Second Life:Das zweite Leben im Netz

Beim Internetprojekt Second Life spielen die Nutzer die Welt im Internet nach - europäische Entwickler sollen das Wachstum steuern.

Thorsten Riedl

Cory Linden schwebt in zehn Metern Höhe um eine Vielzahl von Raketen, die im Rund auf einer Wiese stehen. Aus der Nähe betrachtet er jedes Detail der Weltraumstürmer. Alle Raketen, die jemals ins All geflogen sind, hat hier eine Gruppe von europäischen Wissenschaftlern originalgetreu nachgebaut.

Gleich um die Ecke gibt es einen Platz, an dem mehrere europäische Fahnen wehen; daneben ist ein Forum angelegt, in dem Stühle aufgestellt sind mit Blick auf eine Leinwand.

Dort treffen sich regelmäßig Fachleute verschiedener Nationen, etwa um gemeinsam einen Raketenstart zuzuschauen, den die US-Weltraumbehörde Nasa live überträgt.

Den Ort des fachlichen Austausches gibt es nicht auf dieser Welt: Der Wissenschaftlertreff gehört zum virtuellen Raum von Second Life, einer dreidimensionalen Welt im Internet. Und Linden, der eben noch um die Raketen geflogen ist, besitzt keine Superkräfte. Es handelt sich um einen Avatar, dem digitalen Abbild eines Menschen.

Alles ist erlaubt

Die Computergrafik namens Cory Linden verkörpert im Internet das Alter Ego von Cory Ondrejka, seit sechs Jahren Technikchef von Linden Lab. Das junge Unternehmen mit etwas mehr als 100 Beschäftigten betreibt die Welt von Second Life.

Das Internetprojekt gehört derzeit zu den spannendsten Angeboten im Netz. Bei Web-2.0-Seiten wie dem Videoportal Youtube.com oder der Bilderausstellung Flickr.com liefern die Nutzer die Inhalte. Auf Second Life dürfen die Besucher gleich eine ganze Welt gestalten.

Alles ist erlaubt: Die Avatare flanieren durch den virtuellen Raum, reden miteinander oder treffen sich zu Konzerten, auf denen die echten Lieder der Künstler zu hören sind.

Daneben können sie Objekte erstellen wie die beschriebenen Raketen oder Häuser bauen - oft erledigen dies Dienstleister gegen Geld. 65 kleine Firmen gibt es schon mit 300 Beschäftigten, die sich auf solche Aufgaben spezialisiert haben.

295 Dollar Miete für eine Insel

Second Life selbst besitzt ein funktionierendes Wirtschaftssystem, an dem Linden Lab verdient. Umsatzzahlen veröffentlicht das Unternehmen nicht. Wer aber nicht nur durch die digitalen Grafikwelten laufen will, hat schnell den Wunsch, eigenes Land zu besitzen.

Die Bewohner von Second Life zahlen dafür Miete an Linden Lab. Eine Insel etwa mit virtuellen 65 000 Quadratmetern kostet einmalig 1695, zuzüglich monatlich 295 Dollar. Das ist ein stolzer Preis für etwas, das überhaupt nicht existiert. Inzwischen gibt es jedoch bereits mehr als 3000 solcher digitalen Eilande. Das Unternehmen lässt sich von den Nutzern über die Pacht auf den virtuellen Grund die Computerinfrastruktur zahlen.

Je mehr Land in Second Life sichtbar ist, desto mehr müssen die Rechner im Hintergrund nämlich leisten. Mehr als 250 Quadratkilometer Land besitzen die Avatare bereits.

Das zweite Leben im Netz

Die erste virtuelle Millionärin

Gezahlt wird in Second Life mit eigenem Spielgeld. Die Firma mit Sitz in San Francisco hat den Linden-Dollar eingeführt. Eine Börse für die digitale Währung berechnet den aktuellen Kurs.

Derzeit hat ein US-Dollar den Gegenwert von etwa 270 Linden-Dollar. Da das Spielgeld wieder in echte Münzen umgetauscht werden kann, gibt es seit November vergangenen Jahres die erste US-Dollar-Millionärin des Landes. Die Avatarin Anshe Chung hat ihr Vermögen mit Immobilien in Second Life gemacht.

Dahinter steckt die hessische Lehrerin Ailin Gräf, die nun als Second-Life-Maklerin in der Realität mehrere Dutzend Entwickler beschäftigt. Der Statistik von Second Life zufolge haben im Dezember fast 500 Nutzer monatlich mehr als 1000 US-Dollar in der digitalen Welt verdient.

Catherine Smith, Marketingchefin von Linden Lab, sieht in der digitalen Wirtschaft den wichtigsten Erfolgsfaktor von Second Life. Kurz nach dem Start habe das Team die ökonomischen Rahmenbedingungen in der virtuellen Welt "dramatisch verändert".

15.000 neue Bewohner täglich

Erst seit Ende 2003 sei es möglich, Land zu handeln. "Anschließend gab es einen digitalen Landrush - so wie einst im Wilden Westen der USA", sagt sie "Die Leute fühlen sich seither stärker eingebunden."

Seit damals nehmen die Nutzerzahlen zu. Im Oktober 2006 wurde der einmillionste Einwohner in Second Life begrüßt. Acht Wochen später waren es schon zwei, derzeit sind es mehr als zweieinhalb Millionen. Derzeit gibt es 15 000 Neuanmeldungen pro Tag. Viele schnuppern nur kurz in die neue Welt. Im Schnitt sind in einer Woche 250 000 Nutzer aktiv.

Dazu zählen auch Konzerne wie IBM, Cisco oder Sony, die virtuelle Niederlassungen unterhalten. Adidas verkauft beispielsweise virtuelle Schuhe für die Avatare. Auch Bildzeitung und Reuters sind in Second Life aktiv und berichten ausschließlich über Ereignisse in dieser virtuellen Welt.

Um das Wachstum zu bewältigen, holt sich Linden Lab Hilfe bei der internationalen Entwicklergemeinschaft. Die Zugangssoftware zu Second Life hat die kleine Firma vergangene Woche in den Opensource-Pool eingestellt. Jeder darf nun kostenlos das Programm herunterladen und verändern.

Das Unternehmen plant zudem, über internationale Niederlassungen mehr Beschäftigte für sich zu gewinnen. Bereits im Frühjahr soll eine Linden-Lab-Filiale in Großbritannien eröffnen, sagt Ondrejka. "Es gibt so viele gute Entwickler dort."

Hinter Linden Lab stehen private Geldgeber wie Amazon-Gründer Jeff Bezos sowie Wagniskapitalgeber. Ein Börsengang sei aber nicht geplant, so Ondrejka. Zunächst wolle man weiter an der virtuellen Welt arbeiten.

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