Serie (7): Krieg und Internet:Surfen im Schützengraben

Das Internet hat nicht nur die Zivilgesellschaft tiefgreifend verändert, sondern auch den Krieg. Soldaten müssen umdenken - egal, auf welcher Seite sie stehen.

Mirjam Hauck

Surfen, E-Mails schreiben, Musik downloaden und Videofilmchen gucken - das Internet gibt sich zivil. Dabei war es 1969 das US-Verteidigungsministerium, das den Vorgänger des heutigen Internets unter dem Namen Arpanet in Auftrag gab. 30 Jahre später findet die Idee zurück in den militärischen Apparat.

Serie (7): Krieg und Internet: Britische Soldaten bei der Zuweisung von Zielen für die Artillerie im Südirak.

Britische Soldaten bei der Zuweisung von Zielen für die Artillerie im Südirak.

(Foto: Foto: AP)

1999 veröffentlichte das US-Militär unter dem Titel "Network Centric Warfare" Überlegungen, wie sich die Entwicklungen der Informationsgesellschaft auf das Militär übertragen lassen können. Das Papier vertritt die These, dass den Streitkräften ein Wandel bevorsteht, der so revolutionär sei, wie der Übergang vom "Schwert zum Gewehr".

Das Ziel: Das Militär soll einen modernen Informations- und Kommunikationsverbund bilden. Alle Akteure wie Soldaten, Panzer, Schiffe werden über Truppengattungen hinweg miteinander vernetzt. Texte, Töne, Bilder, Videos sollen so schnell jedes Gefecht erreichen und den Kämpfern einen Wissensvorprung sichern - der Informationsvorteil wird zum Gefechtsvorteil.

Zudem hat der Network Centric Warfare eine günstige Kosten-Nutzen-Relation. Das Metcalfsche Gesetz - die Kosten eines Netzwerkes steigen proportional mit der Anzahl der Knoten, der Nutzen aber exponentiell - lässt sich laut US-Militärs auch auf die Kriegsführung anwenden.

Antwort auf asymmetrische Bedrohungen

Die Strategie Network Centric Warfare ist ein Teilbereich der Transformation der US-Streitkräfte, formuliert im "Joint Vision 2020" als Antwort auf die asymmetrischen Bedrohungen der Gegenwart. Streitkräfte, Führungsebenen und Operationen vernetzen sich miteinander: Auch das Fachwort Interoperabilität stammt aus der Informationstechnologie: Network Centric Warfare verbindet vom Aufklärungssatelliten bis zum Infanteristen in vorderster Stellung alle Akteure.

Auch Nicht-US-Streitkräfte adaptieren die Idee der vernetzten Kriegsführung, aber unter anderer Parole. In Schweden heißt sie weniger martialisch Network Based Defense, in England propagiert das Militär Network Enabled Capabilities und Bundeswehr-Generäle sprechen von der vernetzten Operationsführung.

Das Militär verspricht sich von technischen Hilfsmitteln viel: Aufklärungssatelliten und Drohnen nehmen ein aktuelles Lagebild auf, Kommunikationssatelliten, Funk- und Computernetzwerke leiten die Informationen weiter, Knotenpunkte fassen die Daten zusammen und speichern sie. Die Summe der Informationen ergibt ein umfassendes Lagebild.

Surfen im Schützengraben

Ein Gerät, das mehr Sicherheit für die Soldaten bringen soll, heißt Blue Force Tracker. Das in den eigenen Gefechtsfahrzeugen eingebaute System kam erstmals im Irakkrieg zum Einsatz und zeigt mit Hilfe von GPS und einem Computer die Position der Blue Forces an, also der eigenen Kräfte. Die Schattenseite: Das Anti-Friendly-Fire-System kostet Millionen.

Bekämpften die Amerikaner im zweiten Golfkrieg 1991 gegen den Irak 99 Prozent der Ziele anhand vor dem Einsatz festgelegter Ziellisten, ergab sich elf Jahre später während der Operation Enduring Freedom in Afghanistan ein anderes Bild: Die US-Piloten kannten 93 Prozent ihrer Ziele vor dem Start nicht. Die Gefechtsstände wiesen die Ziele erst während des Fluges zu. Satelliten- und Funkübertragung lieferten die Daten direkt ins Cockpit. Die Piloten agieren schnell und aktuell. Die technische Ausrüstung ist nicht eben billig, das Pentagon rechnete mit 200 Milliarden US-Dollar in den nächsten Jahren.

Flache Hierarchien

Die netzwerkorientierte Kriegsführung verflacht internettypisch zudem die militärischen Kommunikations-Hierachien. Statt bisher in Ebenen nur nach oben zu melden, kontaktieren Soldaten benachbarte Einheiten direkt.

Der Soldat agiert auf einmal nicht mehr nur als Befehlsempfänger, stattdessen: vernetzte Wissensgenerierung, Videokonferenzen weltweit. Jetzt geht es um Battle Management statt Battle Administration; das Leitbild des Truppenführers wandelt sich - vom "Leitwolf" zum "Teamleader".

Die Bundeswehr gibt sich bei der Umsetzung des neuen Soldatenbildes optimistisch: "Die dezentrale Auftragserfüllung ist bei der Bundeswehr leichter umzusetzen, als bei den Partnernationen, die im Sinne einer rigiden und starren Befehlstaktik bis dato eher hierarchisch und befehlsorientiert geführt haben", heißt es in einem Papier aus dem Hause von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung.

Surfen im Schützengraben

Was das Militär als moderne Strategie feiert, basiert letztlich auf Überlegungen aus den 1990er Jahren. Schnelle Übertragungswege und die Relevanz von Informationen erreichen die Generäle. Doch die Truppe ist bereits einen Schritt weiter, sie hat den Weg ins Web 2.0 längst gemacht.

Übers Netz tauschen Soldaten ihre Erlebnisse über ihren Einsatz in Kriegsgebieten aus. Ein Beispiel dafür ist die Website Companycommand.com. Vier amerikanische Hauptleute haben die Social-Community-Website im Jahr 2000 ins Leben gerufen. Hier diskutieren Soldaten im Netz über ihre Probleme in der Armee und bei Kriseneinsätzen.

Zunächst als Graswurzel-Seite gestartet, hat die Armee inzwischen das Potenzial und den Wert dieses Angebots erkannt und in die eigene IT-Struktur integriert, ganz ähnlich wie bei dem Angebot Platoonleader.org. Für Deutsche Bundeswehrsoldaten gibt es Soldatentreff.de. Ein bundeswehrunabhängiges Forum, in dem Soldaten über Lehrgänge, Dienstgrade und Auslandseinsätze diskutieren.

Bedrohung durch das Internet

Natürlich nutzen nicht nur die nationalstaatlichen Streitkräfte das Internet, um sich zu vernetzten und ihr Wissen weiterzugeben. Bombenbaupläne von militanten Gruppen jeglicher Couleur lassen sich jederzeit herunterladen und auch das Regelwerk der al-Qaida, die sogenannte Enzyklopädie des Dschihad über Guerillataktiken und Kampftechniken steht inzwischen frei verfügbar im Netz.

Das Internet ist somit nicht nur Segen für das Militär, es ist zugleich Bedrohung. Die Trojaner-Angriffe auf Militärcomputer sind somit auch nur ein Baustein, wie Organisationen oder Nationen ihren modernen Krieg führen.

Und manchmal hilft das Internet auch den Opfern, zumindest bringt es ihre Anliegen zurück auf die Agenda der Weltöffentlichkeit. Blogger aus umkämpften Gebieten finden über ihre Online-Tagebücher Gehör und Online-Dienste wie Google Earth zeigen anhand von Satellitenbildern, welche Zerstörung der Krieg im sudanesischen Darfur anrichtet.

Das Internet macht den Krieg effizienter und schneller - sowohl für nationalstaatliche Streitkräfte als auch für Terroristen. Netzwerke fördern dezentrale Strukturen, die kleine, hierarchisch flach organisierte Gruppen besser für sich nutzen können als große Organisationen. Der Network Centric Warfare ist eine Taktik, der asymmetrischen Bedrohungen begegnen soll. Diese schlagkräftigen Gegner haben dessen Wirksamkeit aber längst für sich entdeckt.

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