NSA:"Geheimdienste raten nur. Das sind Idioten"

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William Binney, hier bei einer Sitzung des NSA-Untersuchungssauschusses, war bis 2001 Technischer Direktor des US-Geheimdiensts. (Foto: Getty Images)

William Binney, ehemals Technischer Direktor der NSA, ist heute einer ihrer schärfsten Kritiker. Auf einer Konferenz in München erklärt er, warum er Massenüberwachung für sinnlos hält.

Von Christian Simon

William Binney hält wenig von Geheimdiensten. "Die raten nur, immer. Das sind Idioten", sagt er. Nach den Skandalen der vergangenen Jahre ist der Ruf der NSA miserabel, insofern wirkt solche Kritik nicht ungewöhnlich - doch Binney arbeitete 37 Jahre lang für den größten US-Auslandsgeheimdienst. Die Datensammelwut der USA brachte ihn nach dem 11. September dazu, seinen Job als Technischer Direktor zu kündigen. Jetzt sitzt er gemeinsam mit anderen Überwachungsgegnern auf einem Podium in den Münchner Kammerspielen.

Wikileaks-Aktivistin Sarah Harrison und der Journalist Tobi Müller haben dort die dreitägige Konferenz " Sensible Daten - die Kunst der Überwachung" kuratiert. Binney diskutiert mit der Linken-Politikerin Martina Renner, dem Sicherheitsexperten Frank Rieger und dem Filmemacher Friedrich Moser über Deutschland, die NSA und den NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag. In diesem tritt Renner als Obfrau und Rieger als Sachverständiger auf.

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Ohne Einverständnis der USA würde das die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands beeinträchtigen, entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

Seit 2014 sollen die Mitglieder des Ausschusses drängende Fragen klären: Wie eng war die Zusammenarbeit zwischen der amerikanischen NSA und dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND)? Wie massiv spähte die NSA auch Deutsche aus? Wie groß war das wahre Ausmaß der Überwachung? Doch auch fast drei Jahre später ist die Aufarbeitung schwierig.

Geheimdienst-Analysten ertrinken in Informationen

"Bis heute hat uns die Regierung noch nicht einmal gesagt, mit wie vielen Suchbegriffen der BND das Netz durchsucht", sagt Martina Renner. Und auch 40 000 Selektoren aus der Zusammenarbeit mit der NSA dürfen die Ausschussmitglieder nicht einsehen - das hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Insgesamt lieferten die Amerikaner dem BND mehr als 13 Millionen Suchbegriffe.

Binney bezweifelt, dass immer mehr Informationen automatisch zu besseren Ergebnissen führen. "Massenüberwachung hilft nicht", sagt er. Analysten würden in Informationen ertrinken. Nach jedem Anschlag stelle sich heraus, dass die Täter zuvor in irgendeiner Datenbank gespeichert gewesen seien - doch sie hätten nur durch fokussiertes Beobachten aufgehalten werden können. Trotzdem werde das massenhafte Datensammeln Jahr für Jahr ausgeweitet.

Das kontinuierliche Ausbau der Überwachung hat die Panelteilnehmer ernüchtert. Sie sprechen weniger über Lösungsvorschläge, sondern fragen sich, warum die Geheimdienste immer mehr Befugnisse erhalten.

Firmen haben finanzielles Interesse an Ausbau der Überwachung

Dokumentarfilmer Moser, der gerade einen Film über das Leben William Binneys gedreht hat, folgt der Spur des Geldes. "Da sind viele private Firmen, die ein finanzielles Interesse an mehr Überwachung haben", sagt Moser. "Korruption gibt es doch überall - warum sollte das in diesem Feld anders sein?" Dieser Punkt werde in der öffentlichen Debatte ausgespart, zu etabliert seien Heldengeschichten von Agenten wie James Bond oder Ethan Hunt.

Frank Rieger sieht die Ursachen eher in einem System, das sich um seine eigene Stabilität sorgt. Massenüberwachung helfe nicht gegen Terrorismus, wohl aber gegen politischen Dissens. In einer zunehmend instabilen Welt wollten Geheimdienste, Politiker und beteiligte Unternehmen vermeiden, allzu grundlegend in Frage gestellt zu werden. "Geld mit Überwachung zu verdienen funktioniert nur, wenn Überwachung für genug Akteure das politische Mittel der Wahl ist", sagt er.

Die Dienste sind längst kaputt

Erst gegen Ende taucht die Frage auf, wie die Massenüberwachung gestoppt werden könnte. Moser wünscht sich eine "Whistleblower-Kultur", um auf Grundlage von Leaks öffentlich über die Aktivitäten der Dienste diskutieren zu können. Rieger setzt auf Verschlüsselungstechnologien, die den staatlichen Schnüfflern die Arbeit erschweren könnten. Bis vor einigen Jahren interessierten sich nur wenige für sichere und private Kommunikation, doch die Bedürfnisse der Nutzer haben sich geändert - und auch Whatsapp ist mittlerweile Ende-zu-Ende verschlüsselt. Renner glaubt dagegen, dass nur ein weiterer großer Skandal zu einem Umdenken führen könnte. "Auch wenn ich das natürlich nicht hoffe, dazu ist die Privatsphäre der Menschen zu wichtig", sagt sie.

Binney hat noch einen anderen Vorschlag: Geheimdiensten die finanzielle Unterstützung streichen. "Wenn sie kein Geld mehr für Datencenter haben, können sie nicht mehr so viel für so lange Zeit speichern", sagt er. Jedes Mal, wenn sie einen Anschlag nicht verhindern hätten, sollte ihr Budget um zehn Prozent gekürzt werden. Dadurch gingen die Dienste zwar vielleicht irgendwann ganz kaputt, doch Binney könnte damit gut leben: "Was hätten wir dann verloren? Gar nichts. Sie waren schon vorher kaputt."

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