Quantenkryptographie:Verschlüsselt im Netz

Sichere Bankgeschäfte über das Internet: Physiker haben das erste vollständig abhörsichere Computer-Netzwerk entwickelt.

Christopher Schrader

An diesem Mittwoch kamen in Wien die Geheimnisse der Unterwelt ans Licht. Sie sausten als Lichtblitze durch Kabelschächte, zeigten sich in der Breitenfurter Straße im Südwesten, in der Siemensstraße im Nordosten und schließlich im 3. Bezirk in der Erdberger Lände. Dort wurden sie dann öffentlich ausgestellt. Physiker enthüllten hier, wie sich vertrauliche Informationen so verbergen und verbreiten lassen, dass kein Spion eine Chance hat, sie zu belauschen - selbst wenn er die demonstrierte Technik beherrscht.

Quantenverschlüsselung, dpa

Quantenverschlüsselung: Verschränkte Photonen sorgen für sichern Datenaustausch.

(Foto: Foto: dpa)

"Wir trauen einem möglichen Spion sogar mehr Wissen und eine bessere Technik zu, als wir selbst besitzen", sagt Harald Weinfurter, Physiker an der Universität München. "Trotzdem hat er keine Chance." Das liegt an der Kombination von Geräten, die Weinfurter und seine Kollegen bei der Abschlusskonferenz des vierjährigen EU-Projekts Secoqc vorführten.

Hinter dem Kunstwort verbirgt sich eine Abkürzung für das Ziel der Arbeit: Sichere Kommunikation mittels Quantenkryptografie. Die Teilnehmer nutzen die Methoden der Quantenmechanik, um Informationen abhörsicher zu verschlüsseln.

Seit etwa 15 Jahren arbeiten Physiker weltweit daran, die moderne Physik für die Sicherung von Geheimnissen einzuspannen. "Wir haben die führenden Köpfe in Europa in dem Projekt zusammengebracht", sagt Christian Monyk von den Austrian Research Centers bei Wien, der Secoqc leitet. Darunter sind der Wiener Physiker Anton Zeilinger und sein Kollege aus Genf, Nicolas Gisin. Beide gelten seit langem als Kandidaten für den Physik-Nobelpreis. Dass sie diesmal wieder nicht bedacht wurden, sieht Monyk zwiespältig. "Ich hätte mich sehr für Herrn Zeilinger gefreut", sagt er. "Aber der Nobelpreis hätte unser Ereignis vollkommen in den Schatten gestellt."

Verschlüsselte Bankverbindung

Die daran beteiligten Gruppen haben schon erstaunliche Erfolge verzeichnet und Geheimnisse von Bergspitze zu Bergspitze durch die Luft geblitzt und Hunderte Kilometer durch Glasfasern geschickt. Zeilingers Gruppe in Wien hat eine Bank-Überweisung über 3000 Euro abhörsicher verschlüsselt, Gisin in Genf die Ergebnisse einer Kantonswahl quantenkryptografisch ins Datenzentrum übertragen. Eine englische Gruppe arbeitet an einem Gerät in Handygröße, das künftig Transaktionen am Geldautomaten verschlüsseln soll.

In all diesen Fällen wurden die Geheimnisse von Punkt zu Punkt beweisbar abhörsicher übertragen; jeder benutzt dazu sein eigenes Verfahren. Doch nun gehen die Physiker einen Schritt weiter: "Wir schalten all die Geräte mit ihren unterschiedlichen Techniken zu einem Netzwerk zusammen", sagt Nicolas Gisin. "Und es hat problemlos funktioniert."

Damit kommt die Quantenkryptografie der künftigen Anwendung einen wichtigen Schritt näher. Vorbild für Secoqc ist das Internet, zu dem jeder Teilnehmer mit einem Kabel und einem Gerät Zugang hat. Alle nutzen das gleiche Übertragungsverfahren für Daten, egal ob ein Windows- oder Apple-Computer die Webseiten anfordert.

Für ihre Demonstration in Wien haben die Physiker ein Glasfaser-Netz verwendet, das die Firma Siemens im Stadtgebiet betreibt. Wird jedes der angeschlossenen vier Gebäude mit jedem anderen direkt zusammengeschaltet, entstehen insgesamt sechs Verbindungen, die jeweils eine der Forschungsgruppen mit ihren Geräten bestückt.

So gibt es immer mehrere parallele Wege für die Nachrichten, was die Sicherheit erhöht. Hinzu kommen ein langes Glasfaserkabel nach St. Pölten, 80 Kilometer von Wien entfernt, sowie zwei Verbindungen, auf der Daten mit Lichtblitzen durch die Luft geschickt werden - ebenfalls abhörsicher.

An den Verbindungspunkten stehen jeweils Knotenrechner, die eingehende Geheimnisse empfangen und an die Geräte weitergeben, die sie auf der nächsten Strecke übertragen. Abhörsichere Quanten-Knotenrechner gibt es noch nicht. "Aber die gleiche Annahme wegen der Sicherheit machen wir ja auch für die Büros von Absender und Empfänger einer geheimen Botschaft", sagt Gisin.

Auf der nächsten Seite: Sichere Datenübertragung zwischen Kontinenten.

Verschlüsselt im Netz

In dem Netz tauschen die Physiker zunächst Codes aus, mit denen die eigentlichen Botschaften verschlüsselt werden. Ist die Zeichenfolge dieser Chiffren so lang wie die Nachricht selbst und wird sie nur einmal verwendet, könnte die codierte Meldung im Radio gesendet werden, kein Spion würde sie verstehen. Die Technik, um solche Codes zu erzeugen und abhörsicher auszutauschen, haben die Forschergruppen inzwischen in ihren Geräten automatisiert.

Nicolas Gisin gehört zu den Gründern der Firma IDQuantique in Genf, die solche Geräte bereits kommerziell anbietet. Sie erzeugen und übertragen Schlüssellängen von tausend Zeichen pro Sekunde. "Das klingt nicht nach viel", sagt Harald Weinfurter, "aber damit sollen ja auch keine Webseiten übermittelt werden. Es geht eher um besonders geschützte Bank-Überweisungen, die haben 30 Zeichen pro Stück, wenn man sie komprimiert." Davon ließen sich 33 pro Sekunde verschlüsseln.

Um die Reichweite eines Netzwerks für Quantenkryptografie über städtische Glasfaserkabel hinaus zu steigern, und etwa von Kontinent zu Kontinent zu kommen, müssen die Quantenkryptografen im nächsten Schritt einen Satelliten einbinden, sagt Weinfurter. Dafür hat er bereits eine Grundlage gelegt. Er hat zwischen den Spitzen des Pico del Teide auf Teneriffa und des Roque de los Muchachos auf der Nachbarinsel La Palma Codes mit Lichtblitzen durch die Luft übertragen. Und ein italienisch-österreichisches Team hat im Frühjahr 2008 einzelne Photonen mit einem Satelliten ausgetauscht, allerdings ohne Verschlüsselung. Immerhin konnten die Forscher die Lichtteilchen nach etwa 3000 Kilometern wieder auffangen.

An diesen Experimenten war auch Anton Zeilinger beteiligt, der in Wien ein Institut der Akademie der Wissenschaften leitet. Es beschäftigt sich mit Quanteninformation, wie das Forschungsgebiet inzwischen heißt. Dass es überhaupt einen eigenen Namen verdient, daran hat der Physiker entscheidenden Anteil, weil er seit Anfang der 1990er-Jahre Experimente mit so genannten verschränkten Photonen macht. Das sind Paare von Lichtteilchen, die aus der Spaltung eines dritten entstehen und deswegen für immer gekoppelt bleiben, egal wie weit sie voneinander entfernt sind. Wer eines von ihnen auffängt und misst, zwingt gleichzeitig das andere in einen passenden Zustand; jede Manipulation fällt darum sofort auf. "Spukhafte Fernwirkung" nannte darum Albert Einstein den Effekt.

Abhörsicherheit durch Quantenwürfel

"Verschränkte Photonen in der Quantenkryptografie haben einen wesentlichen Vorteil", sagt Zeilinger, "sie sind offenkundig sicher. Das bedarf keiner weiteren Begründung, das kann ich auch einem Bankier erklären." Der Physiker erzählt dabei oft von verschränkten Quantenwürfeln, die es in der Zukunft vielleicht gibt. Einzeln geworfen, zeigen sie zufällig eine Zahl, aber zusammen fallen sie immer so, dass ein Pasch entsteht. "Wenn ich ein solches Paar auf zwei Orte verteile, wird jedem schnell klar, dass ich damit einen abhörsicheren Code für die Verschlüsselung erzeugen kann.'' Absender und Empfänger kämen sehr schnell einem Spion auf die Schliche, der einen der Würfel aus dem Paar abfängt und zur Tarnung einen normalen weiterschickt.

Zeilinger und seine Gruppe beteiligen sich mit Geräten an der Secoqc-Demonstration, die verschränkte Photonen austauschen. "Das war von der Technik her ein wenig schwieriger zu entwickeln als die anderen Verfahren, aber wir haben den Vorsprung eingeholt", sagt er. Er ist den verschränkten Photonen aber auch darum treu geblieben, weil sie physikalisch das interessanteste Medium sind.

"Die Verschränkung von Teilchen haben die Leute 60 Jahre lang für einen Schmutzeffekt gehalten. Erst Zeilinger hat gezeigt, was man damit anfangen kann", sagt Harald Weinfurter, der früher Assistent bei Zeilinger war. Seinem ehemaligen Chef erlauben die verschränkten Photonen neben den Experimenten auch philosophisch zu werden.

Seit Jahrzehnten fragen sich Physiker nämlich, wie weit in die makroskopische Welt die Quantenmechanik mit ihren Aussagen über die kleinsten Dinge reicht. Diese besagt zum Beispiel, dass Objekte keine feste Eigenschaft haben, bis sie jemand misst. Vorher haben sie alle möglichen Eigenschaften gleichzeitig.

Das gilt zum Beispiel für ein Paar verschränkter Photonen, das Hunderte Kilometer von einander getrennt immer noch solchen Vorhersagen der Quantenphysik gehorcht. "Persönlich glaube ich, dass auch die Quantenwürfel nach dem Würfeln so lange keine Zahlen zeigen, bis jemand hinschaut", sagt Zeilinger. "Aber experimentell sind wir noch nicht so weit." Für große Moleküle sei dieses merkwürdige Verhalten bereits bewiesen. "Vielleicht gelingt es bald auch für kleine Bakterien." Zeilinger würde das auch aus ästhetischen Gründen freuen. "Die Welt ist dadurch viel reicher."

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