Re:publica 2011:Die Digitallobby wird Wirklichkeit

Die Berliner Konferenz Re:publica ist längst mehr als ein Bloggertreffen - gelingt es den Machern nun, zur Interessensvertretung aller Internetnutzer zu werden?

Johannes Kuhn

Dicht an dicht drängen sich die Zuhörer in den stickigen Workshop-Räumen der Berliner Kalkscheune, vor der Tür warten Dutzende von Umhängetaschenträgern auf Einlass: Wenn der Zulauf ein Gradmesser für Relevanz wäre, die Re:publica wäre 2011 im Mainstream angekommen.

Ganz so einfach macht es einem die Berliner Internetkonferenz aber nicht. Seit 2007 trifft sich die deutschsprachige Internetszene jedes Jahr in der Hauptstadt. Was als Bloggertreffen startete, bei dem man sich zu Nischenthemen wie "Mit Blogs Geld verdienen" die Köpfe heißdiskutierte, während ein TV-Team nach dem anderen den vermeintlichen Zoo von Avantgarde-Freaks (die sich bei näherem Hinsehen als ganz normale Nerds herausstellten) abfilmte, hat sich längst zu einer durchaus ernstzunehmenden Zeitgeist-Konferenz entwickelt.

Ob die Internet-Aktivistengruppe Anonymous, Datenschutzfragen oder die Rolle des Internets bei den Revolutionen des Nahen Ostens beleuchtet werden: Die relevanten Internet-Themen der vergangenen zwölf Monate haben nicht nur ein Nischenpublikum bewegt; auf der Re:publica werden sie eingeordnet, weitergesponnen, allzu häufig auf dem Level eines Proseminars, manchmal aber auch äußerst tiefgründig.

Claire Ulrich von der internationalen Blogger-Aktivismusplattform Global Voices gab auf einer Podiumsdiskussion im Friedrichstadtpalast beispielsweise Auskunft über die Rolle der sozialen Medien beim Konflikt in der Elfenbeinküste: "Facebook wurde ein eigenes Killing Field", erzählte sie, "Bilder von Tod und Folter wurden von den verfeindeten Gruppen mit 'Wir haben noch nicht genügend von Euch umgebracht' kommentiert."

Zugleich organisierten die Menschen während der Kämpfe über das Internet Ärzte und finanzielle Hilfe für kranke Ivorer. Ulrichs Schlussfolgerung: "Die sozialen Medien haben das Schlechteste und Beste der Menschen zum Vorschein gebracht. Doch hätte 1994 der Genozid in Ruanda verhindert werden können, wenn es Twitter gegeben hätte? Nein. Im Gegenteil."

Das Beste und Schlechteste des Internets vereint auch die Online-Gruppe Anonymous, wie die Anthropologin Gabrielle Coleman von der New York University ausführte: Der lose Verbund meist junger Internetnutzer ist für willkürliche Mobbing- und Sabotageaktionen bekannt. Er hat sich in den vergangenen Jahren jedoch stark politisiert, wie die Hacker-Angriffe auf Unternehmen wie Paypal und Mastercard zeigen, als diese Zahlungen an die Enthüllungsplattform Wikileaks blockierten. Bis zu 8000 Nutzer hätten sich damals in einem Gruppenchat versammelt, um die Aktion zu koordinieren, berichtete Coleman.

Auch der Aktivismus im deutschsprachigen Netz wird langsam erwachsen. Der Aktivistenerfolg beim Protest gegen Internetsperren oder die kollaborative Plagiatssuche im Guttenplag-Wiki zeigen das Potential.

Um den Internet-Aktivismus in Sachen Netzpolitik besser zu koordinieren, hat Re:publica-Mitorganisator Markus Beckedahl (Netzpolitik.org) im Rahmen der Konferenz den Verein "Digitale Gesellschaft" ins Leben gerufen, der eine organisierte Lobby für die Internet-Nutzer sein soll.

Bei den 3000 Re:publica-Besuchern mag über Themen wie informationelle Selbstbestimmung, Urheberrechtsänderungen oder politische Transparenz weitgehend Konsens herrschen, weshalb das Fehlen konservativer Stimmen auf der Konferenz kaum bemängelt wird. Jedoch auch diejenigen zu erreichen, für die das Netz vor allem ein Ort des Konsums oder gar ein besserer Videotext ist, dürfte eine ungleich schwerere Aufgabe werden.

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