Umstrittene Anti-Piraterie-Gesetze in den USA:Wikipedia geht aus Protest offline

Lesezeit: 4 min

Neue Eskalationsstufe im Streit um zwei US-Internetgesetze: Die englischsprachige Ausgabe der Online-Enzyklopädie Wikipedia schaltet am Mittwoch aus Protest für einen Tag ab. Weitere vielbesuchte Seiten schließen sich der Aktion an.

Kilian Haller

In den USA tobt die Debatte um die umstrittene Anti-Piraterie-Gesetze Stop Online Piracy Act (SOPA) und den Protect Intellectual Property Act (PIPA) . Am 18. Januar wollen deswegen neben der englischsprachigen Wikipedia mehrere vor allem in den USA viel genutzte Webseiten für 24 Stunden offline gehen. Damit wollen sie gegen den Gesetzesentwurf protestieren, der die Verbreitung von Raubkopien im Ausland unterbinden und geistiges Eigentum schützen will. Unterstützt werden die Gesetze von der US-Film- und Musikindustrie, die argumentiert, dass der illegale Verkauf ihrer Produkte Urheberrechte verletze und Arbeitsplätze in den USA vernichte.

Ein Banner auf wikipedia.org kündigt den Blackout an - zuvor hatten die Wikipedia-User abgestimmt, ob und in welcher Form gegen SOPA protestiert werden soll. (Foto: Screenshot: wikipedia.org)

Ihre Teilnahme am Blackout hatten vorher bereits der soziale News-Dienst reddit.com und der Mem-Katalog "I Can Has Cheezeburger" bekannt gegeben. Die Wikipedia-Gemeinde hat darüber abgestimmt, ob und wie sie sich den Protesten anschließen wird. Eine große Mehrheit der User war für den "Blackout", wie das Abschalten der Seite für einen Tag genannt wird. Auch der Gründer der Community, Jimmy Wales, sprach sich entschieden für die vorübergehende Schließung von Wikipedia aus.

Die deutschsprachigen Wikipedia-Seiten werden von der Protestblockade nicht betroffen sein. Stattdessen sollen sie mit einem Informationsbanner versehen werden, der auf die SOPA-Diskussion und den Protesttag aufmerksam macht. Das ergab eine Abstimmung der deutschsprachigen Wikipedia-User.

Das umstrittene Gesetz will den Download von Copyright-geschützten Dateien zur schweren Straftat machen. Zudem sollen die Inhaber der Urheberrechte die Möglichkeit haben, "kriminelle" Webseiten relativ einfach blockieren zu lassen. Diese dürften dann nicht mehr in Google-Suchergebnissen auftauchen oder über die Eingabe der Adresse in der URL-Leiste des Browsers erreichbar sein. Auch Bezahldienste wie Paypal dürften dann mit den Betreibern solcher Seiten nicht mehr zusammenarbeiten.

Gegner der Gesetzesinitiative befürchten, dass damit eine Innovationsblockade einhergehen und die amerikanische Wirtschaft geschädigt werden könnte. Außerdem könne die US-Regierung dann das Internet zensieren - wie es China jetzt schon mache. Eingriffe in die Architektur des Webs würden zudem Sicherheitsmechanismen im Internet untergraben.

Fraglich ist derzeit, ob sich auch andere große Firmen an einem Blackout beteiligen. Medien zufolge erwägen Google, Amazon und Twitter diesen Schritt zumindest. Twitter-CEO Jack Costolo hat sich aber bereits negativ über den Blackout geäußert: "Ein globales Unternehmen als Reaktion auf nationale Politik zu schließen, ist dämlich".

Dennoch war auch Twitter unter den Unterzeichnern eines offenen Briefs gegen den Gesetzesentwurf. Seiten wie americancensorship.org rufen auch private Webseitenbetreiber zur Teilnahme am Blackout auf.

Die Protestaktionen beschränken sich nicht auf das Abschalten von Webseiten - viele Amerikaner binden einen Anti-SOPA-Schriftzug in ihr Profilbild bei Twitter oder Facebook ein oder wenden sich direkt an ihre Kongressabgeordneten: Dazu listet die Seite propublic.org Befürworter und Gegner des neuen Gesetzes auf. Auch die Spendeneinnahmen der Politiker lassen sich - getrennt nach Firmen aus Medien- und Internet-Branche - anzeigen.

Firmen, die sich öffentlich zu SOPA bekennen, könnten zudem Ziel von Boykott-Maßnahmen werden. Der Webseiten-Hoster godaddy.com zog nach massiven Nutzerprotesten seine Unterstützung zurück - ebenso Sony, EA Sports und Nintendo. Eine Liste mit weitere Firmen, die SOPA unterstützen, gibt es bei opencongress.org.

Unterstützung bekamen die SOPA-Gegner auch von der Obama-Regierung, die sich in einem Blog-Artikel zwar nicht direkt gegen den Gesetzentwurf, aber doch gegen wesentliche Teile davon wendete. Diese Nachricht ist besonders bedeutsam, weil US-Präsident Obama ein Vetorecht hat, mit dem er das Gesetz vorerst stoppen könnte. Dem Blogeintrag vorausgegangen waren zwei Petitionen mit jeweils etwa 50.000 Unterschriften.

In der Regierungsverlautbarung heißt es unter anderem: "Gesetzesvorschläge dürfen nicht an der technischen Architektur des Internet herumdoktern, indem das Domain Name System (DNS), ein Fundament der Sicherheit im Internet, manipuliert wird." Genau das war aber ein Bestandteil des Gesetzes - "kriminelle" Internet-Adressen könnten über eine Zensur der DNS-Server schwerer zugänglich gemacht werden.

Viele Internet-User wissen aber, dass sie Webseiten auch direkt über die IP-Adresse aufrufen können. Diese Zensur wäre also vergleichbar mit dem Löschen eines Namens aus dem Telefonbuch - die Telefonnummer würde trotzdem noch funktionieren.

Einen weiteren Rückschlag mussten die SOPA-Befürworter gerade hinnehmen, als das Vice-Magazin dem Urheber des Gesetzes, Lamar Smith, Copyright-Verletzungen nachwies. Der texanische Abgeordnete der Republikaner hatte auf seiner Webseite ein Bild verwendet, ohne den Fotografen namentlich zu nennen. "Nach dem SOPA-Gesetz, sollte es verabschiedet werden, könnte ich wohl ein Gericht anrufen, damit Maßnahmen gegen texansforlamarsmith.com ergriffen werden", zitiert das Magazin den Fotografen des Bildes.

Einen großen Erfolg hat die Front gegen SOPA bereits erreicht: Lamar Smith hat ein wichtiges Zugeständnis an seine Gegner gemacht. In einer neuen Version des Gesetzesentwurfs soll das Blockieren "krimineller" Webseiten durch die Internetdienstanbieter nicht mehr möglich sein, oben genannte DNS-Sperren würden demnach keine Rolle mehr spielen.

Die ursprünglich für Januar 2012 geplante Abstimmung über SOPA wird also vorerst verschoben - die Washington Monthly glaubt, dass der Gesetzesentwurf frühestens im nächsten Jahr wieder ein Thema wird. Über die ähnliche Gesetzesinitiative, den Protect IP Act (PIPA), soll aber bereits am 24. Januar abgestimmt werden.

Rupert Murdoch hält Google für Piraten-Anführer

Als SOPA-Befürworter hat sich Rupert Murdoch geoutet. Der Medientycoon äußerte sich über seinen Twitter-Account: "Piraten-Anführer ist Google, das Filme kostenlos streamt und dazu Werbeanzeigen verkauft. Kein Wunder, dass sie Millionen für Lobbyarbeit ausgeben."

"Das ist blanker Unsinn", konterte eine Google-Sprecherin gegenüber cnet.com, "letztes Jahr haben wir fünf Millionen illegale Webseiten aus unseren Suchergebnissen entfernt und mehr als 60 Millionen Dollar in den Kampf gegen betrügerische Werbung investiert."

Studie: Jeder zweite Amerikaner ist Raubkopierer

Eine Studie des traditionsreichen Think-Tanks "American Assembly" zeigt derweil, was ein Großteil der Amerikaner über Internet-Piraterie denkt: Demnach hat fast jeder zweite Erwachsene bereits unauthorisierte Musik, Serien oder Filme gekauft, kopiert oder runtergeladen. Piraterie im großen Stil, also zum Beispiel mit mehr als 1.000 Dateien in der Musiksammlung, wird dagegen von weniger als zwei Prozent der Erwachsenen ausgeübt. Strafen für illegale Downloads und Kopien unterstützen 52 Prozent der Amerikaner - sie sind dabei mehrheitlich für Warnungen und kleinere Geldbußen.

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