Nutzlosigkeit technischen Designs:Dafür gibt es eine App? Bitte nicht!

Golden Krishna Design

Designer Golden Krishna: "Inzwischen ist der einzige Ort, an dem wir noch nachdenken können, die Dusche."

(Foto: oH)

Apps sind "faule Rechtecke", sagt Golden Krishna, und das ist nicht die einzige Kritik, die der Designer an der Technologie der Gegenwart übt. Er rechnet mit den Mechanismen einer Branche ab, die sich vom Nutzer entfernt.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Wenn es einen Satz gibt, den Golden Krishna nicht mehr hören kann, dann diesen: "Dafür gibt es eine App." Der Schlachtruf der Smartphone-Revolution symbolisiert für den 31-jährigen Designer alles, was gerade mit moderner Technologie falsch läuft. Und das sei eine Menge.

Krishna ist kein wütender Mensch, mit sanfter Stimme legt er dar, warum die Verbindung zwischen Mensch und Computer gestört sei. Doch wenn er Beispiele nennt, mischt sich ein Ton blanker Entgeisterung in seine Stimme. "Es gibt jetzt eine App, mit der du im Bett bereits die Kaffeemaschine anschalten kannst", erzählt er kopfschüttelnd, "Unser Smartphone sollte keine Fernbedienung sein, die gibt es schon seit den Achtzigern."

Der Designer spricht über seine eigene Zunft, er selbst hat für die Interaktions-Design-Legende Alan Cooper und in den Innovations-Laboren von Samsung gearbeitet und tüftelt inzwischen für den Online-Händler Zappos Bediensysteme aus. Design soll den Menschen das Leben erleichtern, doch allzu oft sei die Lösung vieler Tech-Firmen, einfach einen weiteren Bildschirm zwischen Mensch und Problem zu stellen. In seinem Buch "The Best Interface Is No Interface" rechnet Krishna mit dieser Denkschule ab.

Nicht alle Probleme lassen sich per App lösen

"Faule Rechtecke" nennt er die Apps, die Menschen Komfort vorgaukeln, in Wirklichkeit aber alles verkomplizieren. "Nissan hat eine App, mit der du dein Auto runterkühlen kannst", erzählt er. "Das ist nett, aber dafür brauchst du keinen Bildschirm." Mazda habe das Problem schon in den Neunzigern gelöst, indem es ein Thermometer im Auto installiert habe, das ab einer gewissen Temperatur kleine Ventilatoren in Gang setzt und das Schiebedach etwas öffnet.

In einer Zeit, in der mobile Endgeräte die Gegenwart dominieren, erscheint das Smartphone als perfektes Navigationsinstrument für jede Situation. Ein Logik-Kurzschluss, so Krishna, der dazu führe, dass die Firmen nun alle Probleme per App lösen möchten - und sei es nur, weil die Pressemitteilung Zukunftsgewandtheit signalisiert.

"Der durchschnittliche Smartphone-Nutzer lädt nicht einmal eine App pro Monat herunter und hat nur eine kleine Gruppe von Programmen installiert", sagt er. Dennoch kommen sogar Wegwerf-Apps auf den Markt, in denen das Programm von eintägigen Events abrufbar ist - als würden nicht eine Webseite oder schlicht Papier den Zweck erfüllen.

Noch unangenehmer seien jene Apps, die fast jeder installiert hat. "Ich bin wie jeder andere süchtig danach, dauernd auf mein Telefon zu blicken. Smartphones und die Software darauf sind darauf ausgelegt, süchtig zu machen." Ständig senden Facebook, Twitter und Co. neue Benachrichtigungen auf den Homescreen, einer neuen Studie zufolge erhält der Durchschnitts-Amerikaner inzwischen 200 solcher Notifications täglich.

Statt Langeweile keine Ruhe mehr

Dass wir inzwischen so konditioniert sind, selbst ohne Benachrichtigung nach dem nächsten Aufmerksamkeitszeichen auf unserem Display zu fahnden, ist kein Zufall. Im Silicon Valley gehen Berater mit Seminaren wie "Wie Sie Produkte entwickeln, die Menschen süchtig machen" hausieren, die Psychologen der Firmen helfen Produktdesignern, Software zur Veränderung unseres Verhaltens zu nutzen.

Der Erfolg ist atemberaubend - und nimmt uns die Luft zum Atmen. "In den frühen Tagen der App-Ökonomie gab es diesen Spruch: 'Wir lösen das Problem der Mikro-Langeweile'", erzählt Krishna. Jene kleinen Momente, in denen nichts zu tun sei, seien inzwischen ausgestorben. Mehr noch: "Inzwischen ist der einzige Ort, an dem wir noch nachdenken können, die Dusche - weil Smartphones in der Regel nicht wasserbeständig sind."

Das von den Investoren geforderte Mega-Wachstum treibe Start-ups dazu, mit allen Mitteln Nutzer zu sammeln und zu binden. "Design ist dann schlecht, wenn falsche Maßzahlen verwendet werden", sagt Krishna. Ein neu angemeldeter Nutzer ist einfacher zu messen als ein loyaler Nutzer, wer auf einer Seite wild herumklickt, gilt als aktiv - und ist dabei in Wahrheit womöglich desorientiert oder gedankenlos.

Waschmaschinen mit Dutzenden Programmen

Krishna ist kein Technologie-Kritiker, er mag es einfach nicht, dass das Design dieser Technologie sich so weit von den Bedürfnissen der Nutzer entfernt habe. Seine Kritik reicht auch in die physische Welt: Wenn bei Smartphones Megapixel zählen, obwohl es um die Qualität der Linse geht; wenn sich Hersteller im Gewicht der Geräte um wenige Gramm unterbieten, obwohl es doch darauf ankommt, wie ein Handy in der Hand liegt. Oder wenn Waschmaschinen 15 verschiedene Programme anbieten, obwohl Kunden dann doch nur ein einziges davon verwenden.

"Wir haben bei Samsung einmal überlegt, die Zahl der Programme einer Waschmaschine zu reduzieren", beschreibt er das Problem. "Doch dann war die Sorge, dass das Gerät dann billiger werden muss, weil es weniger wertvoll erscheint." Statt des besten Gerätes kaufen Menschen am Ende das mit den meisten Features, weil der Verkäufer es in dieser Logik anpreist. Und die daraus entstehenden Verkaufszahlen erscheinen objektiv und sind einfacher zu messen als Kundenzufriedenheit, Nutzung von Funktionen oder Loyalität.

Eine Lösung könnte Krishna zufolge in der klügeren Nutzung von Daten liegen. Statt den Service mit Sternchen zu bewerten, können Kunden durch Antworten auf Fragen wie "Würden Sie diese Person einstellen, wenn Sie eine Firma hätten?" nuancierter Auskunft über ihre Erfahrung geben.

Sollten Maschinen unser Verhalten kennenlernen?

Und auch von der Technologie selbst hat er eine klare Vorstellung: "Computer sollten die Dinge lösen, die sie automatisch lösen können. Technologie sollte um dich herum arbeiten und dir Dinge vorm Leib halten." Dafür muss die Maschine allerdings mehr über unser Verhalten lernen, Muster entdecken, die Umwelt erschließen.

Statt ständig mit Mitteilungen bombardiert zu werden, würde das System wissen, ob wir gerade gestört werden wollen. Statt einer Fernbedienung für den Frühstückskaffee würde ein Computer das Getränk automatisch zur Aufstehzeit brauen.

Diese Idee dürfte allerdings unter Gesichtspunkten der Privatsphäre Kritiker auf den Plan rufen. Krishna sieht deshalb solche Ideen nur in Zusammenhang mit einer stärkeren Regulierung der Verwendung persönlicher Daten realisierbar - zum Beispiel durch Identitätsdienste, in denen der Nutzer genau bestimmen kann, auf welche Informationen komplexe Systeme zugreifen.

Ein solches Szenario erscheint derzeit allerdings so unrealistisch wie eine Welt, in der Design wieder dem Nutzer dient. "Mir ist es fast peinlich, Teil einer Branche sein, in der wir gerne über die Abhängigkeit der Nutzer von unseren Diensten sprechen", sagt Krishna, "aber viel zu selten darüber, wie zufrieden diese Nutzer sind."

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