Piratenpartei:Unter schwarzer Flagge

Ein SPD-Überläufer und rasanter Mitgliederzuwachs - die Piratenpartei träumt davon, die Erfolgsgeschichte der Grünen zu wiederholen: eine Partei im Porträt.

Jannis Brühl

Erfolg ist manchmal eine Frage des richtigen Raums. Für ihren Parteitag am kommenden Wochenende hatte die Piratenpartei zunächst den kleinen Saal des Hamburger Bürgerzentrums gemietet. Als sich aber ein Ansturm von Neumitgliedern und Journalisten abzeichnete, wollte sie auf den großen Saal ausweichen - doch der war reserviert. "Kurzfristig war leider nichts anderes mehr zu organisieren", sagt Parteichef Dirk Hillbrecht.

Piratenpartei: Innerhalb eines Monats hat sich die Mitgliederzahl der Piratenpartei auf 3000 verdreifacht. Die Piraten lassen sich im traditionellen politischen Spektrum weder links noch rechts verorten.

Innerhalb eines Monats hat sich die Mitgliederzahl der Piratenpartei auf 3000 verdreifacht. Die Piraten lassen sich im traditionellen politischen Spektrum weder links noch rechts verorten.

(Foto: ddp)

Der 37-jährige Mathematiker leitet die derzeit am schnellsten wachsende Partei Deutschlands: Jene politische Vereinigung, die sich "Freiheit im Netz" auf ihre Totenkopffahne geschrieben hat.

Am Mittwoch im Saarland. Am Freitag in Bremen. Und am Sonntag in Thüringen: Im Abstand weniger Tage gründen Hillbrechts Netzwerker neue Landesverbände. Während alle Parteien - mit Ausnahme der Linken - über Mitgliederschwund klagen, kommt der kleine Kreis der aktiven Piraten mit dem Bearbeiten der Beitrittsanträge kaum hinterher.

Die Mitgliederzahl hat sich innerhalb eines Monats auf 3000 verdreifacht. Laut Ober-Pirat Hillbrecht überlegt man im Parteivorstand sogar, ein Delegiertensystem bei den Parteitagen einzuführen - ganz so wie bei den großen Parteien. Anders könne man die Versammlungen bald nicht mehr organisieren.

Die Piraten lassen sich im traditionellen politischen Spektrum weder links noch rechts verorten. Ihre Ideologie ist untrennbar mit dem technischen Fortschritt verbunden. Sie sind die parteipolitische Manifestation eines "digitalen Liberalismus": Wenn sich das Leben immer mehr ins Internet verlagere, so argumentieren sie, dann sind die Freiheitsrechte dort auch ganz neuen Gefahren ausgesetzt. Diese Rechte gelte es auch im virtuellen Raum vor staatlicher Willkür zu schützen.

Viel Feind, viel Ehr

Die Partei setzte von Anfang an konsequent auf die Netzaffinität ihrer Zielgruppe - lange vor den behäbigen Online-Abenteuern der großen Parteien, die über spezielle Beiräte dem Phänomen Herr werden wollen. Das Programm wurde in offener Diskussion in Foren ausgearbeitet und spiegelt die Ängste all derer wider, die seit Jahren mit Standleitungen und Downloadbörsen leben: keine Vorratsdatenspeicherung, keine Zensur im Netz und eine Reform des Urheberrechts (sprich: Abschaffung des Kopierschutzes) sowie Straffreiheit für nicht kommerzielle Musik- und Filmdownloads.

"Viel Feind, viel Ehr'" scheint ein altes Piratenmotto zu sein. Mit ihrer Ablehnung jeglicher Internet-Sperren begeben sie sich auf Konfrontationskurs mit dem Familien- und Innenministerium sowie mit Jugendschützern. Mit der Forderung nach der Schwächung des Urheberrechts wiederum provozieren sie Musikindustrie, Verlage und viele Künstler.

Die Politpiraten rechtfertigen ihre Vorschläge mit dem unaufhaltsamen technischen Fortschritt, der eine Eindämmung des Datentauschs über das Internet unmöglich mache. Die einzige Alternative zur freien Kommunikation sei die totale Überwachung.

Die Partei steht - zusammen mit einer handvoll einflussreicher Blogger - auch an der Spitze der Bewegung gegen das Zugangserschwerungsgesetz, wie jene Neuregelung offiziell heißt, durch die Kinderporno-Seiten künftig gesperrt werden können. Was Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen für wirksamen Jugendschutz hält, ist für Hillbrecht eine "Büchse der Pandora", ein "Bruch mit der freiheitlich-demokratischen Tradition Deutschlands". Das Gesetz dämme Kinderpornos im Netz nicht ein, stattdessen schaffe es eine "Zensur-Infrastruktur" - und öffne Tür und Tor zur Sperrung anderer - harmloser oder politisch missliebiger - Seiten.

Auf der nächsten Seite: Warum sich die Piraten als Avantgarde der Anti-Zensurbewegung verstehen.

Löschen statt Sperren

Die Piraten verstehen sich als Avantgarde der Antizensurbewegung. Die fordert bei den Kinderporno-Seiten: "Löschen statt Sperren". Dass die Sperrung der Seiten ein sinnvoller Zwischenschritt sein könnte, bis die Inhalte gelöscht sind, bestreitet Hillbrecht.

Piratenpartei: Den Mitgliedsantrag der Piratenpartei hat Tauss laut Dirk Hillbrecht unterschrieben.

Den Mitgliedsantrag der Piratenpartei hat Tauss laut Dirk Hillbrecht unterschrieben.

(Foto: dpa)

Unterschriften für die Bundestagswahl

Auf dem Parteitag soll vor allem die Organisation der Unterschriftenlisten für die Teilnahme an der Bundestagswahl im September ein Thema sein. Hillbrecht gibt sich optimistisch: Er verspricht, dass die Partei bei der Bundestagswahl in den meisten Bundesländern auf dem Wahlzettel stehen wird. Nach der bisher erfolgreichen Kampagne soll das Netzsperren-Gesetz weiter attackiert werden. Bundespräsident Horst Köhler solle sich das Gesetz "ganz genau angucken", bevor er es unterzeichnet, fordert Hillbrecht.

Der Vorsitzende wird sich auf dem Parteitag nicht zur Wiederwahl stellen. Dabei hat die Piratenpartei während seiner Amtszeit zuletzt einen medienwirksamen Coup nach dem anderen gelandet. Bei den Europawahlen trat sie zum ersten Mal bundesweit an und erreichte aus dem Stand 0,9 Prozent. Damit hat sie Anspruch auf Wahlkampfhilfe des Bundes.

Diese Unterstützung trug maßgeblich dazu bei, dass die Online-Petition gegen das Zugangserschwerungsgesetz einen neuen Rekord aufstellte: mehr als 130.000 Bürger unterschrieben den Aufruf der Bloggerin Franziska Heine. Geholfen hat es nichts: Das Gesetz wurde am 18. Juni verabschiedet.

Ein altgedienter Sozialdemokrat läuft über

Danach lief Jörg Tauss zu den Piraten über, ein altgedienter Sozialdemokrat, der angeschuldigt wurde, Kinderpornos zu konsumieren - während er angibt, sie nur zu Rechercherzwecken bei der Pornobekämpfung akquiriert zu haben. Tauss hatte als einer von zwei SPD-Abgeordneten gegen das Gesetz gestimmt. Momentan ist er fraktionslos, den Mitgliedsantrag der Piratenpartei hat er laut Hillbrecht aber unterschrieben.

Vorbild der deutschen Piraten ist die schwedische "Piratpartiet". Weil Musikindustrie und andere Verbände illegalen Downloadern piracy unterstellen, also digitale Freibeuterei, eignete sich die schwedische Bewegung die Bezeichnung einfach an. Seit Juni sind die Skandinavier im Europäischen Parlament vertreten. Mittlerweile gibt es in zehn europäischen Ländern Piratenparteien - Tendenz steigend. In einem Berliner Hacker-Klub gründeten Internet-Aktivisten 2006 den deutschen Ableger, der trotz guter Kontakte von der schwedischen Partei unabhängig ist.

Die Piraten treffen einen Nerv

Man könnte die Gruppe als eine weitere der über 30 Kleinstparteien belächeln, die die unteren Regionen der Wahlzettel bevölkern. Doch die Piratenpartei hat einen Nerv getroffen. Kaum jemand bestreitet, dass ihre Themen - von der Internetzensur bis zum Datenschutz - noch an Relevanz gewinnen werden. Die anderen Parteien haben diese Stoffe bisher stiefmütterlich und ohne ausreichende Sachkenntnis behandelt. Selbst wenn die Piraten bald wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden - in diesem Sommer holt die etablierten Parteien eine Realität ein, vor der sie viel zu lange die Augen verschlossen haben.

Auf der nächsten Seite: Selbst wenn die Piraten sich momentan im Höhenrausch befinden, könnten sie bald feststellen, dass eine Kampagne noch keine Partei macht.

Ökologie, Abrüstung und Feminismus

Hinzu kommt der "digitale Graben": Nur wenige aus der Generation der vor 1970 Geborenen können mit den Themen der Piraten etwas anfangen, weil sie das Internet erst spät in ihrem Leben kennengelernt haben. Ein Blick auf die Ergebnisse bei den Europawahlen verdeutlicht dies: Mehr als ein Prozent erzielte die Piratenpartei nur in Städten, die besten Ergebnisse in Studentenhochburgen wie Dresden, Erlangen und Karlsruhe.

Auch Parteimann Hillbrecht gibt zu, dass männliche Technikbegeisterte unter 40 in den Reihen der Piraten klar überrepräsentiert sind - nicht ohne nachzuschieben, dass auch eine "nicht völlig zu vernachlässigende Zahl von Frauen" zu den Parteistammtischen erscheint. Wenn es um ältere Mitglieder geht, bemüht er wieder die Öko-Partei: Es kämen "auch Leute, die damals die Grünen mitgegründet haben".

Auch wenn Teile von Grünen und FDP in den letzten Monaten versuchen, Bürgerrechte im Netz zum Thema zu machen, glaubt er nicht, dass sie sich auf Kosten der Piraten mit Internet-Themen profilieren können: Seine Partei sieht er langfristig als "sehr wichtiges Korrektiv" für die etablierten Parteien.

Eine Kampagne macht noch keine Partei

Selbst wenn die Piraten sich momentan im Höhenrausch befinden, könnten sie bald feststellen, dass eine Kampagne noch keine Partei macht. Wie viel von dem Gemeinschaftsgefühl in ihren Foren können sie aus der virtuellen in die reale Welt retten? Zuspruch per Klick vom Schreibtisch aus ist leichter zu orchestrieren als Wähler an die Wahlurne zu bringen.

Tauss' Überlaufen stärkte den Mitgliederschub der Piraten, ist aber auch ein großes Risiko für die Partei - weil gegen den Abgeordneten aus Karlsruhe nach wie vor ermittelt wird. Bei ihm war kinderpornographisches Material gefunden worden. Tauss trat aus der SPD aus, weil deren Fraktion größtenteils dafür stimmte, Seiten mit kinderpornographischem Material sperren zu lassen. Sollte sich der Verdacht gegen Tauss bestätigen, würde auch die Piratenpartei Schaden nehmen.

Doch soweit denkt Dirk Hillbrecht noch nicht. Sollten weitere Schritte im Verfahren gegen Tauss eingeleitet werden, "muss man sehen, ob Konsequenzen gezogen werden". Jetzt muss er erst mal dafür sorgen, dass das Bürgerzentrum dem Piratenansturm standhält.

Eine Partei beginnt zu träumen

Die mediale Aufmerksamkeit der letzten Wochen bringt die Piraten bereits zum Träumen. Wer sich in Foren und Blogs im Umfeld der Partei umsieht, spürt die Hoffnung der Anhänger. Diese Hoffnung ist grün. Immer wieder klingt durch: Sie wollen den Erfolg der Grünen wiederholen. Statt Umweltschutz solle die Idee von der "Freiheit im Netz" und ein neues Verständnis von geistigem Eigentum langfristig in der Mitte der Gesellschaft verankert werden.

Auch die Gründung der Grünen war eine Reaktion auf den technischen Fortschritt. Auch sie setzten zunächst konsequent auf Themen jenseits des Mainstreams, die von den großen Parteien vernachlässigt wurden: Ökologie, Abrüstung und Feminismus. Später wurden die Grünen von einer Partei der Subkultur zur etablierten politischen Kraft. Parteivorsitzender Hillbrecht glaubt, dass die Piratenpartei "definitiv das Potential hat", einen ähnlichen Weg zu gehen.

Nun ist der Schutz des deutschen Waldes konsensfähiger als die abstrakt klingende "Freiheit im Netz" oder die Vorratsdatenspeicherung. Beide betreffen zwar alle Bürger, bleiben für den Einzelnen aber unsichtbar und sind deshalb schwer zu vermitteln.

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