Öffentliche Sitzung im Petitionsausschuss:19-Jähriger erklärt dem Bundestag Netzneutralität

Netzausbau - Internet

Gleiches Recht für alle Daten: Im Bundestag erklärt ein 19-Jähriger, was Netzneutralität bedeutet.

(Foto: dpa)

Irgendwann wird das Internet langsam, nur nicht für Premium-Kunden der Telekom, die Telekom-Fernsehen schauen. Ist das rechtlich in Ordnung? Im Bundestag durfte ein Student erzählen, was er daran falsch findet - mit einem gemischten Ergebnis.

Von Hakan Tanriverdi

Wenn es eng wird im Internet, wer darf vorfahren? Werden alle Daten gleich behandelt oder werden die Inhalte von zahlungskräftigen Anbietern schneller durchgeleitet? Letzteres wäre ein Verstoß gegen die sogenannte Netzneutralität. Sie war an diesem Montag Thema im Petitionsausschuss des Bundestags. "Ich stehe hier für 77.000 Menschen, die meine Petition unterzeichnet haben", sagt Johannes Scheller zu Beginn seiner Rede. Ende April hatte der 19-jährige Student und Netzaktivist Scheller eine Petition eingereicht, in dieser er fordert, das Prinzip der Netzneutralität gesetzlich festzuschreiben.

Worum geht es in dem Streit? Fragen und Antworten.

Was bedeutet Netzneutralität?

Scheller definiert es im Bundestag so: "Alle Daten werden gleich behandelt, Eine Verlangsamung oder Beschleunigung, aus welchem Grund auch immer, findet nicht statt."

Netzneutralität besteht, wenn alle Daten, die über das Internet verschickt werden, unterschiedslos durchgereicht werden. Egal, ob die Nutzer kurz mal die E-Mails checken wollen oder aber Facebook, ob Sie Nachrichten lesen oder Filme anschauen: Auf Ihrem Bildschirm sehen Sie also tatsächlich den gewünschten Film und etwa nicht eine Anzeige wie diese: "Tut uns leid. Das Netz ist ausgelastet. Kommen Sie in zehn Minuten wieder, wenn Sie einen Film anschauen wollen."

Das Bundeswirtschaftsministerium hat in der Sitzung klargestellt, dass es mit den Ausführungen von Scheller übereinstimmt. "Die Netzneutralität muss gewahrt bleiben", hieß es.

Gibt es überhaupt Netzneutralität?

Bereits heute gibt es, streng genommen, keine Netzneutralität. Live-Events, die gestreamt werden, wie zum Beispiel diese Ausschusssitzung (aber auch Fußballspiele, Video-Telefonate per Skype oder ähnliches) werden priorisiert. Der Grund ist: Sie sind zeitkritisch, es ist also wichtig, dass sie genau in dieser Sekunde funktionieren müssen. Kommt eine E-Mail dagegen eine Sekunde später an, schmerzt das niemanden.

Hierbei handelt es sich aber um einen technischen Mangel, nämlich ausgelastete Netze, die eine Not-Handlung nach sich ziehen. Das unterscheidet sich fundamental davon, ob die Datenpakete aus finanziellen Erwägungen nicht zugestellt werden: "Die Netzneutralität wird ab dem Punkt gefährdet, ab dem nicht technische, sondern wirtschaftliche Kriterien ausschlaggebend sind", sagte Netzaktivist Scheller.

Wieso wird aktuell über die Netzneutralität diskutiert?

Die Deutsche Telekom hat Anfang Mai bekannt gegeben, dass sie Daten-Obergrenzen einführen will. Sollten diese überschritten werden, würde die Geschwindigkeit erheblich gebremst. In einem Interview mit Zeit-Online begründete Telekom-Chef René Obermann die neuen Pläne mit "explodierenden Datenmengen". Videos in HD-Auflösung beanspruchen weit mehr Daten als eine einfache E-Mail. Ohne einen kostenintensiven Netzausbau, warnt die Telekom, könne es zum Datenstau kommen.

In der gleichen Mitteilung hieß es, dass die Telekom eigene Dienste von dieser geplanten Bremse ausnehmen will. Dazu zählt das unternehmenseigene Multimedia-Angebot Entertain, über das Telekom-Kunden diverse Fernsehsender in HD-Qualität empfangen können. Das Fachwort dafür, das auch im Bundestag fiel: Managed Services. Die durch sie anfallenden Datenmengen werden nicht auf die Obergrenze angerechnet. Später erklärte die Telekom, dass dies auch für externe Dienste gelten könnte, falls die Firmen die Telekom entsprechend dafür bezahlen.

Kommt mit der Verordnung jetzt alles in Ordnung?

Ein Beispiel: Die Telekom hat kürzlich bekannt gegeben, mit Spotify zusammen zu arbeiten. Für die Telekom-Nutzer heißt das, wenn sie ein Spotify-Paket dazubuchen, können sie so viel Musik hören, wie sie wollen. Es heißt aber auch: Wenn sie Angebote der Konkurrenz nutzen wollen, beispielsweise von Simfy, ist wie gehabt nach dem Erreichen der Daten-Obergrenze Schluss.

Hier setzt die Kritik von Scheller und anderen Netzaktivisten an: "Wir erwarten von der Deutschen Post ja auch, dass sie alle Pakete gleich schnell verschickt, egal ob es ein Paket von einem Großversand ist oder ein Weihnachtspaket", sagte er. Managed Services verletzten die Netzneutralität, weil einzelne Dienste besser behandelt würden.

Ist Netzneutralität überhaupt wichtig?

Die Befürworter der Netzneutralität sehen im Internet das demokratischste Massenmedium der Welt. Hier würden aus kleinen Ideen, wie zum Beispiel einer Suchfunktion, ein riesiges Unternehmen wie Google. Das gelinge nur deshalb, weil sich neue Angebote, Ideen und Dienste durchsetzen können und nicht etwa durch die Netzbetreiber geblockt werden.

Genau das befürchtet aber der Netzpolitik-Verein "Digitale Gesellschaft". In einem Handbuch schreiben sie: "Ohne Netzneutralität können Netzbetreiber neuen oder missliebigen Dienstleistern den Zugang zu ihren Kunden erschweren".

Scheller zufolge habe sich das Internet vor allem deshalb als Medium etabliert, weil durch vergleichsweise niedrige Hürden eine große Zahl an Menschen partizipieren könne. "Das Internet ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe", sagte er, "auch wenn es für viele von uns Neuland ist." Ein kleiner Seitenhieb Richtung Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die für ihr Zitat "Das Internet ist für alle von uns Neuland" kritisiert wurde.

Netzaktivisten warnen, dass durch den Vorstoß der Telekom ein Zwei-Klassen-Netz entstehen könne. Diejenigen, die es sich leisten können, kaufen sich Datenpaket um Datenpaket, alle anderen müssen sich mit dem zufrieden geben, was der Basisvertrag vorsehe."Das Internet, wie ich es kenne, gäbe es nicht mehr", so Scheller. "Nicht mein Geldbeutel sollte ausschlaggebend dafür sein, wie gut meine Daten übertragen werden."

Wie reagiert die Bundesregierung auf die Pläne der Telekom?

Merkel hatte sich bereits im Oktober 2011 gegen ein Zwei-Klassen-Netz ausgesprochen: "Das Stichwort Netzneutralität ist für uns sehr wichtig. Jeder Nutzer, egal was er verdient, welchen Bildungsgrad er hat, soll die Möglichkeit haben, soll den gleichen Zugang zum Internet zu bekommen. Es darf kein Internet erster und zweiter Klasse geben."

Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) will mit einer Verordnung sicherstellen, dass Internetanbieter alle Inhalte gleich schnell zum Kunden transportieren müssen. Rösler werde dem Kabinett noch in dieser Legislaturperiode den Entwurf für eine Verordnung zur sogenannten Netzneutralität zukommen lassen, er soll am 14. August ins Kabinett eingebracht werden, hieß es im Petitionsausschuss.

Diese Verordnung wird jedoch stark kritisiert.

  • Die Formulierungen seien zu schwammig, sagte Konstantin von Notz (Grüne). Es sei nicht klar, was man unter einer "willkürlicher Verschlechterung" und "ungerechtfertigter Behinderung" verstehe.
  • Die Netzneutralität sei als Prinzip so wichtig, dass sich die Frage stelle, ob sie per Gesetz geregelt werden müsse, nicht als Verordnung, so Stefan Schwartze von der SPD.
  • Netzaktivist Scheller sagte, dass die jetzige Fassung des Textes, in der Volumentarife explizit von der Verordnung ausgenommen sind, dazu führen könne, das Vorgehen der Telekom zu untermauern.

Das Bundeswirtschaftsministerium sieht in einer Verordnung derzeit die effektivste Lösung, um die Frage der Netzneutralität anzugehen. Auf diese Art könne man flexibel reagieren. Aber grundsätzlich sei alles verhandelbar: "Das ist ein demokratischer Diskurs. Sollte sich herausstellen, dass es auf andere Art und Weise besser zu regeln sei, dann ist das halt so."

Wie steht es in anderen Ländern um die Netzneutralität?

Andernorts ist es besser, so Scheller: "Ich wünsche mir einen gesetzlichen Schutz der Netzneutralität, so wie das in den Niederlanden bereits praktiziert wird." In Chile ist bereits seit 2010 die Netzneutralität gesetzlich verankert. Slowenien und die Niederlande sind Deutschland in Sachen Netzneutralität voraus. Dort gibt es jeweils seit 1. Januar 2013 ein Gesetz, das die Provider dazu verpflichtet, alle Daten gleich schnell und in gleicher Qualität zu den Kunden zu bringen - ungeachtet ihres Inhalts. Die Angebote eines Konkurrenten zu drosseln oder gar zu blockieren, ist dort nicht erlaubt. Die Pläne der der Telekom wären somit dort nicht möglich.

Erst Ende Mai hat EU-Kommissarin Neelie Kroes eine gesetzlich festgeschriebene Netzneutralität gefordert. Nach Ansicht des Blogs Netzpolitik.org steht diese Forderung aber im Widerspruch zur bisherigen Linie der EU-Kommission, die sich bislang eher auf sich selbst regulierende Märkte verlassen hatte. Nach Einschätzung von Netzpolitik.org wären die Pläne der Telekom nicht von einem Gesetz zur Netzneutralität betroffen, wie es sich Kroes vorstellt.

Im Anschluss an die Sitzung ist Scheller "relativ zufrieden" damit, wie es abgelaufen ist. Die offen gezeigte Bereitschaft, notfalls auch zurückzurudern und den Gesetzesweg zu suchen, überrascht ihn. "Aber es war ja kein klares Bekenntnis da, die Netzneutralität festzuschreiben", sagte er Süddeutsche.de. Insofern sei es zwar schön gewesen - mehr aber auch nicht.

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