an. Da ist offensichtlich etwas gewaltig schiefgelaufen.

Von Andrian Kreye

Etwas ist schiefgelaufen, wenn sich die Pioniere einer neuen Technologie als reuige Sünder an die Öffentlichkeit wenden. So übten in den vergangenen Monaten immer häufiger Männer Kritik an den sozialen Medien, die diese Internetplattformen erfunden oder finanziert haben. Das betrifft einen jeden, denn selbst wenn man solche Plattformen wie Facebook, Twitter oder Instagram nicht selbst nutzt, den Folgen begegnet man im Alltag auch so.

Höhepunkt der Aussteigerwelle war ein Auftritt von Chamath Palihapitiya in der Stanford Graduate School of Business vor einigen Wochen, der bei Facebook einst für das Nutzerwachstum zuständig war. "Sie werden programmiert", warnte er die Anwesenden. Er fühle "ungeheure Schuld", dass er mitgeholfen habe, "das gesellschaftliche Gefüge auseinanderzureißen". Um dann zu erläutern, wie soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram mithilfe plumper Anreize wie Daumen-hoch- und Herzchen-Symbolen dafür sorgen, dass seine Mitglieder möglichst viel Zeit in diesen Netzen verbringen, und wie dieser Mechanismus den öffentlichen Diskurs verzerrt.

Kurz zuvor hatte schon Facebook-Mitgründer Sean Parker eingestanden, dass sie von Anfang an ganz bewusst die Verletzlichkeit der menschlichen Psychologie ausgenutzt hätten, um mithilfe kleiner Glückshormon-Ausschüttungen durch das Anklicken und Empfangen solcher digitaler Streicheleinheiten Suchtmechanismen zu entwickeln.

Nun kann man die sozialen Medien nicht mit der Atomspaltung vergleichen, die erste Technologie, die eine ganze Generation Wissenschaftler dazu brachte, gegen den Missbrauch zu protestieren. Auch der Vergleich mit der Gentechnologie ist zu drastisch. Deren Schöpfer haben sich angesichts neuer, auch von Laien anwendbarer Methoden der Genmanipulation in diesem Jahr eine Art freiwilliger Forschungsbremse auferlegt. Auch die Konstrukteure künstlicher Intelligenz beschäftigen sich schon intensiv mit den ethischen Problemen ihrer Arbeit. Und doch begreift die Öffentlichkeit erst langsam, welche Auswirkungen die Verbreitung der inzwischen allgegenwärtigen sozialen Medien hat und haben kann.

Das ist kein Kassandra-Komplex mehr

Wer sie benutzt, wird nie das Gefühl haben, dass die harmlosen Minuten, die er damit verbringt, Nachrichten von Freunden, kleine Witze, Musikvideos und politische Kommentare anzusehen und zu bewerten, ernsthaften Schaden anrichten können. Wer sie nicht benutzt, wundert sich eher, warum so viel Aufhebens um Internetdienste gemacht wird, die im schlimmsten Falle doch nur einen unablässigen Strom inhaltlicher und ästhetischer Langeweile liefern.

Man muss gar nicht in die Tiefen der politischen Manipulation oder des Datenmissbrauchs einsteigen, die ebenfalls zu den Langzeitfolgen der sozialen Netze gehören. Eine Technologie, die im Kern dafür konstruiert wurde, psychologische Abhängigkeiten zu schaffen, wird als Massenphänomen das Alltagsverhalten verändern. Selten zum Guten. Zählt man die Risiken und Nebenwirkungen, vor denen die Aussteiger aus den Spitzen der digitalen Konzerne warnen, wie auf einem Beipackzettel auf, dann sind das: Fahrigkeit, Reizbarkeit, Verlust der intellektuellen Unabhängigkeit, unausgeglichener Hormonhaushalt und bei Kindern eine Störung der geistig-psychischen Entwicklung.

Man konnte das bisher bei professionellen Wichtigtuern noch als Kassandra-Komplex abtun. Wenn aber die Schöpfer der Technologie so dramatisch warnen, ist etwas gewaltig schiefgelaufen.

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