Phänomen Apple:Dein Tablet komme

Der Wirbel um Apples neues Produkt zeigt, welch religiöse Züge der Kult um die Marke inzwischen angenommen hat. Dieses Mal hoffen vor allem Medienkonzerne auf Erlösung.

Johannes Kuhn

Der einflussreiche Technologie-Blogger Michael Arrington weiß es genau: Als "das Wichtigste, das ich je getan habe", soll Steve Jobs das angekündigte Apple-Tablet bezeichnet haben, schrieb Arrington auf dem einflussreichen IT-Blog Techcrunch. Vielfach hätten er und sein Team dies gehört, zwar nicht von Jobs selber, jedoch "aus zweiter und dritter Hand von komplett unabhängigen Quellen".

Phänomen Apple: Apple-Chef Steve Jobs: Lichtgestalt im Schatten des Apfels

Apple-Chef Steve Jobs: Lichtgestalt im Schatten des Apfels

(Foto: Foto: dpa)

Die Botschaft über die Botschaft, die unbekannte Botschafter nach außen getragen haben sollen, verbreitete sich wieder einmal in Windeseile über Twitter und Blogs. Es war nicht der Höhepunkt, sondern nur eine weitere Anekdote im ganz normalen Wahnsinn, der sich in den vergangenen Monaten um das mysteriöse neue Apple-Produkt abgespielt hat, von dem alle wissen wollen, dass es ein ultraflacher Tablet-Computer sein wird.

Da tauchten beinahe wöchentlich auf irgendeiner Webseite neue Bilder des Gerätes auf, worauf sich sofort Apple-kundige Photoshop-Experten versammelten, um die Echtheit zu überprüfen. Resultat: Alles Fälschungen. Da erschien die Kopie eines Schreibens mit Apple-Briefkopf im Netz, in dem die technischen Spezifikationen des Gerätes aufgelistet wurden - es war ebenfalls gefälscht.

Von religiösen Gefühlen übermannt

Da twitterte scheinbar der Media Markt aus Versehen die Preise für das neue "iPad", um die Botschaft schnell wieder zu löschen. Als der Fauxpas bereits seine Kreise im deutschsprachigen Web gezogen hatte, stellte sich heraus: Das Twitter-Konto gehört irgendjemandem, nur nicht der Elektronikkette.

Das Unternehmen ließ währenddessen nur verlautbaren, am 27. Januar ein neues Produkt vorzustellen und darüber "sehr begeistert " zu sein. Wenn Unternehmenschef Steve Jobs deshalb am heutigen Mittwoch um 19 Uhr deutscher Zeit vor die Presse tritt, mutet dies wie eine Mischung aus Aschermittwoch und Heiligabend an. Aschermittwoch, weil das Narrentreiben im Netz vorerst ein Ende hat; Heiligabend, weil Apple-Fans in aller Welt ob des neuen Geräts beinahe religiöse Gefühle übermannen.

Apple stellt in den Augen vieler Kunden gute Produkte her. Doch was sie von den meisten anderen Marken unterscheidet, ist die Fähigkeit, eine beinahe sektenhaft anmutende Fangemeinde hinter sich zu versammeln. Dass Religiosität in diesem Zusammenhang nicht nur eine abgegriffene Metapher ist, zeigen die Untersuchungen des Marken-Experte Martin Lindstrom.

Apple, eine Marke mit religiösen Zügen

Lindstrom hatte gemessen, wie die Gehirnströme von 2000 Probanden aus aller Welt reagierten, wenn sie bestimmte Produkte oder Marken gezeigt bekamen. Das Ergebnis: Bei Apple-Produkten wurden die gleichen Hirnregionen aktiviert wie bei gläubigen Christen, die ein christliches Symbol zu Gesicht bekamen.

Die Apple-Ikonographie in Logo - der Baum der Erkenntnis lässt grüßen - und Produktdesign ist jedoch nur ein Teil des Geheimnisses. Wirkt Intransparenz bei vielen Unternehmen abschreckend, trägt sie bei Apple zur Mythenbildung bei. Das Schweigen im Vorfeld einer Produktveröffentlichung hat bereits Tradition.

Ganz so unschuldig an der Entstehung von Mythen ist das Unternehmen allerdings nicht: Nachdem sich in den vergangenen Monaten viele Gerüchte verbreitet hatten, erschien Anfang Januar ein Beitrag im Wall Street Journal, in dem eine anonyme Quelle die Größe, den Preis und den Veröffentlichungsmonat des noch unbekannten Produkts nannte.

Der Erfolg des kontrollierten Lecks

John Martelarro, ehemaliger Marketing-Manager bei Apple, beschreibt diese Technik als "kontrolliertes Leck", um der Debatte die richtige Richtung zu geben, gleichzeitig aber offiziell weiter die Firmenpolitik des Stilschweigens einzuhalten.

Die Methode wird auch von anderen Konzernen angewendet, funktioniert aber bei Apple so gut, weil die US-Technologieblogs und Fanseiten in aller Welt Gerüchte dankbar verbreiten und die Spannung dadurch weiter anheizen. Auf diese Weise wurde das Tablet zur Projektionsfläche für sämtliche Utopien, die das mobile Web derzeit bietet - und an denen sich das Unternehmen letztlich messen lassen muss.

Als 2007 das iPhone auf den Markt kam, wurde der Verkaufsstart mit den kilometerlangen Schlangen vor den Apple-Stores zum Medienereignis. Beim Tablet sind es nicht nur Technikenthusiasten und Fans, sondern die Medien selber, die an das neue Gerät Heilserwartungen knüpfen.

Auch die Medienkonzerne werden gläubig

"Die meisten Medienunternehmen sind besser darauf vorbereitet, mit den Tafeln umzugehen, die Moses vom Berg Sinai holte, als mit den schillernden neuen Dingern, die Apple, Microsoft und andere Technologie-Erneuerer herausbringen," ätzte der Medienguru Alan Mutter jüngst auf seinem Newsosaur-Blog, "das muss sich schleunigst ändern."

Die New York Times (NYT) schuf Berichten zufolge bereits vor längerer Zeit eine eigene Abteilung, die sich um die Präsentation der Inhalte auf dem Tablet kümmert. Andere Verlage haben ähnliche Projekte gestartet - es ist wahrscheinlich, dass Apple bereits bei der Vorstellung die ersten Partnerschaften mit Medienhäusern, aber auch mit Spieleherstellern bekanntgibt.

Das Tablet, schrieb eine Autorin der NYT, könne für die Medienbranche eine Zeitmaschine werden, durch die sie ihre Fehler im meist unprofitablen Internetgeschäft rückgängig machen könnten. Die Kalkulation: Bei einer modernen Präsentation der Nachrichten und Geschichten wären die Tablet-Nutzer endlich bereit, Geld für journalistische Inhalte auszugeben.

Was wird, wenn Steve Jobs geht?

Die Hoffnung auf Erlösung durch ein einziges Endgerät zeigt nicht nur die verzweifelte Lage, in der sich viele Verlage befinden: Sie symbolisiert auch die Macht, die IT-Firmen wie Apple oder Google inzwischen über ganze Branchen gewonnen haben. Mit iTunes hat das Unternehmen aus Cupertino, Kalifornien, den Schlüssel zur Verteilung der Inhalte auf seine Endgeräte - und kann mit steigender Marktmacht die Anbieter von Applikationen, Musik, Filmen oder Nachrichten-Abos prinzipiell dazu zwingen, ihnen einen immer größeren Teil am Umsatz abzutreten.

Doch erst einmal geht es Apple darum, sein neues Gerät möglichst oft zu verkaufen: Anders als bei Unternehmen wie Google, Amazon oder Microsoft steht und fällt das Geschäftsmodell der Firma mit dem Verkauf selbstproduzierter Endgeräte. Die Gewissheit der Anhänger, dass Apple derzeit keine Flops hervorbringen kann, ist jedoch eng mit dem Glauben an die Fähigkeiten von CEO Steve Jobs verbunden.

Der Apple-Prophet erfreue sich nach seiner Lebertransplanation wieder bester Gesundheit, heißt es. Nach der Vorstellung des neuen Geräts dürfte er sich allerdings langsam daran machen, das Unternehmen auf eine Zeit vorzubereiten, in der er nicht mehr in der ersten Reihe predigen wird.

Spätestens, wenn Jobs geht, dürfte der Apple-Kult auf eine harte Probe gestellt werden: Denn weil der Apfel-Religion die Metaphysik fehlt, muss sie ihr Heilsversprechen stets aufs Neue in Form von Produkten einlösen.

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