Polizeigewalt in den USA:Warum sich brutale Cops vor Smartphones fürchten

Walter Scott protest sign

"Die ganze Welt schaut zu." Nach dem Tod von Walter Scott demonstrieren Afro-Amerikaner gegen Polizeigewalt.

(Foto: AP)
  • Jedes Jahr kommen in den USA Hunderte Menschen durch Polizeigewalt ums Leben, überproportional viele von ihnen sind Afro-Amerikaner.
  • Die Polizisten müssen sich für ihre Taten oft nicht verantworten. Bürgerrechtler raten Augenzeugen daher, solche Vorfälle mit ihren Smartphones zu filmen.
  • Sie entwickeln Apps, die Videos automatisch verschlüsseln und an Menschenrechtsorganisation weiterschicken.
  • Viele Polizisten wehren sich dagegen, gefilmt zu werden.

Von Simon Hurtz

Am 17. Juli 2014 hält in New York ein Polizist den asthmakranken Eric Garner im Würgegriff. "Ich kann nicht atmen", schreit Garner. Der Polizist lässt nicht los, Garner erstickt.

Am 23. November spielt der zwölfjährige Tamir Rice mit einer Softair-Pistole in einem öffentlichen Park in Cleveland. Ein Polizeiwagen kommt angerast, zwei Beamte springen heraus, einer feuert auf den Jungen. Tamir ist sofort tot.

Am 4. April ergreift Walter Scott in North Charleston während einer Verkehrskontrolle die Flucht. Ein Polizist schießt ihm acht Mal in den Rücken, Scott fällt mit dem Gesicht ins Gras und stirbt.

Dokumentierte Fälle sind die Ausnahme

Das sind nur die drei derzeit bekanntesten Fälle, in denen unbewaffnete Afro-Amerikaner von weißen Polizisten getötet wurden. Laut Pro Publica, einer amerikanischen Non-Profit-Organisation für investigativen Journalismus, ist es für schwarze Teenager 21-mal wahrscheinlicher, von Polizisten getötet zu werden, als für weiße Jugendliche (die genauen Zahlen sind umstritten, die Tendenz bezweifelt aber niemand). Allein im März starben 36 Afro-Amerikaner aufgrund von Polizeigewalt - einer alle 21 Stunden.

Eric Garner, Tamir Rice, Walter Scott. Im Gegensatz zu den vielen anonymen Opfern sind diese Namen bekannt, ihre Schicksale haben Millionen Menschen bewegt und wütende Proteste ausgelöst. Ein Grund dafür: Alle drei Vorfälle sind digital dokumentiert. Ein Freund von Garner filmte dessen Tod mit einem Handy, ein Überwachungsvideo zeigt die Schüsse auf Tamir Rice, ein Passant hielt mit seinem Smartphone fest, wie Scott ums Leben kam. Später schildert der Zeuge aus South Carolina im US-Sender MSNBC, dass er reflexhaft gehandelt habe: "Ich habe es mit meinen Augen gesehen und mein Handy die Arbeit machen lassen."

Kameras als wirksamstes Mittel gegen brutale Polizisten

Wenn es nach Darren Baptise geht, soll es bald viel mehr Smartphone-Zeugen geben. Anfang 2014 hat er deshalb Copwatch gestartet. Wenn die App ein Video aufzeichnet, wird es automatisch ins Internet hochgeladen und an eine Bürgerrechtsorganisation gesendet, das Netzwerk gegen Polizeigewalt. Die Organisation überprüft das Material. "Gegenüber einem Cop mit Pistole, Schlagstock und Pfefferspray-Dose fühlen sich Menschen machtlos", sagte Baptise dem Online-Magazin Slate. "Doch jetzt haben sie eine Kamera."

Zusätzlich zur iPhone-App Copwatch gibt es für Android-Nutzer die App Mobile Justice der Amerikanischen Bürgerrechtsunion ACLU, die ähnlich funktioniert. Außerdem entwickeln Studenten aus Wisconsin gerade gemeinsam mit Amnesty International den International Evidence Locker, der Videos von Augenzeugen automatisch verschlüsselt und an Menschenrechtsorganisationen verschickt.

Filmende Augenzeugen müssen vorsichtig sein

2011 besaß erst ein Drittel der US-Amerikaner ein Smartphone. Seitdem hat sich der Anteil verdoppelt. Für Polizisten, die sich nicht an ihre Dienstvorschriften halten, ist diese Entwicklung eine echte Bedrohung. Laut ACLU versuchen sie oft, Passanten einzuschüchtern und vom Filmen abzuhalten, wenn diese eine Kamera zücken. Dabei garantiert die US-Verfassung das Recht, öffentlich Videoaufnahmen zu machen. Das hindert Polizisten aber nicht daran, die Smartphones von Augenzeugen zu beschlagnahmen und Beweismaterial darauf zu löschen.

Deshalb rät Copwatch Passanten, richtiggehende Videoketten zu bilden: Es solle immer mindestens noch eine zweite Person denjenigen dabei filmen, wie er den Polizisten filmt; auch, weil Zeugen leicht selbst ins Visier der Polizei geraten und damit zu potenziellen Opfern von Gewalt werden könnten. Ein weiterer wichtiger Ratschlag: "Lernen Sie, wie man eine Kamera hält." Nämlich: bloß nicht hochkant, damit werden zwei Drittel des Bildschirms verschenkt. Und: "Halten Sie den Mund." Denn entsetzte oder empörte Kommentare von Zeugen sind vor Gericht nicht verwertbar, die Stimmen der Polizisten oder die Schreie der Opfer dagegen schon.

Das Video ist gut - der Anlass ist traurig

Der Zeuge der Todesschüsse auf Walter Scott hat vieles richtig gemacht. Das Video beginnt mit einer kurzen Hochkant-Sequenz, dann dreht er sein Smartphone und wechselt ins Querformat. Abgesehen von einem unwillkürlichen "Oh shit. Oh shit. Shit." kommentiert er das Geschehen nicht, die Kommandos des Polizisten sind deutlich zu hören.

Doch egal, wie perfekt ein Augenzeugen-Video gefilmt ist - dem Copwatch-Gründer Darren Baptise wäre es lieber, wenn solche Aufnahmen gar nicht nötig wären: "Man sieht, wie ein Mann stirbt", sagte er Slate. "Mir gefällt es nicht, so etwas anzuschauen."

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