Re:publica:Mit Faxen gegen die Internetausdrucker

Re:publica 2015

Die Themen der Republica werden längst auch außerhalb der Netzszene beachtet.

(Foto: dpa)
  • 450 Redner und mehr als 6000 Besucher: "Finding Europe" ist das Thema der diesjährigen Re:publica.
  • Medienwissenschaftler Ethan Zuckerman: Programmcode kann die Gesellschaft verändern - etwa, wenn Bürger mit seiner Hilfe Regierenden auf die Finger schauen.
  • Die aktuelle Digitalpolitik? Marcus Beckedahl von netzpolitik.org ist sehr skeptisch.
  • Die Internetkonferenz ist vom Szenetreffen zum Mainstream-Event geworden - und erhält jetzt mehr Gehör.

Von Bastian Brinkmann, Berlin

Es gibt mittlerweile viele Menschen, die ins Internet hineindenken, und das ist ja das Schöne. Thomas Fischer etwa, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, bloggt seit Januar wöchentlich für die Zeit. Er erklärt, warum er lebenslange Freiheitsstrafen ablehnt, oder kommentiert den Fall Sebastian Edathy. Und natürlich beschimpft er andere Juraschreiber, wenn sie ihn beschimpfen. Zuletzt nannte ein Berliner Richter ihn den "Erklärergottvater des deutschen Rechtswesens"; Fischer nannte ihn wiederum einen "Bußgeldrichter", dem die analytische Tiefe fehle.

Thomas Fischer war eingeladen, in Berlin auf der Digitalkonferenz "Re:publica 2015" darüber sprechen, wie die Digitalisierung der Kommunikation die Formen von Kriminalität und ihre Wahrnehmung verändert. Seine Texte haben online eine große Resonanz.

Gesetze, Marktkräfte und Programmcodes

Auf der Re:publica in Kreuzberg konferieren seit Dienstag mehr als 6000 Besucher, von den 450 Rednern sind in diesem Jahr 43 Prozent weiblich. Die jährliche Digitalkonferenz gilt als Klassentreffen der deutschen Internetschickeria, dabei ist sie eher ein Coming-of-Age der Szene, die sich in ihren ersten Jahren in kleinen Räumen am Alexanderplatz traf und die inzwischen überall dort vertreten ist, wo man sich ein Smartphone leisten kann.

Das Feld "Netzpolitik", freut sich Markus Beckedahl, würden mittlerweile alle Parteien besetzen wollen. Deswegen gebe es auch praktisch drei Bundesminister, die fürs Internet zuständig sind, eben aus den drei in der Koalition vertretenen Parteien: Thomas de Maizière rechtlich, Alexander Dobrindt infrastrukturell, Sigmar Gabriel wirtschaftlich. Beckedahl ist Mitorganisator der Konferenz und Gründer des Fachmagazins Netzpolitik.org.

Die Re:publica will eine politische Konferenz sein, natürlich geht es daher viel um die Regulierung des Internets, um die Überwachung der digitalen Lebensräume und den Kampf dagegen. Doch relevanter als die Bildschirm-Perspektive ist der Blick aus dem digitalen Kontext heraus auf die Gesellschaft. Der Medienwissenschaftler Ethan Zuckerman stellte im Eröffnungsvortrag vier Ansätze vor, um eine Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Das gehe über Gesetze, über Marktkräfte, über neue Normen — und über Programmcode, die Anleitungen für Computer.

Politiker-Kontrolle per Smartphone

Das Internet verändert nicht auf magische Weise die Welt zum Besseren, sagt Zuckerman. Gesellschaftliche Updates müssen anstrengend programmiert werden, sie seien dringend nötig. Zuckerman attestiert den großen Institutionen einen Vertrauensverlust. So sinken die Wahlbeteiligungen in den westlichen Demokratien. Zuckerman will eine monitorial citizenship fördern, den Bürger, der seiner Regierung auf die Finger schaut. Er lobt die italienische Initiative "monithon.it". Auf der Seite können Menschen ein öffentlich gefördertes Projekt auswählen und es besuchen, um zu schauen, ob das staatliche Geld auch vernünftig ausgegeben wird. Deren Report erscheint dann auf der Internetseite.

Zuckerman selbst hat mit seinem Forscherkollegen am MIT ein ähnliches Projekt in São Paulo in Brasilien gestartet, den "Promise Tracker". Bürger können dabei mit Smartphones dokumentieren, ob der Bürgermeister seine Versprechen hält, neue Parks anzulegen.

Die Macht, die Regierenden zu kontrollieren, kann mit der richtigen Hard- und Software in die Hände der Bürger übergehen, zumindest teilweise. Für Zuckerman sind solche dezentralen Ansätze die Alternative zu den Institutionen, denen zunehmend das Vertrauen entzogen werde, wobei auch die neuen Ideen erst einmal beweisen müssen, dass sie verlässlich und glaubwürdig funktionieren.

Umfassende Dokumentation durch die Besucher

Die dunkle Seite der Dezentralisierung zeigte sich im Vortrag von Frank Rieger vom Chaos Computer Club. Er sprach über die Menschenwürde und wie sie angegriffen werden kann, wenn neue Online-Angebote wie der Fahrdienst Uber die einzelnen Menschen und ihre Arbeitskraft noch direkter dem Markt ausliefern. Und natürlich ist die Re:publica auch selbst betroffen. Sie ist die vielleicht am besten dokumentierte Konferenz Deutschlands, weil viele der Teilnehmer fotografieren, twittern und bloggen, was ihnen so einfällt, auffällt oder gefällt.

Die Veranstalter schicken eine Schulterkamera auf die Bühne, die großen Vorträge gibt es im Livestream und auf Youtube, an der Decke fliegt eine Kamera an einer Schiene übers Publikum. Dazu kommen dann die vielen Dokumentationen von Hunderten Autoren, die über die Konferenz berichten. Niemand kann alle Fotos der Re:publica anschauen, niemand kann alle Artikel darüber lesen.

Ziel: Themen weitertragen

Das Thema der Re:publica ist in diesem Jahr "Finding Europe". Die Konferenz teilt viele Bezugspunkte mit der linken Berliner Szene, sodass nicht nur diskutiert wird, welche netzpolitischen Dinge gerade in Brüssel entschieden werden. Es gibt auch Diskussionsrunden zur Migration. Jonny Haeusler, ebenfalls Mitorganisator der Re:publica und Blogger, kritisiert, dass sich Europa abschotte. Es brauche Willkommensschilder für Flüchtlinge.

Die EU-Kommission hat während der Konferenz vorgestellt, wie der digitale Binnenmarkt künftig aussehen soll. Der deutsche EU-Kommissar, Günther Oettinger, zuständig für digitale Themen, ist der prominente Anti-Star der Veranstaltung. Er gilt den Online-Aktivisten als industrienah und als "Internetausdrucker", als jemand, der die digitale Welt nicht versteht. Tatsächlich zeigte dieser kein Verständnis, als Nacktfotos von berühmten Frauen im Internet auftauchten, die diese privat aufgenommen und gespeichert hatten. Wer so etwas mache, sei "blöd" und könne nicht geschützt werden, hatte Oettinger gesagt, obwohl Kriminelle in die virtuellen Speicher eingebrochen waren, um die Aufnahmen zu veröffentlichen.

Für Markus Beckedahl eine "Verhöhnung der Opfer". Der Saal klatscht. Beckedahl referiert, wie es um die Digitalpolitik steht, und die Bilanz ist aus seiner Sicht natürlich nur so mittel. Vor allem die Vorratsdatenspeicherung ärgert den Aktivisten. "Unsere Eltern würden nicht akzeptieren, dass wochenlang gespeichert wird, mit wem sie am Gartenzaun gesprochen und wen sie zum Kaffeekränzchen getroffen haben", sagt Beckedahl. Mit der Vorratsdatenspeicherung sollen aber solche Kontakte im digitalen Raum dem Staat zur Verfügung stehen. Er möchte das Publikum motivieren, sich politisch dagegen zu engagieren. Die Menschen sollen ihren Abgeordneten Faxe schicken, denn diese "archaische Technik" habe keinen Spamfilter, der Massenbriefe von Protestierenden automatisch aussortieren könnte.

Sachverstand der Szene

Neben Aktivisten, Künstlern und Medienmenschen will man in Berlin auch Wirtschaftsleute ansprechen. Als prominenter Unternehmenschef erzählte Reed Hastings vom Streamingdienst Netflix einem vollen Saal, wann er in seiner Position einmal am meisten Angst hatte. Er berichtet dann, wie lange intern diskutiert wurde, die Serie "House of Cards" zu starten, die sehr erfolgreich wurde. "Wir hatten vorher noch nie selber Inhalte produziert", sagt Hastings. Die Kosten waren hoch. "Wir haben uns beinahe dagegen entschieden." Zu den Sponsoren der Konferenz gehören große Konzerne wie Google und die Deutsche Bank sowie kleinere Internetfirmen, die auf Podien auftreten dürfen.

Auf der Re:publica trifft sich der Sachverstand der Szene. Die Konferenz tritt aber nicht mit dem Anspruch auf, die notwendige Diskussion über die digitalen Veränderungen alleine führen zu wollen. Es ist ja auch als Erfolg zu werten, dass sie ihre Themen in andere Konferenzen tragen konnte. Eine der Hauptdiskussionen auf dem kommenden Kirchentag in Stuttgart wird zum Thema "Digital und klug?" geführt werden. Mit auf der Bühne sitzt: Angela Merkel.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: