Sarkozys Netz-Gipfel:Die Möchtegern-Sheriffs des Internets

Die Pionierarbeit ist geleistet, nun geht es darum, wer die Macht über das Internet erhält. In Paris diskutieren allerdings einzig Politik und Wirtschaft über die Konflikte der neuen Online-Welt - das sollte uns Sorgen machen.

Andrian Kreye

Betrachtet man das Internet als einen neuen, unbekannten Kontinent, dann beginnt dort gerade das Kolonialzeitalter. Die Pioniere haben das Land erobert und nutzbar gemacht. Nun folgen die Großgrundbesitzer, die Eisenbahngesellschaften und die Soldaten der Krone, um das Terrain zu erschließen.

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Sarkozy, Schmidt, Zuckerberg (von links, Fotomontage): Wer bestimmt, wie sich das Netz entwickelt?

(Foto: sueddeutsche.de)

In dieser Woche lädt der französische Präsident Nicolas Sarkozy vor der G-8-Konferenz Vertreter der Wirtschaftsmächte und Internetkonzerne zu einem Digital-Gipfel mit dem Namen eG8-Forum. Und auch der eigentliche Gipfel in Deauville soll sich erstmals mit dem Internet beschäftigen.

Das ist ein längst überfälliger Schritt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat das Internet Gesellschaft, Wirtschaft und Politik so gewaltig verändert wie zuletzt die industrielle Revolution.

Viele der Pioniere, die sich als die wahren Netzbürger betrachten, sehen Sarkozys Internet-Gipfel allerdings als eine Art digitale Wiederkehr der Kongo-Konferenz, bei der die Kolonialmächte 1884 unter der Schirmherrschaft des Reichskanzlers Otto von Bismarck den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten.

Da aber hinkt der historische Vergleich. Denn auch wenn sich die meist jungen Netzbürger als "digital natives" bezeichnen, als digitale Eingeborene, so sind sie keineswegs die machtlosen Subjekte grausamer Kolonialherren.

Wer bekommt die Macht?

Will man ihnen eine Rolle aus jener Zeit zuweisen, dann wäre es Lederstrumpf, der Trapper aus den Romanen von James Fenimore Cooper. Der kämpfte sich wacker durch die neue Welt, immer auf der Flucht vor den Kräften der Zivilisation, die das Idyll der Freiheit im wilden Grenzland mit ihren Regeln und vor allem ihrer Profitgier zerstören wollten - Kräften, denen er den Weg bereitete.

Auch die Pioniere des Internets erkämpfen immer neue Gebiete im digitalen Unbekannten. Ihnen folgen dann meist die Siedler, die technisch halbgebildeten Durchschnittsnutzer. Und weil digitales Neuland oft gewaltige gesellschaftliche Auswirkungen mit sich bringt, treten kurz nach jeder Innovation jene mächtigen Männer und Frauen auf den Plan, die im Netz eine ähnliche Funktion haben wie die legendären "Robber Barons", die Rohstoff- und Eisenbahnmagnaten des Wilden Westens.

Warum die Internet-Verhandlungen uns alle angehen

Der Konflikt, der sich nun abzeichnet, wird die globale Gesellschaft noch auf Jahrzehnte hin beschäftigen. Im Gegensatz zur Eroberung der Kolonien in Afrika und Amerika werden diese Konflikte allerdings bisher weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen.

Man muss nur die Schlagworte aus dem Konfliktfeld auflisten, die gerade beim eG8 in Paris verhandelt werden: Innovation, Urheberrecht, Wirtschaftstransformation, Netzneutralität. Wen wundert es, dass da vor allem Vertreter der Regierungen mit den Männern und Frauen debattieren, die längst als die neuen "Robber Barons" gehandelt werden? Mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, Google-Chairman Eric Schmidt und Medienmagnat Rupert Murdoch zum Beispiel.

Nun gibt es längst Organisationen, welche die Rechte der Pioniere und freien Bürger im Netz wahrnehmen. In Deutschland ist das die Digitale Gesellschaft und der trotz seines Namens altehrwürdige Chaos Computer Club, in Frankreich ist es die Organisation Quadrature du Net, in den USA die Electronic Frontier Foundation.

Deren Gründer John Perry Barlow ist der einzige Vertreter der digitalen Bürgerrechtler, der in Paris auf der offiziellen Teilnehmerliste steht. An diesem Mittwoch wird er mit Hillary Clintons Berater Alec Ross und dem Europachef von Twitter, Tony Wang, über neue Wege zur Freiheit sprechen.

Es wird sicherlich um die Revolutionen des arabischen Frühlings gehen, die von den sozialen Medien angetrieben wurden, und um Wikileaks, die Enthüllungsplattform mit so gewaltiger Wirkung. Das werden während der beiden Konferenztage wohl auch die beiden einzigen Themen sein, die eine größere Öffentlichkeit bewegen könnten.

Doch es sind gerade die trocken wirkenden, vermeintlich technokratischen Konflikte, welche die Gesellschaft in wohlhabenden Demokratien verändern werden. Deshalb sollte man sich Sorgen machen, wenn diese Konflikte vor allem zwischen Wirtschaft und Politik ausgetragen werden.

Mehr Kontrolle ist weniger Freiheit

Das Problem der digitalen Bürgerrechtsbewegungen ist nicht nur, dass sie auf die Rolle der lästigen Zwischenrufer reduziert werden. Ihre größte Herausforderung wird sein, ein Gros der Bürger davon zu überzeugen, dass das wichtig ist, für was sie hier kämpfen.

Denn das Internet ist fester Bestandteil des beruflichen und privaten Alltags, deswegen betreffen Innovationen und Regelungen jeden Einzelnen. Gesteigerte Produktivität digitaler Technologien bringt mehr Nutzen, aber auch Arbeitsplätze in Gefahr. Mehr Kontrolle bedeutet mehr Schutz vor Online-Verbrechen, aber auch weniger Freiheit im Netz.

Es gehe um "das zivilisierte Internet", ließ Sarkozy vor seiner Initiative wissen. Das trifft den Konflikt im Kern. Denn schon Lederstrumpf wusste, dass die Zivilisation das Ende der grenzenlosen Freiheit bedeutet. Doch er ahnte wohl auch, dass die Gesetzlosigkeit des Wilden Westens nicht ewig währen kann. Die Frage ist nur: Wer soll der Sheriff sein?

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